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Frag den Doktor

  1. Michael4WD Beobachter
  2. Frag den Doktor
  3. Montag, 24. Januar 2022

Liebe Ärztinnen und Ärzte,

ich schildere Ihnen ein Problem, welches Ihnen möglicherweise noch gar nicht bekannt ist.

Ich bin 59 Jahre alt und vor 25 Jahren an HSP (Hereditäre Spastische Spinalparalyse) erkrankt. Diese Erkrankung ist gekennzeichnet durch eine progressiv aufsteigende Querschnittlähmung infolge zugrundegehender Neuronen des Rückenmarks. Leitsymptom ist eine Spastik in den gelähmten Körperteilen. Erst 2015 konnte eine gesicherte Diagnose gestellt werden, die Zeit davor bestand aus nicht enden wollender Diagnostik und Mutmaßungen, die eine zielorientierte Behandlung unmöglich machten. Die Spastik wurde in späteren Jahren zunächst mit Baclofen therapiert, wirkte aber nur in hohen Dosen, sodass auf Tizanidin umgestellt wurde und dann auch Erfolg brachte. Das Medikament musste sehr vorsichtig dosiert werden, da die Spastik mich über viele Jahre überhaupt auf den Beinen gehalten hat. Seit 2015 ist das nicht mehr möglich, da die Lähmung jetzt dominiert, bei gleichbleibenden Grad der Spastik. Seit 2018 sind auch Rumpf und obere Gliedmaßen betroffen, sodass ich nun dauerhaft auf einen Rollstuhl angewiesen bin. Bei der vorletzten Kontrolluntersuchung wurde mir der Rat gegeben, die Dosis von Tizanidin zu erhöhen, um die Spastik so weit wie möglich zu reduzieren, da sie mir jetzt nichts mehr nützen würde und um Folgeschäden zu vermeiden. Das leuchtete mir zunächst auch ein, in der Praxis habe ich damit aber reichlich Probleme, da ich nur noch eine sehr instabile Sitzposition habe und die verbliebene einigermaßen aktive Muskulatur zusätzlich geschwächt wird. Ich würde gerne wieder zurück zu dem alten Zustand, die Meinung der behandelnden Ärzte ist jedoch sehr fest zementiert. Ich würde gerne Ihre Meinung dazu kennen. Beste Grüße

Michael4WD Beobachter
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Lieber Dr. JEAN,

ich möchte mich recht herzlich für Ihre so ausführliche Antwort bedanken. Es hat sich bisher noch kein Arzt in dieser Sache so intensiv mit mir beschäftigt. Manches gesprochene Wort ist vielleicht auch im Laufe der Zeit verloren gegangen, deshalb habe ich mir Ihre Antwort gespeichert, ausgedruckt und in meinem Patientenordner abgeheftet um im Bedarfsfall noch einmal nachlesen zu können. Sie ist voll mit guten Tipps, an die ich bisher noch nicht gedacht habe und nun nach und nach angehen werde. Auch die wichtige Mitteilung einer Wechselwirkung von Tizanidin und dem Antibiotika habe ich bisher nur nebenbei wahrgenommen. Darauf muss ich zukünftig besser achten. Viele körperliche Wahrnehmungen die Sie beschreiben habe ich zwar auch registriert, die Zusammenhänge waren mir bis jetzt aber gar nicht richtig klar. Ich blicke zukünftig vielleicht etwas gelassener auf die Dinge, wenn das Verständnis dafür da ist. Im Grunde bestätigen Sie mein Gefühl, und es wird mir bei zukünftigen ärztlichen Konsultationen sicher mehr Selbstvertrauen geben mein Wohlbefinden besser durchzusetzen. Noch einmal besten Dank für Ihre Hilfe.

Herzliche Grüße Michael

  1. vor über einem Monat
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  3. # 1 1
Dr. JEAN
Dr. Online
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Lieber Michael4WD, liebe Alle,

Zuerst einmal möchte ich mich herzlich bedanken für die breite und wichtige Diskussion hier. Es ist unsere Stärke, dass Betroffene und Medizinier zusammen an wichtigen Themen im Zusammenhang mit Lähmung arbeiten und uns austauschen. So werden wir alle klüger, auch ich lerne noch immer viel.

In Deiner Post sprichts Du mehrere wichtige Aspekte der Spastikbehandlung an:

Als erstes möchte ich mich zur Behandlung äussern. Hier haben wir grundsätzlich medikamentöse Therapien und physikalische Massnahmen. Die Liste an Medikamenten ist überblickbar. In der Schweiz wird vorwiegend Baclofen eingesetzt und Tizanidin. Beide wirken an etwas unterschiedlicher Stelle und manche Patienten reagieren besser auf das eine oder andere Medikament. Die Nachteile dieser Medikamentengruppe sind, dass sie grundsätzlich im ganzen Körper wirken und auch nicht spastische Muskeln gleichermassen schwächen wie spastische. Ebenso führen sie oft zu Müdigkeit oder Konzentrationsstörungen. Tizanidin setzen wir seltener ein als Baclofen, vor allem weil wir eine Wechselwirkung mit dem oft verordneten Antibiotikum Ciprofloxacin fürchten. Es wurde ein Todesfall weltweit damit in Zusammenhang gebracht. Die Patienten müssen das wissen, da einige Hausärzte Ciprofloxacin fast routinemässig zB bei Harnwegsinfekt einsetzen. Baclofen hat zudem den Vorteil, dass es auch mittels einer Pumpe direkt an das Rückenmark gebracht werden kann in schweren Fällen. Ein Vorteil von Tizanidin ist, dass es Präparate mit verzögerter Freisetzung gibt, was  bei morgendlicher Spastik hilfreich sein kann. Falls nur einzelne wenige Muskeln betroffen sind, kann auch eine Therapie mit Botox helfen.

Spastik kann sich verschlimmern durch zahlreiche Auslöser. Alles was zu einer Reizung des Nervensystems führt, kann Spastik verschlimmern oder sogar auslösen. Das kann von Frakturen über Infektionen bis hin zu degenerativen Veränderungen wie Arthrosen oder Diskushernien gehen. Manchmal besteht eine Spastiktherapie darin, diese Auslöser zu finden und zu behandeln.

Nicht zu unterschätzen sind die physikalischen Massnahmen. Hierzu gehören nicht nur Entspannungs- und Dehnungsübungen, sondern auch Wassertherapie oder Sauna können die übererregten Reflexkreise beruhigen und manchmal zu einer verminderten Spastik über einige Tage führen. Fachkundige Physiotherapie ist ebenfalls wichtig. Die Gelenke sollen beweglich gehalten werden und Muskelverkürzungen verhindert werden. Bei einigen Patienten hilft auch eine Anpassung der Sitzposition oder spezielle Lagerungen im Bett.

Wer den Post bis hier gelesen hat, kann leicht den Eindruck bekommen, dass Spastik eine Krankheit ist, die unbedingt behandelt werden muss. Das ist aber keinesfalls so. Spastik hat auch viele Vorteile: Es erhält die Muskelmasse und stabilisiert damit den Stoffwechsel und Kreislauf. Einige Patienten nutzen ihre Beinspastik auch, um zu transferieren. Du berichtest sehr eindrücklich, dass Spastik Dich sogar "auf den Beinen gehalten hat".  Die Kunst besteht darin, die Spastik nur so stark zu behandeln, dass sie im Alltag nicht mehr behindert. Zeigt ein Patienzt zum Beispiel nur am Morgen für 10 Minuten Spastik und danach nicht mehr, dann rate ich dazu, dass er sich diese Zeit nimmt und nicht die Medikamente erhöht. Behandelt werden muss die Spastik, wenn sie im Alltag zu starken Einschränkungen führt oder wenn z.B Stürze aus dem Rollstuhl  drohen. Mir ist nicht klar, welche Folgeschäden Dein Arzt befürchtet, wenn man Deine Spastik nicht stärker behandelt. Vielleicht kannst Du ihn fragen. Allen Spastikmedikamenten ist gemeinsam, dass die Wirkung nach einiger Zeit oft nachlässt. Ich behandle deshalb immer so wenig wie möglich. 

Spastikbehandlung ist immer eine sehr individuelle Therapie, die den Alltag, die Hilfsmittel und die Bedürfnisse des Einzelnen berücksichtigen muss. Weil die Behandlung fast immer nicht nur aus Medikamenten besteht sondern auch aus Therapien und Anpassungen im Alltag, sollte die Behandlung interprofessionell durch ein Team aus Therapeuten und Ärzten geführt werden.

 

Ich hoffe, Dir einige Hinweise gegeben zu haben und wünsche Dir weiterhin ein gutes Leben mit Unabhängigkeit und viel Freude. Der Weg dazu muss immer wieder neu geprüft und diskutiert werden. Ich würde mich freuen, wenn Du hier weitere Erfahrungen machen und auch eigene Ideen weitergeben würdest.

 

Herzliche Grüsse und gute Gesundheit an Alle!

 

Euer Dr. JEAN

  1. vor über einem Monat
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  3. # 1 2
Michael4WD Beobachter
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Danke Johannes, natürlich habe ich Verständnis für die Situation und übe mich in Geduld. Ich freue mich sehr darüber so herzlich von Euch aufgenommen zu werden. 

Lieben Gruß Michael

  1. vor über einem Monat
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  3. # 1 3
Johannes
Community-Manager
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Lieber Michael,

auch von mir ein herzliches Willkommen auf unserer kleinen, aber feinen Community! Wie schön, dass Du uns aus Dresden gefunden hast und dass Du bereits mit Francesco im Austausch bist.

Ich wollte Dir Bescheid geben, dass Deine Anfrage unseren Dr. Online erreicht hat und er Dir baldmöglichst eine Antwort geben wird. Wie Francesco gesagt hat, kann es manchmal etwas länger dauern, zumal das Schweizer Paraplegiker-Zentrum (wo die Community-Ärzte arbeiten) gerade coronabedingt mit vielen Ausfällen zu kämpfen hat. Falls es also ein paar Tage dauern sollte, bitte ich Dich um Verständnis.

Ansonsten schliesse ich mich Francesco an, dass wir uns freuen würden, wieder von Dir hören. 😊

Ich wünsche Dir einen schönen Abend.

Liebe Grüsse

Johannes

  1. vor über einem Monat
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  3. # 1 4
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Eine sehr schöne Ecke. 

Ich bin in Baden Wüttenberg genau Bad Urach (RT) aufgewachsen bis im alter von 14 Jahre. 

LG 

  1. vor über einem Monat
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  3. # 1 5
Michael4WD Beobachter
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Aus Dresden (Sachsen).

  1. vor über einem Monat
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  3. # 1 6
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Herzlichen Danke für deine schnelle Antwort lieber Michael. 

Und ja liebend gerne lass uns nicht nur schlauer werden, sonder auch eine Moment schönes Austausch. 

Welche schöne Ecke Deutschland kommst du? 

Lg Francesco 

  1. vor über einem Monat
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  3. # 1 7
Michael4WD Beobachter
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Lieber Francesco,

vielen Dank für Deine Information. Ich bin durch Zufall auf diese Community gestoßen, da ich aus Deutschland komme. So ein Portal finde ich echt klasse und ich werde mich mit Sicherheit öfter mal einbringen. Gerne berichte ich auch ab und zu darüber, was sich im Laufe der Zeit alles bei mir verändert hat, in der Hoffnung dass alles sehr langsam geht.

Herzliche Grüße auch an den Rest der Community, Michael

  1. vor über einem Monat
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  3. # 1 8
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Hallo Lieber Michael4WD 

Als erstes, ganz ganz Herzlich Wolkomemn auf der Community.! Schön das du auch hier bist.! 

Vorab, ich bin kein Arzt nur ein Mitlied hier, und möchte dir nahe am Herz legen, ein wenig Geduld zu haben, du wirst von unsere Super Kompetetnten ÄRZTE eine Antwort erhalten, dies kann aber auch wenige Tagen dauern, weil sie eben auch gleichzeitig in Nottwil SPZ Arbeiten. 

Als selbst betroffen von der Spastik, durch Querschnittlähmung kann ich dich verstehen. Dennoch muss ich auch selbst gestehen das ich von deinen Geschichte Gänsehaut bekommen habe, zumal eins noch nie davon gehört haben, aber vor allem kann dein Leid verstehen. Ich wünsche dir von ganzen Herzen das du schnelle Hilfe bekommst. 

Da dein Fall besonders ist, würde mich freuen wenn du uns hier berichtest, beziehungsweise sei es auch uns ab und zu von dir zu lesen, wie es dir geht etc.. 

Alls liebe und gute. 

Herzlich 

Francesco 

  1. vor über einem Monat
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  3. # 1 9
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