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Frag den Doktor

  1. Salieri Angesehener Autor
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  3. Mittwoch, 14. März 2018
Sehr geehrter Herr Dr._Hans
Zum Einsatz der sakralen Neuromodulation (sNM), häufig auch Blasenstimulator genannt, ist zu erfahren, dass Rückenmarksverletzten (RMV) mit überaktiver Blase und einem hohem Restvolumen an Harn in der Blase sowie einer Mastdarm-Trägheit durch Stimulation der Sakralnerven mit einem Schrittmacher mit gutem Erfolg geholfen werden kann.
Für mich war es sehr erfreulich, dieses auch von Teilnehmern am paraplegie-Forum (vor allem Hutsch) direkt erfahren zu können. Deshalb werde ich mir in der allernächsten Zeit mit hoher Wahrscheinlichkeit und nach erfolgreicher Testphase einen solchen Schrittmacher implantieren lassen.
Meine Frage hierzu:
Eine Folge meines Unfalls (Sprung vom Stuhl in den Stand gleichzeitig auf beiden Fersen) war neben der RMV ein unangenehmer Sitzschmerz im linken Gesäß, der sich schon nach wenigen Tagen einstellte. Durch vielerlei Untersuchungen mit CT und MRT, Lokalbetäubungen an allen möglichen Stellen, Botox-Injektionen (Piriformis) usw. usw. hat man bisher keine Ursache dieses bohrenden und stechenden Schmerzes feststellen können, geschweige denn irgendwelche Therapien empfohlen, die mir weiterhelfen können.
Neben dem geschilderten Schmerz ist vor allem ein fortwährender Hartspann in den Hamstrings (links) und starke Taubheitsgefühle im linken Bein + Fuß, vor allem beim Autofahren und Sitzen am Schreibtisch, verbunden.
Möglicherweise kann sogar darauf mein bisher ungeklärter Leistungsverfall beim Gehen zurückgeführt werden.
Also liege ich, sooft es eben geht.
Eine neue Möglichkeit, Schmerzen im Beckenbereich zu behandeln bzw. zu unterdrücken, ist die neuronale Modulation einschlägiger Nerven im Plexus sacralis.
Hierzu möchte ich nun gerne wissen, ob die oben genannte Behandlung von Blase und Darm durch Auflegen von Elektroden auf die Zielnerven kombiniert werden kann mit einer Behandlung durch der Reizung derjenigen Nerven, die den Beckenschmerz verursachen. Dieses natürlich unter "Verwendung" des gleichen Schrittmachers (Interstim).
Spricht aus ärztlicher Sicht irgend etwas dagegen, und gibt es hierzu bereits Erfahrungen aus der Schweiz?
Ist Ihnen vielleicht hierzu bekannt, mit welcher "Erfolgsrate" der Einsatz der sakralen Elektrostimulation bei RMV mit überaktiver Blase und großen Restharnvolumen angewendet wird, und wird dieses bereits - neben der Behandlung mit Botulinumtoxin plus Katheterisierung - für RMV empfohlen?
Herzlichen Dank im voraus für die Beantwortung der Frage (n) und herzliche Grüße,
sendet Ihnen Ihr Salieri
Dr_Hans
Dr. Online
Akzeptierte Antwort Pending Moderation
Lieber Salieri!

Vielen Dank für Deinen Beitrag.

Deine Frage ist ziemlich komplex und nicht einfach zu beantworten. Ich habe mich darum auch noch mit Prof. J. Pannek, unserem Neuro-Urologen besprochen, der viel mehr Erfahrung mit der Neuromodulation hat und diese Geräte auch selbst einbaut.

Die erste Voraussetzung für einen positiven Effekt ist, dass der Patient inkomplett gelähmt ist. Ich entnehme dies deiner Beschreibung zwischen den Zeilen. Die klare Diagnose hast Du leider nicht genannt. Die Implantation der Elektroden auf die sakralen Nervenwurzeln S3 oder S4 und die anschliessende elektrische Stimulation führt zu einer Verbesserung der Nervenleitung und Informationsübertragung zwischen Blase und Rückenmark/Hirn, wie auch umgekehrt. Wie dies ganz genau funktioniert ist immer noch Gegenstand der Forschung.

Aus Erfahrung kann man jedoch sagen, dass sowohl auf die Inkontinenz, als auch auf die Blasenkapazität und die Blasenentleerung ein positiver Effekt zu erwarten ist und es damit zu kleineren Restharnmengen kommen kann. Der Erfolg ist allgemein gut, die Wirkung muss jedoch bei jedem Patienten individuell getestet werden.

Schmerzen im Beckenbereich (nicht am Oberschenkel) lassen sich ebenfalls beeinflussen, aber leider nicht so gut wie die Blase selbst. Die Wirkung auf die Schmerzen scheint auch nach einer gewissen Zeit nachzulassen.

Ich denke, eine Probeimplantation von Elektroden kann hier mehr Klarheit schaffen. Der Patient sieht nach der Testperiode am eigenen Körper, wie der Effekt nach einer definitiven Implantation sein könnte. Für den Test gibt es entweder eine temporäre Elektrode, die später durch eine definitive ersetzt werden muss oder gleich eine Definitive, die aber nicht mehr so einfach entfernt werden kann, wenn es später nicht zu einer Implantation des Schrittmachers kommt.

Die Beeinflussung der Schmerzen am Gesäss und Oberschenkel lässt sich unseres Erachtens (wenn überhaupt) nicht mit dem gleichen Gerät (Medtronic Interstim II) realisieren. Bei Dir hat man offenbar schon diverse Anläufe genommen, um dieses Problem in den Griff zu bekommen. Deine Angaben über die verschiedenen bereits erfolgten Therapien sind für eine genaue Beurteilung zu vage. Dazu musst Du Dich mit den Ärzten unterhalten, die Dich behandelt haben.

Achtung: Es gibt eine Gruppe von „Neuropelviologen“, die behaupten, dass sie auch Probleme wie die von Dir geschilderten Schmerzen und Spastik behandeln können. Diese Therapien beruhen aber alle auf experimentellen Verfahren und sind keine etablierten Behandlungen. Hier begibt man sich weit aufs experimentelle Glatteis und muss genau wissen, ob man das wirklich will.

Soviel für heute, ich hoffe das bringt etwas Licht in Dunkel.Ich wünsche Dir ein schönes Wochenende!

Dr_Hans, 16.3.2018
  1. vor über einem Monat
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  3. # 1 1
Salieri Angesehener Autor
Akzeptierte Antwort Pending Moderation
Lieber Dr._Hans,
herzlichen Dank für den sehr interessanten und informativen Beitrag.
Wenn die sakrale Neuromodulation tatsächlich bei inkomplett Gelähmten mit einer neurogenen Harn-/Blasenstörung zur weitgehenden Behebung der Symptome beitragen kann, drängt sich bei mir die Frage auf, warum dann überhaupt noch die Behandlung mit Oxybutynin, Emselect usw. bzw. die unter Einsatz von Botulinum-Toxin zur kompletten Stilllegung der Blase die derzeitige Methode der Wahl ist.
Neben solchen Effekten wie Unverträglichkeit, Verstopfung und sehr weitgehenden Abhängigkeit von der Katheterisierung müssen außerdem die hohen Kosten (Katheter, Medikamente, Untersuchungen usw.) gegengerechnet werden,
Hinzu kommen positive Wirkungen der Elektrostimulation im Sakralbereich auf etwaige Schmerzen und - wie Possover aus Zürich berichtet - auf Teilnerven des N. Ischiadicus, der die Muskeln des hinteren Beines und des Fußes innerviert.
Ist dieses alles durch ein oder zwei gut positionierte Elektroden (plus Schrittmacher) im kleinen Becken zu erreichen, erfüllt sich nicht nur der dringendste Wunsch vieler Rückenmarksverletzter nach Kontinenz, sondern obendrein auch ein Gewinn an verbesserter Beinkraft und vermindertem Schmerz.
Mit freundlichem Gruß
Salieri

  1. vor über einem Monat
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  3. # 1 2
Dr_Hans
Dr. Online
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Lieber Salieri!

Ganz so einfach wie Du Dir das hier vorstellst, ist es in Realität leider nicht, obwohl gewisse euphorische Kollegen das gerne so haben möchten.

Ein Neuromodulator ist eben nur ein „Modulator“ und nicht ein Neurokurator! So ein Gerät wird die Verhältnisse möglicherweise verbessern, aber es wird Dich nicht heilen. Und wenn dann noch jemand verspricht, dass die Schmerzen und die Spasmen im rechten Bein damit sogar ganz verschwinden, dann schaltet bei mir als Mediziner das Licht von grün auf orange!

Ich denke, jetzt wäre der Zeitpunkt gekommen, wo Du Dich mit einem Patienten treffen müsstest, der bereits einen Neuromodulator implantiert hat und Dir aus erster Hand und aus seiner persönlichen Erfahrung die Vorteile und die Nachteile erklären lässt. Wenn Du schon im Gespräch für einen Neuromodulator bist, sollte es keine grossen Schwierigkeiten geben, mit jemandem zusammenzukommen, der selbst sagen kann, wie es nach einer Implantation so läuft. Welche Medikamente müssen weiter eingenommen werden? Wie häufig kommt es zu „Unfällen“? Konnte er mit dem Katheterisieren aufhören? Wie gross ist die Restharnmenge geblieben? Wie hat sich die Infektrate entwickelt, wie hat sich die Schmerzsituation entwickelt, etc. etc.

Wenn das Blaue vom Himmel versprochen wird, werde ich leider immer ein wenig skeptisch, obwohl blau meine Lieblingsfarbe ist. Ich bin aber sicher, dass Du uns über Dein Treffen mit einem ähnlich gelähmten Patienten berichten wirst. Das wäre wirklich spannend. Vielleicht hat ja auch jemand aus der Community bereits einschlägige Erfahrung und kann uns darüber berichten?

Ich wünsche allen einen schönen Abend

Dr_Hans, 20.3.2018
  1. vor über einem Monat
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  3. # 1 3
Salieri Angesehener Autor
Akzeptierte Antwort Pending Moderation
Lieber Dr._Hans,
der Vorschlag von Dir, mit jemandem zu reden, der eine
1. Rückenmarksverletzung hat,
2. eine implantierten sakralen Neuromodulation,
3. im näheren Umkreis wohnt und obendrein
4. mir bekannt und auskunftsbereit ist,
ist generell klug und richtig, aber nicht leicht zu bewerkstelligen. Ich sehe da eigentlich in meiner Situation wenig bis keine Chancen, zumal ich so gut wie keinen RMV kenne. Das letztemal hatte ich vor genau 5 Jahren in der Schmieder-Klinik in Konstanz genau 2 Patienten mit RMV getroffen, beide Tetra, beide gute Läufer und nur einer der beiden hatte ein Blasenproblem.
Da sind die Verhältnisse im QS-Zentrum in Nottwil doch sicher besser, zumal dort auch die sakrale NM bei RMV eingesetzt werden. Sind da eigentlich keine "Erfolgsraten" zu erfahren?
Ich habe glücklicherweise im paraforum eine Person kennengelernt, die bei gleicher Läsionshöhe wie ich durch die sNM tatsächlich kontinent geworden ist, ohne jede Einschränkung.
Darüberhinaus bin ich jedem weiteren RMV mit sakraler Neurostimulation dankbar, wenn er hier über seine Erfahrungen berichtet.
Ich habe übrigens heute im KH-Trier in der Neurochirurgie erfahren, dass man auch durch Neuro-Stimulation am Rückenmark seine Blasenprobleme beheben kann, allerdings nicht mit den Erfolgsraten wie bei der sakralen Stimulation. Dafür hat diese Sache aber den Vorteil, dass sie sehr gut gegen Schmerzen einsetztbar ist und vorher gut ausprobiert werden kann, bevor man sie endgültig implantieren läßt.
Ich habe hierzu abgewunken, weil mich persönlich nur die Neurostimulation im Sakralbereich interessiert, wo ich nach meinen bisherigen Recherchen im Internet, der Literatur und Gesprächen mit Ärzten eine rel. hohe Erfolgsquote erwarten kann. Dieses bezüglichBlase, Darm, Reduzierung von Beckenschmerz (diesen Effekt kann man dabei eigentlich gar nicht "verhindern";), mit ein bißchen Glück auch eine Verbesserung der Laufmotorik (durch Mitreizung der Ischiadicus-Sacralnerven) und Reduzierung von lästigen Zuckungen (Spastik?) meines teilgelähmten rechten Beines.
Blase, Darm und Beckenschmerz zusammen in einem "Abwasch" werden eigentlich von mehreren Kliniken in Deutschland durch sNM angeboten; bei Blase/Darm mit 70-80 % Wahrscheinlichkeit und bei Schmerzen heißt es mit "deutlicher Reduzierung".
Nun will ich mit diesem Beitrag nicht unbedingt als naiv und allzu euphorisch auffallen, aber die Vorteile der sNM gegenüber der konventionellen Therapie (Botox, Oxybutynin, Katheter und - vor allem - Vermeidung von Blaseninfekte) sind schon evident.
Wofür ich mich auch immer in den nächsten Wochen entscheiden werde, ist noch offen; ich werde jedenfalls hier im Forum davon berichten.
Herzliche Grüße und einen schönen Abend noch,
Salieri
  1. vor über einem Monat
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