To Homepage

Leben mit Querschnittlähmung

  1. Raffi Angesehener Autor
  2. Leben mit Querschnittlähmung
  3. Sonntag, 08. September 2019

Hoi Zäme

Ich war jüngst in St. Moritz und habe meine Erlebnisse schriftlich festgehalten:

Top of the World?

 «Wandern im Rollstuhl ohne Barrieren» titelt das Magazin «Allegra» des Engadiner Tourismusverbands. In Scuol-Zernez kann man geländegängige Rollstühle mieten – man bekommt den Eindruck, das Engadin heisse Besucher im Rollstuhl willkommen. Weiter von der Realität könnte diese Vorstellung jedoch kaum sein.

Jüngst wollte ich, Elektrorollstuhlfahrer, das Corviglia-Gebiet oberhalb von St. Moritz besuchen. Vorher angefragt, ob die Bahn rollstuhlgängig ist, habe ich nicht. Ich bin einfach davon ausgegangen, schliesslich ist 2019, 15 Jahre nach Inkrafttreten des Behindertengleichstellungsgesetzes, 5 Jahre nach der Ratifizierung der UNO-Behindertenrechtskonvention, und St. Moritz wohl einer der reichsten Tourismusstandorte der Schweiz. Vom Berner Oberland oder vom Wallis bin ich gewohnt, dass der Rollstuhl kein Problem mehr darstellt. Also stehe ich früh am Morgen vor der Talstation der Standseilbahn und sehe jede Menge Stufen. «Top of the World» lese ich am Schild der Seilbahn. Nicht gerade bescheiden, denke ich. Der Mitarbeiter der Seilbahn ist untröstlich, die Bahn sei nicht rollstuhlgängig. Man müsse immer wieder Rollstuhlfahrer abweisen, der Geschäftsleitung scheine es egal zu sein.

Damit sind unsere Pläne für den Tag erstmal im Eimer. Also gehen wir ins Tourismusmusbüro, um uns beraten zu lassen. Der Berater scheint überfordert und googelt erstmal am Computer vor sich hin. Das hätten wir auch gekonnt. Dann sagt er, er müsse kurz im Backoffice schauen und verschwindet. Nach einigen Minuten wird uns die Warterei zu dumm und wir verlassen das Büro um uns selber zu helfen. Also verbringen wir unseren Ferientag erstmal mit Telefonieren. Das Ergebnis: Corviglia bleibt für Rollstuhlfahrer unerreichbar, ebenso Furtschellas und Diavolezza. Wie war das nochmal, «Top of the World»?

Wir erfahren, dass die Bahn auf den Murottas Muragel rollstuhlgängig sei, also fahren wir hin. Dort angekommen sagt man uns, dass die Velos meiner Begleiter unten bleiben müssen. Da unsere Pläne eh schon über den Haufen sind, wird auch das stillschweigend in Kauf genommen. Man bringt uns zur Bahn, einem Modell aus den frühen 70ern: Rollstuhlgängig ist dabei ein grosses Wort, der Rollstuhlfahrer muss, um hinein zu gelangen, eine gefährliche Schräglage in Kauf nehmen. Oben angekommen, führt der Weg aus der Bahn über ein selbergebasteltes Podest zu einem Treppenlift. Auf diesem Treppenlift angekommen, geht erstmal gar nichts. Der Bahnmitarbeiter murmelt etwas von zu schwer, obwohl die maximale Nutzlast um 60 Kilo unterschritten ist. Nach einer Weile kommt er auf die Idee, den Rollstuhl gegen die Aufhängung des Lifts zu drücken, um eine Gewichtsverlagerung zu erreichen. Meine Begleiter helfen mit, schliesslich geht es aufwärts.

Der Tag wir doch noch schön, aber vielmehr trotz, nicht dank den Oberengadiner Bergbahnen. Es beschleicht einem im Falle von St. Moritz der Verdacht, dass man dank russischem Geld einfach zu verwöhnt ist, um innovativ zu sein. Oder man findet, Behinderte passen einfach nicht ins Ortsbild mit den Reichen und Schönen, weshalb man sie ganz bewusst ausgrenzt.

«Top of the World»? Nicht wirklich.

Inzwischen bin ich wieder in Bern angekommen – meine Zugfahrt mit der RhB musste ich 24h im Voraus anmelden, im Gegensatz zu der einen Stunde Voranmeldefrist im Rest der Schweiz.

Akzeptierte Antwort Pending Moderation

Hallo lieber Raffi 

Ho mein Gott ho WoW ( im negativen sinn ), Das tut mir fürchterlich leid, was euch widerfahren ist, und es macht mich Traurig, genau wie du sagst, obwohl es Gesetz gebe, und eigentlich sollte es keine Gesetze sein sondern Selbstverständlich, ist die Realität weit aber ganz weit von den Fakten....! 

Genau für das versuche ich seit längerem zu kämpfen für mehr Akzeptanz oder weniger Akzeptanz sonder einfach mehr Barrierefreiheit zu erlassen für Menschen mit Behinderung die mit Barrieren einfach gestoppt werden im Leben.!  Leider obwohl ich mehr mal Petitionen Unterschriften und des gleiche vergeblich in der Vergangenheit und Gegenwart versucht habe, Scheint es auch die Traurige Realität und Tatsache das auch Wir selbst ( Rollstuhlfahrer ) nicht drum viel kümmern, und es uns quasi egal ist..... ( Wieso ? Keine Ahnung )... Denn 1 muss alle klar sein, nur gemeinsam können wir Berge verschieben und etwas Bewirken.! Wenn wir alle die Augen / Ohren und Mund schliessen und hinweg sehen, dann ist es die Traurige Wahrheit und Fakt das sich nichts ändert.! 

Ich empfehle dir diese Geschehen die du geschrieben hast, schon an den Blick Redaktion zu schrieben, Und sowohl auch die Geschäftsleitung der Salibahn, und zuletzt auch Kanton Behörde. Im Fall das du Hilfe brauchst oder sonst was, scheu nicht zu mich zu fragen.! 

Ein herzliche Gruss Francesco 

Johannes
Community-Manager
Akzeptierte Antwort Pending Moderation

Hoi Raffi

Herzlichen Dank für Deine Schilderungen! Es tut mir auch leid, dass Dir das wiederfahren ist... doch ich finde es grossartig, dass Du Deine Erlebnisse hier teilst, denn so sind die Leser der Community vorgewarnt, falls sie mal einen Ausflug in die Gegend planen. Es ist erstaunlich, dass es noch solche regionalen Unterschiede in der Barrierefreiheit gibt, obwohl das Behindertengleichstellungsgesetz ja schweizweit gilt. Und von St. Moritz hätte ich auch etwas anderes erwartet... ich hatte von dem Ort ohnehin nichts Gutes gehört, aber das ist noch einmal ein Grund mehr, nicht hin zu fahren.

Zum Thema Muottas Muragl: Dort sind wir auch einmal hingefahren, um die Rollstuhlgängigkeit der Anfahrt, der Bergbahn und oben zu testen, der Bericht ist hier auf der Community verfügbar. Ich erinnere mich, dass wir damals keine grösseren Probleme hatten, allerdings war es auch ein manueller und kein Elektrorollstuhl.

Gruss,

Johannes

Tulipe Respektierter Experte
Akzeptierte Antwort Pending Moderation

Hallo Raffi

Vielen Dank für deinen ausführlichen Bericht. Echt schade, dass es nicht geklappt hat. Aber gell, du hast es natürlich ziemlich herausgefordert? Wissen wir doch inzwischen ALLE wie "ernst" die Schweiz das Behindertengesetz nimmt. So ist es nach wie vor so, dass es keinen Ausflug gibt, wo man sich nicht im Voraus vergewissern muss, ob es tatsächlich rollstuhlgängig ist. Dies gilt leider für ALLES und wir sind so oft angerannt oder "angerollt" , dass wir heute oft fast übertriebenermassen Rückfragen vornehmen. 

Fände es auch sehr gut, wenn du deinen Bericht veröffentlichen könntest. Oft stecken wir einfach zuviel ein, ohne uns zu wehren, da hat Francesco schon recht.

Ganz herzliche Grüsse, Silvia

 

Raffi Angesehener Autor
Akzeptierte Antwort Pending Moderation

Hoi Zäme

Das ist ein Leserbrief, der an die "südostschweiz" ging, an die RhB, verschiedene Bergbahnen und Touribüros. Habe einige Antworten erhalten, darunter diese tolle Dokumentation zu Rollstuhltouren im Oberengadin:

Rollstuhltouren Oberengadin

Auch der Geschäftsführer der Bergbahnen hat geantwortet, der Fairness halbe veröffentliche ich dashier:

Allegra sehr geehrter Herr ?

 

Wir haben Ihr Feedback von der Tourismusorganisation erhalten. Gerne versuchen wir die durch Sie aufgekommenen Fragen und Feststellungen für den durch uns verantworteten Bereich zu klären.

 

Grundsätzlich ist das Behindertengesetz für Bergbahnen eine grosse Herausforderung. Dies insbesondere, als jede Bahn unterschiedlich – sei es vom Bahntyp oder von der Topografie her – und somit eine Einzelanfertigung ist. Dass man den Umstand der Barrierenfreundlichkeit bei neuen Bahnen berücksichtigt, versteht sich von selbst. Aber bei älteren Bahnen ist dies eine Herausforderungen und insbesondere bei Standseilbahnen, hängen doch Treppenstufenhöhe und Türbreite der Wagen von der Steilheit der beiden Stationen ab.

 

Bei der 112 jährigen Standseilbahn nach Muottas Muragl können wir handelsübliche Rollstühle bequem befördern. Zu Ihrer Aussage, dass es eine "selbergebastelte" Lösung darstellt können wir Ihnen nur sagen, dass diese von den entsprechenden Fachstellen abgenommen und somit als konform genehmigt worden sind.

 

Auf der Strecke St. Moritz – Chantarella – Piz Nair haben wir drei Bahnen mit zwei verschiedenen Bahnsystemen. Bedingt durch die Bauart sind die Zugänge der zwei unteren Standseilbahnen mit Treppensteigen verbunden was für Menschen mit einem Handicap anstrengend bis unmöglich sein kann. Unsere Bahnmitarbeiter sind jedoch angehalten hilfsbereit und freundlich zu unterstützen, wenn es irgendwie möglich ist.

 

Ihre diesbezügliche Ausführung betreffend der Aussage unserer Mitarbeitenden in der Talstation der Chantarella Bahn in St. Moritz Dorf nehmen wir auf und werden es intern klären. Auch bei diesen Bahnen haben wir für handelsübliche Rollstühle eine Lösung wobei zu erwähnen ist, dass diese für schwere Elektrofahrzeuge z.Z. noch nicht umsetzbar ist.

 

Zudem möchten wir noch bemerken, dass die ebenfalls in unserem Verantwortungsbereich stehende Gondelbahn von Celerina nach Marguns auch für handelsübliche Rollstühle geeignet ist (6er Gondel mit 61cm Türöffnung).

 

Ebenfalls Rollstuhl gängig im Oberengadin sind die nicht in unserem Verantwortungsbereich stehenden Pendelbahnen auf die Diavolezza, auf den Corvatsch wie auf die Furtschellas. Dabei gilt es zu unterscheiden zwischen dem reinen Transport mit einer Bahn und den Bewegungsmöglichkeiten mit einem Rollstuhl auf dem (hoch alpinen) Berg.

 

Sehr geehrter Herr?– es freut mich lesen zu können, dass Sie trotz den schlechten Erfahrungen mit den Bergbahnen noch einen schönen Tag im Oberengadin erleben konnten. Aus eigener Erfahrung mit unserer fünf köpfigen Familie kann ich festhalten, gute Vorbereitung ist der halbe Erfolg und vermeidet unerwartete Enttäuschungen.

In diesem Sinne würde es mich freuen, Sie bald wieder einmal bei uns begrüssen zu dürfen und wünsche Ihnen einen goldigen Herbst.

Man sieht, da ist ein Kommunikationsprofi am Werk. Dennoch klingt für mich vieles nach Ausrede und ich lese auch nirgends den Willen heraus, etwas an der gegenwärtigen Situation zu ändern.

Liebe Grüsse

Anhänge
cucusita Star
Akzeptierte Antwort Pending Moderation

Hallo Raffi

Herzlichen Dank für Deinen sehr eindrücklichen Bericht. Er soll für uns alle eine wichtige Warnung sein. Du hast alles so glaubwürdig beschrieben (ich bekam Hühnerhaut), dass einer Veröffentlichung grosse Bedeutung zukommt.

Respekt auch für Deine Fairness, das Schreiben des Geschäftsführers der Bergbahnen an uns weiterzuleiten.

Mit herzlichem Gruss

cucusita 

Johannes
Community-Manager
Akzeptierte Antwort Pending Moderation

Hoi Raffi

Danke auch von mir fürs Teilen der Antwort. Das sehe ich genauso, für die Antwort haben sie einen Profi abgestellt. Das kann man immerhin als Fortschritt sehen, dass sie die Anfrage ernst nehmen, weil sie genau wissen, dass sie mit ihrer Bahn nicht mehr auf der Höhe sind – technisch, gesellschaftlich und rechtlich. Früher wäre Deine Anfrage wohl sofort im Papierkorb verschwunden. Aber ändern werden sie deswegen wohl nichts, das ist traurig...

Liebe Grüsse

Johannes

Raffi Angesehener Autor
Akzeptierte Antwort Pending Moderation

Hoi Zäme

Ich wurde gebeten, euch über die Aufteilung des Engadins in die voneinander unabhängigen Tourismusorganisation Ober- und Unterengadin zu informieren. Mein Aufhänger, die Zeitschrift Allegra, wird von der Region Unterengadin herausgegeben. Für St. Moritz ist die Tourismusorganisation Oberengadin zuständig.

Das schlechte Licht sollte also nicht die Zeitschrift Allegra oder aufs Unterengadin fallen, zu dessen Bemühungen in Sachen Barrierefreiheit es diesen Blogartikel gibt:

https://wheeliewanderlust.de/barrierefreier-urlaub-im-engadin/

  • Seite :
  • 1


Es gibt noch keine Antworten zu diesem Thema.
Sei der Erste, der antwortet!