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Leben mit Querschnittlähmung

  1. Rolfd Erfahrener Autor
  2. Leben mit Querschnittlähmung
  3. Donnerstag, 14. September 2017
Vor 57 Jahren, ich war 91/2 Jahre alt, überquerte ich an einem grauen Novembertag verschlafen eine Strasse. Ein Ausläufer einer Bäckerei, wohl auch verschlafen, übersah mich. Der Unfall war so schwer, dass das Spital wenig Hoffnung auf mein Überleben setzte und auch meinen Rücken nicht untersuchte. Zu dieser Zeit gab es noch kein Paraplegiker -Zentrum. Ich erholte mich und war gelähmt vom 2. Lendenwirbel an (komplette Lähmung). Man hat mir beigebracht mit einem Rollstuhl umzugehen und mit Schienen (Orthesen) und Stöcken zu laufen. Ich durfte nicht ‚durchschwingen‘, dies sei sehr schlecht für den Rücken und die Schultern. Kaum war ich aus dem Spital, habe ich durchgeschwungen, nur so kam man vernünftig vorwärts. Ich mache das heute nach 57 Jahren noch, ohne Probleme. Wie ich mit meinen ‚Outputsystemen‘ umgehen kann, musste ich selber lernen und habe dies einigermassen im Griff. Selten lässt mich meine Blase im Stich, davor habe ich immer ein wenig Angst, ist mir auch schon in den dümmsten Momenten passiert. Meine Schulzeit war wunderbar, die MitschülerInnen haben mir immer geholfen und ich hatte eigentlich nie den Eindruck behindert zu sein. Dann kam die Zeit, in der ich auch eine Freundin haben wollte. Mit meiner Lähmung habe ich mich nie getraut den ersten Schritt zu machen – bis ich meine spätere Frau kennen lernte – sie machte den ersten Schritt. Wir heirateten nach einigen Jahren und sind heute noch glücklich verheiratet. Leider bekamen wir keine Kinder, damals waren die Möglichkeiten noch sehr beschränkt, auch das Paraplegiker-Zentrum (damals noch in Basel) konnte nicht helfen. Im Beruf hatte ich Glück. Ich wurde Informatiker. Ich durfte unter anderem ein internationales Projekt in Zusammenarbeit mit einem Labor in Kalifornien leiten, ich konnte Vorträge in verschieden Ländern in Europa und Nordamerika halten, ich war Präsident der grössten unabhängigen Datenbank User Group mit Sitz in Chicago, ja und ich arbeitete mind. Fulltime. Heute bin ich pensioniert und immer noch sehr zufrieden. Das Laufen mit Schienen und Stöcken hat mein Leben sicher stark vereinfacht und auch zu meiner guten Gesundheit beigetragen (gute Durchblutung, keine Hautprobleme usw.). Zu Hause für Hausarbeiten, Gartenarbeiten und Kochen benutze ich immer den Rolli. Natürlich gab es auch viele kleine Begebenheiten (Oberschenkelbruch in Italien, Fussbruch in Kalifornien usw.), die ich vielleicht später einmal erzähle. Würde ich heute die berühmten 3 Wünsche, die es immer in Märchen gibt, äussern dürfen, wäre wieder laufen können nicht dabei. Ich habe mich daran gewöhnt Paraplegiker zu sein – es gehört zu mir, all meine Freunde und Bekannten kennen mich nur so, ich selbst kenne niemanden mehr, der mich als Fussgänger miterlebt hat. Rückblickend bin ich sehr zufrieden. Für meine Frau war und ist es sicher nicht immer einfach, sie schleppt alles und muss viele Dinge im Haus machen, die ich einfach nicht machen kann. Nun hoffen wir auf einen ebenso schönen Lebensabschnitt wie wir die bisherigen haben durften.
Johannes
Community-Manager
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Lieber Rolfd

Liken werde ich Deinen Beitrag nicht - das magst Du ja nicht :smileywink: -, aber ich möchte mich aufrichtig und herzlich dafür bedanken, dass Du Deine Geschichte mit uns geteilt hast. Ich habe ja schon öfter Beiträge hier und auf dem alten Paraforum von Dir gelesen und mich gefragt, welcher Mensch mit welcher Lebensgeschichte dahinter steckt. Diese Lücke ist nun - zu einem gewissen Grad - geschlossen, auch wenn mich die "kleinen Begebenheiten", die Du ansprichst, auch interessieren würden...

Mich hat die Vorstellung bewegt, dass Du als Junge nach Deinem Unfall quasi von den Ärzten abgeschrieben warst - und es dann trotzdem so gut weitergegangen ist: Du hast beruflich und privat mit Deiner Frau Dein Glück gefunden und noch heute, mit 66 (oder 67?) Jahren und nach 57 Jahren als Paraplegiker, wirkst Du sehr zufrieden und hast die Behinderung als einen Teil von Dir akzeptiert. Das finde ich grossartig und freut mich sehr.

Einzig das Kinderkriegen war Dir nicht vergönnt. Ich kann gut nachvollziehen, dass Dir das in Deinem Leben gefehlt hat. Ich habe das Glück, selbst vor sechs Monaten zum ersten Mal Vater geworden zu sein - eine Erfahrung, für die ich jeden Tag sehr dankbar bin. Es tut mir leid, dass Dir dies nicht vergönnt war. Ich denke, heute sind die Möglichkeiten für Paraplegiker und Paraplegikerinnen, ihren Kinderwunsch zu erfüllen, besser geworden, wenn auch noch viel Wissen fehlt. Ich habe gehört, dass sich nun erstmals Gynäkologen und Urologen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum zusammengetan haben, um wissenschaftlich fundierte Leitlinien zu diesem Thema zu erstellen. Sobald diese Leitlinien veröffentlicht sind - wohl in ein paar Monaten -, werden wir auch hier in der Community darauf hinweisen.

Für den Moment kann ich für die Schweiz auf die neue Seite der SPV paramama.ch hinweisen, die sich des Themas Kinderkriegen mit Paraplegie angenommen hat. Sie ist trotz des Namens für beide (potentielle) Elternteile konzipiert. Das hilft Dir natürlich nicht mehr, aber hoffentlich den anderen, die auch Paraplegiker sind und einen Kinderwunsch haben.

Ich hoffe sehr, noch viel von Dir zu hören.

Liebe Grüsse

Johannes
Julia
Moderator
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Vielen Dank für deinen Beitrag @Rolfd!

Ich wollte nur bezugnehmend auf @Johannes Kommentar noch kurz anmerken, dass die likes, die ich vergebe, Wertschätzung ausdrücken sollen. Und ich hoffe, dass du diese, trotz deiner Abneigung gegen die Ausdrucksform des "Daumen hoch"-Symbols, als solche annehmen kannst :smileyhappy:

Liebe Grüsse,
Julia
cora Angesehenes Mitglied
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Hallo Rolf
Ich habe eine kurze frage an dich. Ich mache in der Schule für meine Abschlussprüfung eine Vertiefungsarbeit über das Leben als Paraplegiker von früher bis heute.
Würde mich sehr freuen, wenn ich dich Interviewen dürfte oder du mir ein paar fragen beantworten könntest.
Du kannst mich auf meiner E-mail Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! erreichen.
Ich hoffe du kannst dir kurz die Zeit nehmen.
Schönen Tag noch
fritz
Blog-Autor
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...in was für einem Fach schliesst du denn ab, liebe Cora? Ich frage aus naivem Interesse.
cora Angesehenes Mitglied
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Hallo Fritz
Ich mache die Lehre als Köchin und muss eine Vertiefungsarbeit schreiben. Das Überthema lautet gestern-heute-morgen und ich habe mich für das Thema Paraplegie entschieden.
fritz
Blog-Autor
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Liebe Cora,
Danke für deine prompte Antwort. Ich bewundere dich, dass du dich in dieses Thema stürzt. Es passt natürlich gut zum Obertitel. Gleichzeitig finde ich es ungblaublich, dass man selbst in einer Ausbildung zur Köchin noch so eine Arbeit schreiben muss. Ich habe nach meinem Unfall vor 40 Jahren eine Publizistikausbildung gemacht. Zum Abschluss verlangte aber niemand, dass ich nebst den publizistischen Prüfungen auch noch einen Siebengänger kochen soll...! Wie du siehst, bin ich auch heute noch publizistisch tätig. Wenn ich dir helfen kann, tue ich das gerne und nicht in Erwartung einer Gegenleistung. Dein Interesse am Schicksal von "Paras" und "Tetras" ist die Gegenleistung!
Rolfd Erfahrener Autor
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Hier einige Gedanken zum Gestern und Heute. Das Morgen – man wird sehen.
Die Gedanken sind absolut subjektiv und völlig unwissenschaftlich!
Zuerst einmal zu den Hilfsmitteln. Der Rollstuhl war natürlich auch 1960 ein Stuhl mit 4 Rädern. Allerdings war er sehr schwer, unhandlich und meist grau oder braun. Man trifft diesen 60er Stuhl noch manchmal auf kleinen Flughäfen an. Heute ist der Rolli modern, farbig und wesentlich leichter und schneller zu fahren. Leider auch wesentlich teurer – zumindest in der Schweiz. Die Stöcke, die ich in den 60er Jahren hatte waren schwer und machten einen grossen Radau, da sie in der Länge verstellbar waren. Heute habe ich Stöcke in der Grösse die ich benötige, also kein Geklapper mehr, und sie sind extrem leicht. Meine Schienen (Orthesen) sind ähnlich wie damals, allerdings viel einfacher anzuziehen (1 Minute, früher 10 Minuten) und man kann praktisch jeden Schuh dazu nehmen – früher Spezialschuhe. Ja, und das Auto ist ebenfalls ähnlich umgebaut wie früher. Heute gibt es solche mit einem Gasring, der erlaubt mit beiden Händen am Steuer zu bleiben, aber das gefällt mir nicht, habe das alte Modell.
Auch früher gab es eine Parkerlaubnis für Behinderte. Allerdings war die kantonal. So musste ich oft der Polizei in Basel erklären, dass ich nicht nur in Baselland nicht laufen kann, sondern auch in Baselstadt. Heute ist die Erlaubnis international. Ich kann also auch in Italien mit meinem Schweizer Kärtli parkieren. Das Fahren selbst wird leider durch Fussgängerzonen, die ich sehr schön und gut finde, stark eingeschränkt. Man kann sich zwar je nach Ort vorher anmelden und hat dann zu der angemeldeten Zeit Zutritt, aber spontan läuft da nichts. War früher für mich viel besser. In Italien kann man immer in die Fussgängerzone fahren, muss allerdings in der entsprechenden Ortschaft einmal sich anmelden, giltet dann solange das Kärtli gültig ist.
Die baulichen Hindernisse sind heute auf einem tollen Stand gegenüber früher! Früher war dies gar kein Thema. Auch Zug fahren war ein Abenteuer – im Gepäckwagen und das Tram zumindest in Basel war unbenutzbar mit Rollstuhl.
1960 im Kinderspital glaube ich war Paraplegie kein Thema. Man kannte dies noch nicht. Man hat mir auch eigentlich nichts beigebracht. Ausser mit Stöcken laufen und sich nicht wehtun beim Umfallen habe ich nichts gelernt. Der ‚Transfer‘ vom Bett in den Rollstuhl und aufs WC musste man selbst lernen – als Kind auch kein Problem. Auf was man aufpassen muss hat auch niemand erzählt. Ich staune immer wenn ich Artikel hier im Forum lese, wie gut alle über alles Bescheid wissen. Nachuntersuchungen gab es auch nicht. Hat auch so geklappt! Sicher ist heute die Pflege und vor allem die Reha dank dem Paraplegikerzentrum wesentlich besser und hilft bei Problemen und um Probleme vorzubeugen.
Leider gab es auch noch keine Möglichkeiten (oder ich kannte sie nicht) sich sportlich zu betätigen, obwohl die Vorgänger der Paralympics schon 1960 stattfanden. So, dies eine kurze Zusammenfassung, sicher gäbe es hier noch viel mehr zu erzählen und viele Details, die ich ausgelassen habe, aber vielleicht melden sich ja noch andere KollegInnen.
Nun noch etwas zum Essen: Du wirst ja Köchin. Ich esse praktisch alles und trinke auch gerne Wein und Bier. Ich habe nie aufgepasst und bin deshalb wohl auch ein klein wenig zu schwer. Ich halte aber das Essen und auch das Trinken für eine so wichtige Angelegenheit, dass ich mit jeder Diät einen Teil meiner Lebenslust und Freude verlieren würde. Ich weiss, dass viele Ernährungsberater hier den Kopf schütteln werden – aber was soll es. Sie dürfen gerne Diät halten – ich liebe das gute Essen.
Hutsch Autor
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Liebe Alle
Es beeindruckt mich extrem, wieviele hier grosse Einschränkungen haben, zumindest kommt es mir so vor, und - augenscheinlich- so gut damit klar kommen! Das eine ist ja wie man jetzt damit umgeht, aber wie wird es wenn man sein tägliches Training der Muskeln nicht mehr machen kann oder das Blasen/Darmmanagement nicht mehr selber machen kann und deshalb nicht mehr so selbständig sein wird? Wenn man pensioniert ist und vielleicht nur einen "normalen" Lohn hatte mit einer kleinen Pension und wegen der Einschränkungen mehr Auslagen/Kosten für Hilfsmittel hat, die nicht alle übernommen werden von Krankenkasse und IV die dann nicht mehr zahlt: wie geht es dann weiter??
Macht euch das keine Angst?? Mir schon! Wie geht ihr damit um???
Rolfd Erfahrener Autor
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Ciao Hutsch

Hier einige Gedanken zu deiner Frage
Natürlich mache auch ich mir Gedanken über die Zukunft. Dazu folgendes. Geld hätte ich auch gerne mehr, da habe ich leider auch kein Rezept. Die IV zahlt auch nach der Pensionierung. Ich habe einmal diese Frage gestellt und Dr_Hans hat dies bestätigt. Inzwischen bin ich pensioniert und kann das aus eigener Erfahrung bestätigen. Über Krankenkassen kenne ich mich nicht aus, nehme aber an, die zahlen wenn man krank ist. Ansonsten denke ich, gerade wir haben gelernt, dass eine langfristige Planung ziemlich schnell keinen Wert mehr haben kann. So überlege ich mir nicht was alles passieren kann, vielleicht passiert es ja doch nicht und vielleicht werde ich morgen überfahren, dann habe ich mir völlig umsonst Sorgen gemacht. Wie gesagt, auch ich denke manchmal an die Zukunft, finde, aber je älter ich werde desto mehr tritt meine Lähmung in den Hintergrund. Krebs, Demenz usw. sind ja auch Dinge die auf einem zukommen könnten. Also besser, wir geniessen den Moment und lassen uns überraschen.
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