Hallo Ihr Lieben,
ich muss gerade einmal überlegen, ob ich auch solche Kommentare mitbekommen habe. Ich vermute, nicht ganz so häufig, weil ich nur an fitten Tage außer Haus gehe und man mir dann meine Einschränkungen nicht ganz so ansieht und meine Diagnosen auch weniger bekannt sind. Ich glaube, Querschnittlähmung und Dialyse gehören zu den Dingen, von denen so ziemlich jeder medizinische Laie als Schreckensbild schon gehört hat, ähnlich wie Krebs, Schlaganfall oder Herzinfarkt. Ich vermute, dass für viele auch die Abhängigkeit von Hilfsmitteln ein Schreckensbild ist, sei es nun Rollstuhl oder Dialyse, und vor lauter Blick auf die Einschränkungen durch die Hilfsmittel ganz übersehen wird, dass es sich dabei eben um Hilfsmittel handelt, die dazu da sind, das Leben zu erleichtern.
In den letzten Monaten mache ich mir immer wieder Gedanken um das Thema Ableismus. Diese verzerrte Wahrnehmung von Behinderung, die Reaktion mit Mitleid und Bevormundung, die verzerrte Darstellung in Film und Medien. Die Erzählweise, laut der Behinderung quasi zwangsweise zu Verbitterung und Verlust des Lebenswillens führt und es Retter ohne Behinderung braucht, um Betroffenen den Lebenswillen zurückzugeben oder sie gar zu inspirierenden Figuren zu machen, die sich von ihrer Behinderung nicht einschränken lassen. Eine schwarz-weiss-Sicht, die zumindest mit meinem täglichen Leben nicht viel zu tun hat.
In dieser Erzählweise ist wenig Platz für die kleinen Freuden im Leben. In der frischen Herbstluft sitzen, den Wind und die Sonne auf der Haut spüren, sich an den leuchtenden Herbstblättern freuen. Ein schönes Essen mit Freunden. Ein gutes Buch.
Das Leben hat viel, was es lebenswert macht. Zu verschiedenen Zeiten meines Lebens hätte ich das vermutlich unterschiedlich definiert - und ich glaube diese Erfahrung des Umdefinierens fehlt vielen Leuten. Die Erfahrung, dass man sein Glück auch in geänderten Umständen finden kann.
Gleichzeitig finde ich die Aussage "das ist doch kein Leben mehr" auch aus anderer Sicht problematisch. Wer definiert, was lebenswertes Leben ist? Wo kommen wir hin, wenn andere Menschen sich anmassen, diese Einschätzung über unseren Kopf hinweg zu treffen? Was, wenn das politische Klima sich ändert? Es bleibt ein sehr ungutes Gefühl bei solchen Aussagen. Und wieder einmal mehr die Erkenntnis, wie hochproblematisch Ableismus sein kann.
Ich hoffe, meine Gedanken zum Thema waren jetzt nicht zu düster. Für mich persönlich bin ich ganz bei Francesco: "der Mensch passt sich immer an der Situationen an, das war immer so, das Problem ist heut zu tage, stellt man sich sowas nicht vor und ist überfordert weil man es nicht kennt".
Liebe Grüße,
odyssita