Während sich die Städte leeren und zu Geisterstädten mutieren, kehrt Leben in unser kleines Dorf ein. Unter der Woche ist es hier normalerweise immer so ruhig, wie in der Schweiz an einem Sonntag. Die Jungen sind am Arbeiten und die Kinder in der Schule oder Krippe. Die Schulferien verbringen die Kinder meist bei den Grosseltern und wer das Glück hat, Grosseltern im Süden zu haben ist natürlich besonders bevorteilt. Viele Grosseltern sind nach den Sommerferien meist derart geschafft, dass sie selbst dringend Ferien benötigen.
In dieser Woche ist es anders. Viele Eltern bleiben abwechslungsweise zu hause. Aus allen Gärten rundherum hört man fröhliches Kinderlachen, Rasenmäher und brummende oder sägende Geräusche. Eltern packen den Rucksack und spazieren zum nahegelegenen Wald.
Für Felix und mich ist die «Isolation» nicht ganz so neu oder dramatisch. Wir müssen auf wenige Dinge verzichten. Die 3x wöchentlichen Dialysen zu Hause bedeuteten schon sehr wenig Freizeit. So nutzten wir die freien Tage oft für kleine Ausflüge, sei es in die Berge oder ans Meer. Da unser Lieblingsrestaurant am Meer einen Besitzerwechsel hatte und eben nicht mehr so gut ist, fällt uns auch der Verzicht auf den Restaurantbesuch nicht allzu schwer. Felix geht seit 2 Wochen nicht mehr in die Physiotherapie, so geniessen wir diese zusätzliche freie Zeit umso mehr. Wir machen Ausfahrten in die Natur und stellen fest wie gut dies tut. Es unterbricht die Informationsflut und wir erfreuen uns an der knospenden Natur. Einmal mehr sind wir dankbar, dass wir die Dialyse zu Hause machen können, so sind wir kaum äusseren Einflüssen ausgesetzt. Einkaufen tue ich nun alleine einmal in der Woche und den frischen Fisch und das Gemüse hole ich auf dem kleinen Wochenmarkt. Brot backe ich schon seit Jahren meistens selbst.
Ich stelle fest, dass die Telefonate mit meiner betagten Mutter jetzt immer etwas länger dauern und wir uns so viel näherkommen.
Da uns jetzt auch mehr Zeit bleibt, können wir diese nutzen um Schinkengipfeli selbst zu machen und einfrieren. Basteln und rund ums Haus werkeln. Unkraut jäten, Rasen mähen etc. Mit Bazooka spielen und viel Lesen. Ich habe mir extra noch Lasur gekauft um die verwitterten Holztische und Bänke zu streichen.
Gehamstert haben wir nicht, einfach nur vernünftig eingekauft. Aber bei etwas habe ich ganz bewusst Vorrat angelegt, nämlich mit dem «downladen» von Büchern von meiner Stadtbibliothek. Damit habe ich auch fast einen Tag vertrödelt, um mich zu entscheiden, welches Buch nun in meine persönliche Bibliothek kommt. Und mit meinen Fotobüchern bin ich auch noch 3 Jahre im Rückstand.
Ganz bewusst habe ich mich entschieden, nur noch 1x im Tag die Nachrichten zu verfolgen. Wir werden auch so überhäuft mit vielen guten Tipps um den Corona Virus fernzuhalten. Da ist alles dabei vom Gurgeln bis zum Beten.
Ich halte es wie immer, wenn die Gedanken zu trübe werden, suche ich Trost in einer Beschäftigung, die mir Freude macht.
So wünsche ich euch allen auch ganz viele gute Momente und freudvolle Beschäftigungen. Mir ist bewusst, dass viele von euch sich nicht manuell beschäftigen können. Solltet ihr Lust auf einen Chat haben. Ich nehme mir Zeit und freue mich. Falls jemand gerne telefonischen Kontakt wünscht, dann schreibt mir eine Privatnachricht und dann plaudern wir ein bisschen.
Einmal mehr hilft mir mein Lieblingsgedicht «Stufen» von Hermann Hesse. Ich stelle es nochmals ein. Herzlichst, Silvia
Stufen
Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
in andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen;
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden,
Wohlan denn Herz, nimm Abschied und gesunde!
Hermann Hesse