To Homepage

Frag den Doktor

  1. Salieri Angesehener Autor
  2. Frag den Doktor
  3. Mittwoch, 06. März 2024

Liebe Experten,

ich habe seit einigen Wochen ein Blasenproblem, wozu ich eine Frage an Sie habe.

Wer unter einer Rückenmarksverletzung leidet, wird nicht umhin kommen, regelmäßig zu katheterisieren. Das ist zwar lästig, aber man gewöhnt sich sehr bald daran. Dumm, wenn nicht sogar sehr lästig, ist es, wenn man des nachts raus muss, weil sich die Blase meldet und - bei mir mit einem Füllungsvolumen von ca. 300 ml - entleert werden muss. Das kostet dann immer etwas Schlaf, vor allem bei mir, weil mein Schlaf "scheu ist wie ein Wiesel" und sich so bald nicht mehr (manchmal auch gar nicht mehr) nachts wiedereinstellt.

Man kann natürlich zum Abend hin etwas weniger trinken, um nicht so oft raus zu müssen, aber das hilft nicht immer.

Mein Problem: Seit einigen Wochen ist die Menge in der Blase, die mich aufwachen lässt und mich zum katheterisieren "nötigt", immer geringer geworden. Und zwar von jahrelang ca. 300 ml nunmehr auf 150-200 ml und  manchmal sogar auch schon bei < 100 ml bei unverändert und gleichgebliebenen Trinkgewohnheiten. Dabei steigt dann nicht nur die Anzahl benötigter Katheter stark an, sondern auch die "Aufweckfrequenz" und die Schlafmenge bzw. die Schlafqualität.

Meldet sich des nachts die Blase bei mir, habe ich schon mehrmals versucht, dem Drang nicht gleich nachzugeben und tapfer zu widerstehen. Aber wenn ich mir dann vorstelle, dass bei zunehmendem Druck in der Blase die Niere Schaden nehmen könnte, gebe ich auf und katheterisiere lieber. Der Ärger darüber, dass man wegen weniger Milliliter geweckt wurde, ist oftmals so nervig, dass man kaum wieder einschlafen kann.

Anticholinerga wie Oxybutynin oder Toviaz etc. würden wahrscheinlich helfen, möchte ich aber schon deshalb nicht zu mir nehmen wegen der schädlichen Nebenwirkungen und weil ich sie auch in den vergangenen 14 Jahren nicht gebraucht habe.

Was also ist bei mir passiert, und wie kann ich mir helfen?

In Bayreuth wurde jetzt ein Messgerät (inContAlert) entwickelt, welches außerhalb am Körper angebracht wird und es ermöglicht, den aktuellen Blasenfüllstand am Smartphone abzulesen. Das wäre vielleicht etwas für mich. Aber die Frage, warum der Blasendruck bei derart geringen Volumina < 100 ml unerträglich ansteigt, lässt sich damit leider nicht beantworten.

Vielleicht können mir ja in dieser Frage unsere Experten weiterhelfen...

Salieri

Dr. JEAN
Dr. Online
Akzeptierte Antwort Pending Moderation

Lieber Salieri, das ist eine lästige Situation, die auf die Dauer nicht ertragbar ist. Mit so kleinen Blasenvolumina kann man nicht komfertabel leben. Ein Alarmgerät würde da nicht viel helfen.

Die erste Frage ist, warum das nach vielen Jahren auf einmal auftritt. Ein wichtiger und häufiger Grund ist ein Infekt. Bei zunehmender Blasenspastik würde ich eine Behandlung stark in Erwägung ziehen. Ein zweiter Grund kann sein, dass sich sekundär am Rückenmark etwas geändert hat, zum Beispiel Narbengewebe, Syringomyelie oder eine degenerative Veränderung unterhalb des Lähmungsniveaus. Als Drittes kann auch die Blase selbst5 eine Erkrankung aufweisen, z.B. einen Tumor (selten).  Die Situation müss neurologisch und vor allem neurourologisch angeschaut werden.

Zur Behandlung gibt es die von dir erwähnten Anticholinergika, Botoxbehandlung der Blase, Legen eines suprapubischen Katheters (langfristig ungünstige Option) und Spalten des Sphincter und Ableitung über Kondomurinal, um die wichtigsten Möglichkeiten zu erwähnen. Jede Option hat ihre Vor- und Nachteile, die zusammen mit deinem Neurourologen diskutiert werden sollten.

 

Ich wünsche Dir rasche und gute Besserung 

 

herzliche grüsse

 

 

Dein Dr. JEAN

  1. vor über einem Monat
  2. Frag den Doktor
  3. # 1 1
Salieri Angesehener Autor
Akzeptierte Antwort Pending Moderation

Hallo Dr. Jean,

danke für die schnelle Antwort. Die vorgetragenen Antworten von Dir lassen nichts Gutes ahnen, aber ein paar davon kann ich ausschließen. Eine Infektion habe ich wohl nicht, weil ich den Harn ganz gut unter dem Mikroskop auf Keime untersuchen kann (bin selber Mikrobiologe) und nur ganz wenige Keime, die all die vergangenen Jahre auch drin waren, dort vorfinde.

Es gibt Urologen, die sogar für diesen Fall von einem "gesunden" Mikrobiom in der Blase sprechen.

Nun hatte ich vergessen zu erwähnen, dass ich vor ca. 2 Jahren (ich war im Urlaub in der Schweiz!) schon einmal mehrere Tage des nachts eine "lärmende" Blase bei stark vermindertem Blasenvolumen (100 - 150 ml) hatte und als Grund dafür die (bitte nicht lachen!) veränderte Höhenlage (ca. 1.800 m hoch) verantwortlich gemacht habe. Das hat sich dann aber auch ca. 2 Wochen später  wieder von alleine gebessert bzw. wurde wieder normal.

Die von Dir genannten Veränderungen am Rückenmark erscheinen mir allerdings sehr besorgniserregend, aber dann gäbe es sicher auch noch weitere Symptome, die bisher aber noch nicht eingetreten sind.

Nun habe ich noch eine kurze Frage an Dich:

Als ich vor 14 Jahren in einem Querschnittszentrum nach meinem Unfall lag, lernte ich einen MS-Patienten dort kennen, welcher mir von einem Blasentraining erzählte, dass ihn dazu verhalf, seine Blase besser zu kontrollieren und dabei wieder "fast" kontinent wurde. Gleiches konnte ich auch in einer Reha-Klinik von Schlaganfall-Patienten hören. Allerdings wäre ein Blasentraining mühsam und langwierig, und man braucht viel Geduld und Ausdauer, bis sich ein Erfolg einstellt.

Meine Frage hierzu: Wird in bei Euch ein solches Blasentraining bei RM-Verletzten durchgeführt und - wenn nicht - warum?

Beste Grüße,

Salieri

  1. vor über einem Monat
  2. Frag den Doktor
  3. # 1 2
Dr. JEAN
Dr. Online
Akzeptierte Antwort Pending Moderation

Hallo Salieri,

es war nicht meine Absicht, bei dir Sorge auszulösen. Aenderungen der Blasenfunktion sind sehr häufig bei Querschnittgelähmten. Man muss einfach schauen, was los ist und reagieren, das ist alles.

Deiner Bemerkung zum "gesundem Blasen-Mikrobiom" kann ich nur zustimmen. Bei Querschnittlähmung sind immer Bakterien in der Blase, ausser man ist gerade unter Antibiotika. Sie kommen immer wieder. Wenn sich ein Mikrobiom breit macht, das keine Beschwerden verursacht, dann sollte man keinesfalls behandeln, weil nach Ende der Therapie erneut Bakterien zurückkehren, und dann vielleicht schlimmere.

Schwer erklärbar ist deine Erfahrung mit einer vorübergehenden Verschlechterung anlässlich eines Aufenthalts in den Bergen. Es fällt schwer, das mit dem verminderten Luftdruck zu erklären. Eher schon verdächtige ich andere Umweltbakterien oder eine Reizung des autonomen Nervensystems. Dieses steuert ja die Blase und ist auch für alle anderen "automatisch" ablaufenden Organfunktionen verantwiortlich. Veränderte Umgebungstemperatur, mehr Aktivität, vielleicht noch in unwegsamerem Gelände, aber auch möglicherweise eine etwas verminderte Sauerstoffversorgung im Bereich der Rückenmarksnarbe oder des Rückenmarks selbst könnten Ursachen sein.

Das sogenannten Blasentraining kann verschiedene Therapien meinen:

1. Training des äusseren Blasenschliessmuskels. Dieser ist als Teil des Beckenbodens nicht dem autonomen Nervensystem zugeordnet, sondern gehört zur Willkürmotorik. Ein Fussgänger kann Darmausgang oder Blasenausgang willentlich zusammenkneifen und damit die betreffenden Hohlorgane schliessen. Dieser Beckenboden kann mit Beckenbodentraining trainiert werden, wie jeder andere Skelettmuskel auch.

2.Bei gelähmten Patienten mit Dauerkatheter schrumpft die Blase nach einiger Zeit, da der Urin ja immer sofort abfliesst und die Blase nie gefüllt und gedehnt wird. Man versucht dann vor Entfernung des Dauerkatheters über einige Zeit, diesen abzuklemmen und so die Blase wieder zu dehnen.

Beide Therapieformen führen wir oft durch. Ich kann nicht sagen, welche der beiden Therapien bei deinem Kollegen zum Erfolg führte. Wahrscheinlich eher das Beckenbodentraining. In jedem Fall sind beide Varianten in deiner Situation nicht hilfreich. Das Problem ist die geringe Blasenkapazität, und es wäre für diech wahrscheinlich kaum aushaltbar, mit dem Katheterisieren zu warten. Abgesehen von den dabei möglichen negativen Auswirkungen auf Niere oder autonome Dysreflexie (Blutdruckerhöhungen).

Bitte halte uns auf dem Laufenden hier, der Fall ist sicher auch für Andere lehrreich und interessant.

 

Beste Wünsche für eine baldige Genesung und

 

herzliche Grüsse

 

Dein Dr. JEAN

 

 

  1. vor über einem Monat
  2. Frag den Doktor
  3. # 1 3
Salieri Angesehener Autor
Akzeptierte Antwort Pending Moderation

Lieber Dr. Jean,

 

danke für die hilfreiche Antwort.

Auf meine alten Tage werde ich alles tun, um den Beckenboden mit einem entsprechenden Training (gibt es reichlich im Internet) zu ertüchtigen. Die paar Übungen dazu kann man leicht in sein tägliches Training mit einfügen.

Psychisch soll ja auch Einiges möglich sein, z.B. indem man der nervigen Blase ein entschiedenes "Nein - jetzt nicht!" entgegenhält. Klar ist hierbei, dass der Erfolg wohl nicht ganz so großartig ausfallen wird wie bei denjenigen, die kein Rückenmarksproblem haben. Vor allem aber der zu befürchtende anfängliche Misserfolg, der kaum zu vermeiden sein wird, führt leider zwangsläufig immer dazu, dass es leider gelegentlich (im engen Sinne des Wortes) "in die Hose" gehen wird. Und das muss man erstmal aushalten!

Bei meinem fast 70-jährigen Lebensalter werde ich mich anstrengen müssen, aber alles passiert weitgehend zu Hause und nicht mehr im Dienst, und das erleichtert vieles.

Ich werde mich melden, wenn es Fortschritte gibt.

Salieri

  1. vor über einem Monat
  2. Frag den Doktor
  3. # 1 4
  • Seite :
  • 1


Es gibt noch keine Antworten zu diesem Thema.
Sei der Erste, der antwortet!