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Porträts & Geschichten

Überrascht, wie gut es bis jetzt geht

Ein Tauchunfall macht Claudia Knobel zur inkompletten Tetraplegikerin. Zweieinhalb Jahre später wird sie überraschend schwanger.

Ein Tauchunfall macht Claudia Knobel zur inkompletten Tetraplegikerin. Zweieinhalb Jahre später wird sie überraschend schwanger.

Es ist Juli 2015, Sommer, Sonne, Meer – die schönste Zeit im Jahr. Claudia verbringt Tauchferien mit ihrer Schwester und Freundinnen auf der Insel Brac in Kroatien. Gleich am ersten Tag ist ein Tauchgang vor der Nachbarinsel Hvar geplant. Am Ende des entspannten Tauchgangs, beim Aufstieg an die Wasseroberfläche, passiert es: Claudia fühlt sich plötzlich müde und schwach. Sie kann den anderen Tauchern kaum mehr hinterherschwimmen, hat Augenflimmern. Sie erinnert sich: «Ich hatte eigentlich nicht das Gefühl, dass es mir sehr schlecht ging. Aber oben angekommen, habe ich anscheinend viel wirres Zeug geredet.»

Sofort wurde die junge Frau mit einem Rettungsboot nach Split in die Dekompressionskammer gebracht. In dieser musste sie täglich mehrere Stunden verbringen. Zu diesem Zeitpunkt war sie komplett gelähmt, konnte nur den linken Arm leicht heben und hatte heftige Nervenschmerzen. Sehr schlimme Tage seien das gewesen, auch für die Familie, die von zuhause aus den komplizierten Rücktransport organisieren musste.

Diagnose und Reha

Nach vier Tagen in Split wurde Claudia mit der REGA nach Genf geflogen. Während drei Wochen lag sie auch dort mehrere Stunden täglich in der Dekompressionskammer – elend viel Zeit für trübe Gedanken. Täglich waren mehr Bewegungen möglich. Und doch zeigten die medizinischen Abklärungen eine klare Verletzung des Rückenmarks, verursacht durch eine Gasblase. Claudia erhielt die Diagnose inkomplette Tetraplegie (sub. C5).

Einen Monat nach dem Unfall wurde Claudia nach Nottwil verlegt. «Ich habe mich dort sehr gut aufgehoben gefühlt und gute Leute kennen gelernt, mit denen ich mich austauschen konnte.» Diese intensive Zeit wurde von einem strengen Therapieplan bestimmt, jede Pause wurde mit Eigentraining gefüllt. Nach ein paar Monaten konnte sie wieder erste Schritte an Stöcken gehen.

Zurück im alten, neuen Leben

Im April 2016, neun Monate nach dem Unfall, war die Rehabilitation in Nottwil abgeschlossen. Es ging zurück nach Hause. Nochmals ein schwieriger Schritt, wie Claudia nachdenklich sagt. Zurück in ihr «altes» Leben. Ihr Leben, das sie neu ordnen musste. Sie musste sich den Herausforderungen des Alltags mit eingeschränkter Mobilität stellen sowie den körperlichen Beschwerden, wie die regelmässig wiederkehrenden, quälenden Blasenentzündungen.

Von ihrem Arbeitgeber, der Primarschule in Pfäffikon SZ, hatte Claudia noch während der Rehazeit signalisiert bekommen, dass sie als Heilpädagogin weiterarbeiten könne. Im Mai 2016 startete Claudia erst einmal mit einem «Mini-Pensum». Die Arbeit an der Schule sei für sie eine wertvolle Abwechslung gewesen. Ihr Alltag pendelte sich langsam ein. Bis dann eineinhalb Jahre später ein weiteres Ereignis Claudias Leben – im positiven Sinne – erneut auf den Kopf stellte.

Wunderbares Weihnachtsgeschenk

Nach dem Unfall hatten Claudia und ihr Partner Martin den Wunsch nach einem Baby eigentlich erst einmal hinten angestellt, insbesondere weil man in den ersten drei Jahren nach einem Unfall die grössten Fortschritte mache. Die Schwangerschaftsanzeichen habe sie darum eine Zeit lang nicht deuten können: «Ich sagte zeitweise im Scherz, ich hätte einen Bandwurm. Meine Verdauung war permanent gestört und mir war immer etwas unwohl.» Der positive Schwangerschaftstest sei im ersten Moment ein Schock gewesen. «Nur die riesige Freude meines Freundes Martin beruhigte mich.»

Claudia hatte bis auf die nervenaufreibenden Blasenentzündungen (die Medikamente zur Beruhigung ihrer spastische Blase musste sie absetzen), Sodbrennen und Rückenbeschwerden, eine sehr gute und problemlose Schwangerschaft. Bis eine Woche vor Geburt konnte sie die Trainings- und Physiotherapie absolvieren. Ihre Gynäkologin sei nicht auf querschnittgelähmte Frauen spezialisiert gewesen, hätte sie aber hervorragend betreut: «Sie war sehr vorsichtig und hat mich zu weiteren Spezialisten geschickt.»

Zusammen mit Martin nahm sie das Beratungsangebot von Dr. Jakob Evers, Gynäkologe und Spezialist für Frauen mit Querschnittlähmung, in Anspruch. Dieser zog sowohl eine natürliche Geburt, als auch einen Kaiserschnitt für Claudia in Betracht. Da das Baby kurz vor Geburtstermin falsch herum lag und Claudia nicht riskieren wollte, die Wehen nicht zu spüren oder bei der Geburt nicht genügend pressen zu können, entschied sie sich für einen geplanten Kaiserschnitt in der Schwangerschaftswoche 37+5. Am 19. Dezember 2017 kam die kleine Nina auf die Welt.

Tipps von Paramamas

Seit Mai 2018 lebt das junge Paar nun in einer komplett rollstuhlgängigen Wohnung in Benken SG. Eine grosse Erleichterung für die frischgebackenen Eltern.

Rat für den Umgang mit Nina habe Claudia vor allem von Erfahrungsberichten anderer Paramamas erhalten. Sie meint weiter: «Ich hatte auch eine Trageberatung, um herauszufinden, welche Trage für mich trotz eingeschränkter Schulter- und Handfunktion am besten war. Schlussendlich habe ich Nina aber nicht häufig im Tuch getragen und im Haushalt war die Tragehöhe oft zu gefährlich. Zum Glück habe ich sie gut hinlegen können und sie war zufrieden.» Zudem hat Claudia einen unterfahrbaren Wickeltisch und ein Babybett, das auf der Seite aufgeklappt werden kann. Keine Spezialanfertigung, sondern per Zufall ein altes Bettchen aus dem Familienbestand.

Claudia geht oft kurze Strecken mit dem Kinderwagen spazieren. In der Wohnung bewege sie sich im Rollstuhl fort: Mit ihrem linken Bein, dem stärkeren, könne sie den Rollstuhl bewegen, mit der rechten Hand gegensteuern und mit der Linken Nina festhalten. Sie hat nun auch einen Hüftgurt, um Nina, die jetzt selber auf Claudias Beinen sitzt, zusätzlich sichern zu können. Wenn sie mal einen etwas längeren Ausflug mit ihrer Tochter machen will, dann setzt sie sie in den Veloanhänger und erkundet mit ihrem Elektroliegevelo die Linthebene. Sie meint aber, dass gerade das sehr häufige Katheterisieren eine grosse Einschränkung darstelle. So müsse sie immer schauen, wo und ob es eine Toilette in der Nähe habe.

Ein Mann, der viel mithelfen muss

Auf die Frage, ob Claudia auch ihrerseits Tipps für zukünftige Paramamas habe, betont sie die wichtige Rolle der Familie – insbesondere die Rolle ihres Partners Martin. Dieser ist übrigens seit kurz vor der Geburt, nach 17 gemeinsamen Jahren, ihr Ehemann. «Martin hat mich sogar mitten im tiefsten Loch zum Lachen gebracht. Er hat nach meinem Unfall sein Pensum auf 80% reduziert und muss viel mithelfen – die Nachbarn amüsieren sich bereits über die vielen Taschen, die ich immer für ihn zum Schleppen neben dem Auto deponiere. Auch nach dem Kaiserschnitt war er einen ganzen Monat zuhause und hat mich bei der Versorgung von Nina unterstützt.» Heute hat Martin, sozusagen dank dem Unfall, einen Papi-Tag. Zudem geht die bald ein Jahr alte Nina einen Tag in die Kita und an einem Tag wechseln sich die beiden Grossmütter ab. Claudia arbeitet nun in einem 30%-Pensum (an drei Morgen) und hat an zwei Nachmittagen Physiotherapie und Krafttraining.

«Eis nachem andere»

Man merkt, dass Claudia eine sehr gelassene Mama ist und eins nach dem anderen nimmt: «Generell ist es so, dass Nina oft etwas länger warten muss, beispielsweise wenn ich das Auto belade. Aber sie kennt es ja nicht anders. Sie ist ein perfektes Baby für Anfänger und ich bin überrascht, wie gut es bisher läuft. Mal schauen, wie es wird, wenn sie dann zu laufen beginnt», sagt Claudia mit einem zuversichtlichen Lächeln.

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