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Pilgern im Rollstuhl auf dem Jakobsweg

Am 23. Juli 2022 wird der erste «hindernisarme» Jakobsweg der Schweiz eröffnet. Aus diesem Anlass gibt es hier Routen, Tipps und bewegende Erfahrungen rund ums Pilgern im Rollstuhl

Am 23. Juli 2022 wird der erste «hindernisarme» Jakobsweg der Schweiz eröffnet. Aus diesem Anlass gibt es hier Routen, Tipps und bewegende Erfahrungen rund ums Pilgern im Rollstuhl

Wer pilgert, unternimmt eine Reise zu einem heiligen Ort. Dafür braucht ein Pilger, eine Pilgerin mehrere Tage oder Wochen, und ist dabei in der Regel zu Fuss unterwegs.

Pilgern ist in vielen Religionen verbreitet: im Christentum, Judentum, Islam, Buddhismus und Hinduismus. «Pilgern ist beten mit den Füssen.»

Und das Pilgern mit seiner langen Geschichte liegt wieder im Trend – besonders seit dem Buch «Ich bin dann mal weg», das der TV-Entertainer Hape Herkeling 2006 über seine Pilgerreise auf dem Jakobsweg verfasst hat. So pilgern mittlerweile auch viele nichtgläubige Menschen.

Die Ziele einer Pilgerreise sind vielfältig: Manche möchten Gott finden, manche sich selbst. Andere wollen sich befreien, sich auf den Glauben besinnen, Kraft schöpfen, bessere Entscheidungen treffen oder trauern können. Fast alle möchten ihren Alltag vergessen. Das Wichtigste dabei: Auf einer Pilgerreise ist der Weg das Ziel.

«Einzig die Richtung hat einen Sinn. Es kommt darauf an, dass du auf etwas zugehst, nicht dass du ankommst.»

Antoine de Saint-Exupéry, französischer Schriftsteller (1900–1944); entnommen von www.jakobsweg.de

jubelnder rollstuhlfahrer in der natur

Pilgern im Rollstuhl verspricht aussergewöhnliche Momente. (Quelle: https://santiagoways.com)

Ein «hindernisarmer» Jakobsweg für die Schweiz

Das Problem: Pilgerwege sind meist nicht barrierefrei. In der Schweiz gibt es bisher weder einen rollstuhlgängigen Jakobsweg noch überhaupt einen barrierefreien Weg, der über mehrere Tagesetappen führt.

Der Verein Jakobsweg.ch möchte auch Menschen im Rollstuhl die Teilhabe am Pilgererlebnis ermöglichen – und weiht demnächst den ersten «hindernisarmen» Pilgerweg der Schweiz ein. Das Projekt trägt den Namen «Auf vier Rädern zur Schwarzen Madonna». Mitgetragen wird es u. a. von Heinz Frei und den Organisationen Procap, PluSport und der Schweizer Paraplegiker-Vereinigung. Hier ein Audiobeitrag zum Projekt.

Der Weg wird über 150 Kilometer von Konstanz bis nach Einsiedeln führen. Zunächst geht es von Konstanz den Untersee entlang nach Schaffhausen und zum Rheinfall. Von dort führt der Weg zur Musik- und Klosterinsel Rheinau und durch die Stadt Winterthur. Über das Zürcher Oberland gelangt man nach Rapperswil, einem Knotenpunkt der Jakobswege in der Schweiz. Danach geht es aufwärts über Feusisberg und die Tüfelsbrugg bis zum Ziel: dem Klosterdorf Einsiedeln mit der Schwarzen Madonna.

Alle Etappen des Wegs werden auf dieser Webseite verfügbar sein. Die Beschreibung der ersten Teiletappe von Konstanz nach Steckborn findet Ihr hier.

logo schweizer jakobsweg für rollstuhlfahrende

Das Logo des Schweizer Jakobswegs für Rollstuhlfahrende.

Was bedeutet nun «hindernisarm»? Gemäss Jakobsweg.ch würden die Normen von Procap für ein «selbstständiges» Befahren im Rollstuhl bauliche Massnahmen erfordern, die auf einer so langen Strecke nicht finanzierbar sind. Daher hat der Verein gemeinsam mit Betroffenen Kriterien für einen hindernisarmen Weg definiert. Zentral sind dafür folgende Punkte:

  • Alle Wege sind genau beschrieben, einschliesslich der Barrieren und der Strassenkategorien (Asphalt, Kies, schmal, uneben, flach etc.).
  • Es ist angegeben, welchen Kraftaufwand man für die Strecke benötigt.
  • Auf Umfahrungsmöglichkeiten und alternative Transportmöglichkeiten ist hingewiesen.
  • Der Weg ist von Rollstuhlfahrenden geprüft.

Demnächst: Eröffnungsfeier des ersten Teilstücks des Jakobswegs in Schaffhausen

Die Eröffnung des ersten Teilstücks zwischen Konstanz und Schaffhausen findet am 23. Juli 2022 im Mosergarten in Schaffhausen statt. Ab 11.00 Uhr gibt es Musik und eine Festwirtschaft. Die Veranstalter rechnen mit rund 2000 Personen. Alles Wichtige dazu und detaillierte Informationen zum gesamten Projekt gibt es in den angehängten PDFs unten.

Wer bereits ein Stück Weg nach Schaffhausen im Rollstuhl «pilgern» möchte, sollte die Ankunft zwischen 11.30 und 13.00 Uhr in Schaffhausen einplanen. Dann werden der Graf und die Gräfin von Nellenburg werden die pilgernden Rollstuhlfahrer empfangen und für ihre Mühe mit einem Fest belohnen. Alle Informationen zu den offiziellen Startpunkten der Eröffnungsetappe – Konstanz, Stein am Rhein und St. Katharinental – gibt es hier, die Anmeldung erfolgt unter diesem Link.

rollstuhlfahrer auf schotterweg

«Hindernisarm» bedeutet nicht «barrierefrei»: So ist mit unbequemen Schotterwegen auf einer Pilgerreise immer zu rechnen.

«Es kommt niemals ein Pilger nach Hause, ohne ein Vorurteil weniger und eine neue Idee mehr zu haben.»

Thomas Morus, englischer Staatsmann und Humanist (1478–1535); entnommen von www.jakobsweg.de

Im Rollstuhl pilgern in Deutschland

In Deutschland sind bereits mehrere Pilgerrouten beschrieben, nach ähnlichen Kriterien wie der «hindernisarme» Schweizer Jakobsweg. Fünf davon sind auf der empfehlenswerten Webseite des Vereins «Pilgern bewegt» zu finden. Dies sind:

  • die Franken-Schwaben-Route von Aschaffenburg nach Lindau
  • die Bischofsroute von Hannover nach Köln
  • die Fontaneroute von Chorin nach Dresden
  • die Hanse-Route von Stralsund nach Bremen
  • die Weinroute von Koblenz nach Konstanz. Dieser 550 Kilometer lange Weg wird nun durch den Schweizer Jakobsweg fortgesetzt, der von Konstanz bis nach Einsiedeln führt.

Noch in Planung ist die Beschreibung der Klosterroute von Nürnberg nach Lindau und die der Luther-Route von der Lutherstadt Wittenberg in den Nationalpark Hainich.

Neben diesen Routen gibt es noch den Himmelreich-Jakobusweg, der von Hüfingen über Freiburg i. Br. bis nach Weil am Rhein führt – hier ein Reisebericht.

Ausserdem hat Beate Steger das Buch «Pilgern für Alle – Barrierefrei unterwegs» über einen Pilgerweg durch die Pfalz von Worms nach Lauterbourg verfasst (hier mehr über das Projekt).

In all diesen Pilgerführern sind – neben den detaillierten Wegbeschreibungen und den Sehenswürdigkeiten – auch barrierefreie WCs, Übernachtungs- und Einkehrmöglichkeiten aufgeführt.

rollstuhlfahrer fährt durch schöne landschaft

Pilgerwege führen oft durch reizvolle Landschaften. (Quelle: © Sylvio Dittrich / https://www.saechsische-schweiz.de)

Nach Santiago de Compostela im Rollstuhl

Die Vorteile der Schweizerischen und deutschen Pilgerwege sind, dass sie näher gelegen, gut beschrieben und leichter mit dem Rollstuhl zu absolvieren sind. Doch wer die grosse Herausforderung sucht, kann sich auch auf den berühmtesten Pilgerweg Europas begeben: den «Camino Francés» (DE: «französischen Weg») nach Santiago de Compostela, zum Grab des Heiligen Jakobus. Die deutsche Rollstuhlfahrerin Babett hat einen kleinen Erfahrungsbericht ihrer dortigen Pilgerreise verfasst.

«Nach Jerusalem wandert man, um Jesus zu finden, nach Rom geht man zum Papst, doch auf dem Pfad nach Santiago de Compostela sucht man sich selbst.»

Spanisches Sprichwort; entnommen von www.jakobsweg.de

Ebenfalls nach Santiago gepilgert ist Felix Bernhard, der bekannteste Rollstuhlpilger im deutschsprachigen Raum. Tausende Kilometer hat er mittlerweile auf zahlreichen Jakobswegen zurückgelegt, u. a. durch Spanien, Portugal, Frankreich, Polen, Deutschland und Israel. Darunter war auch die «Via de la Plata»: der südliche, rund 1200 Kilometer lange und noch weniger touristische Jakobsweg von Sevilla nach Santiago.

Über diese Grenzerfahrung mit all ihren Hindernissen, aber auch über viele persönliche Widrigkeiten verfasste er das Buch «Dem eigenen Leben auf der Spur: Als Pilger auf dem Jakobsweg»; später erschien die Fortsetzung «Weglaufen ist nicht. Eine andere Perspektive aufs Leben». Eine Buchrezension gibt es hier, ein Interview mit Felix Bernhard hier.

rollstuhlpilger felix bernhard auf einer landstrasse

Felix Bernhard unterwegs. (Quelle: Niels Starnick / https://www.bild.de)

Tipps für eine erfolgreiche Pilgerreise im Rollstuhl

Santiagoways, ein spanischer Reiseveranstalter für den Jakobsweg, empfiehlt Rollstuhlfahrern und -fahrerinnen folgende Punkte für eine Pilgerreise nach Santiago de Compostela:

  • Eine ärztliche Untersuchung vorab. Pilgern im Rollstuhl ist eine sportliche Herausforderung.
  • Aus demselben Grund sollte man sich durch Training vorbereiten – mindestens drei Monate vorher. Auch auf Schotter.
  • Ersatzteile für den Rollstuhl mitnehmen. Der Jakobsweg ist lang, der Strassenbelag teilweise schlecht und man kann nicht jedes Teil überall kaufen.
  • Ein Handbike statt einem normalen Rollstuhl kann die Pilgerfahrt sehr erleichtern.
  • Das gleiche gilt für eine Begleitperson und/oder ein Begleitfahrzeug.
  • Ein Rucksacktransportservice schont die Gelenke und erlaubt mehr Freiheit (wobei dieser Tipp vom Reiseveranstalter nicht ganz uneigennützig ist 😉).
  • Handschuhe beugen Blasen und Verhärtungen vor.
  • Der Winter und die Regenmonate sind nicht gut geeignet, um den Jakobsweg im Rollstuhl zu absolvieren. Empfohlen werden der Frühling und der Sommer.
  • Unterkünfte sollten reserviert werden, denn nicht alle öffentlichen Herbergen sind barrierefrei.
  • An manchen Stellen des Jakobweges empfiehlt sich der Weg im Rollstuhl entlang der Strecke der Radfahrer. Manchmal muss man auch die Landstrasse überqueren. Hier sollte man jeweils gut auf den Verkehr achten.
  • Zudem empfiehlt der Reiseveranstalter, den Jakobsweg ab dem Ort Sarria zu beginnen, und bietet Hilfe bei der Organisation der Reise an.

Weitere Tipps und praktische wie auch spirituelle Fragen, die man sich vor einer Pilgerreise stellen sollte, sind in diesem Beitrag aufgeführt und beantwortet:

  • Wohin gehe ich?
  • Warum gehe ich? Woher komme ich?
  • Wie gehe ich?
  • Wer geht mit?
  • Was brauche ich auf dem Weg?

Zum Schluss noch ein kurzes Video darüber, was eine Pilgerreise bedeuten kann. Justin Skeesuck und Patrick Gray sind schon seit ewigen Zeiten befreundet. Gemeinsam sind sie auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela gepilgert. Dabei hat Patrick seinen Freund Justin geschoben – auch durch Matsch und Geröll, und oft mit der Hilfe von anderen Pilgern. Es könnte ihre letzte gemeinsame Reise sein, denn Justin leidet an einer unheilbaren Muskelkrankheit. Ein Film über Freundschaft, Familie und Nächstenliebe, der uns wahrlich zu Tränen gerührt hat:

«Sage nicht, wenn ich Zeit dazu habe, vielleicht hast du nie Zeit dazu. Wenn nicht jetzt, wann dann?»

Aus dem Talmud, einer der wichtigsten Schriften des Judentums; entnommen von www.jakobsweg.de

Wart Ihr schon einmal auf einer Pilgerreise? Falls nein, würdet Ihr gerne eine unternehmen?

 

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