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Porträts & Geschichten

«Das Leben ist immer lebenswert»

Peter Roos kämpft sich zurück ins Leben

Manchmal braucht es wenig, und das Leben gerät aus den Fugen. Bei Peter Roos war es ein unüberlegter Köpfler in einen verlockend kühlen Pool in Florida – der zu wenig tief war. Der damals 25-Jährige schlug mit dem Kopf auf dem Grund auf und brach sich den fünften und den sechsten Halswirbel. Drei Monate lang hatte er mit einem Freund durch die USA touren wollen. Doch nach einem Monat war der Traum vorbei. Vier Wochen nach dem Unfall tauchte Peter Roos im Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ) in Nottwil aus der Bewusstlosigkeit auf. Er konnte weder sprechen noch sich bewegen. Sieben Jahre sind seither vergangen.

In dieser Blog-Serie auf unserer Community präsentieren wir Geschichten von Menschen mit Querschnittlähmung – ihren Unfall, ihre Rehabilitation und ihre Rückkehr ins Leben. Manche der Artikel wurden von der Schweizer Paraplegiker-Stiftung geschrieben, andere wurden erstmals in einer Zeitung oder Zeitschrift publiziert.

Auszug aus dem Artikel «Das Leben ist immer lebenswert» von Annette Wirthlin / Schweizer Familie, Ausgabe Nr. 4/2017
Bilder: Mischa Christen / Dieter Hähnel
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Peter Roos und Annette Wirthlin / Schweizer Familie

Peter Roos, hier bei der Lidowiese in Luzern, bleibt trotz des Schicksalsschlags ein Optimist: «Ich habe ein Riesenglück, überhaupt noch hier zu sein.»

Peter Roos ist Tetraplegiker, das heisst, er ist halsabwärts gelähmt. Die Arme kann er nur sehr eingeschränkt bewegen, die Hände gar nicht. Er sagt Sätze wie: «Ich habe ein Riesenglück, überhaupt noch hier zu sein.» Oder: «Wenn ich sehe, wie die Sonne den Pilatus bescheint, denke ich: Wow! Schön, dass ich in der Schweiz leben darf.» So viel Dankbarkeit und Lebensfreude überraschen.

Menschen wie Peter Roos sind gute Beispiele dafür, dass selbst schwere Schicksalsschläge nicht das Ende sein müssen. Das weiss auch Andreas Hegi, Leiter Psychologie im SPZ Nottwil: «Viele Menschen denken, sie würden nicht mehr weiterleben wollen, wenn sie auf einen Rollstuhl angewiesen wären», so Hegi. «Aber die meisten, die tatsächlich in diese Situation kommen, wollen sehr wohl weiterleben.»

Anfangs wollte auch Peter Roos aufgeben. Es schien ihm kein lebenswertes Leben zu sein, wenn er sich seiner Umgebung nur noch durch Blinzeln mitteilen konnte. Er versuchte seinen Eltern und Ärzten klarzumachen, sie sollten die Beatmungsmaschine abstellen. «Weil sie mir diesen Gefallen nicht taten, stellte ich quasi selber ab, indem ich einfach die Augen schloss, sobald jemand den Raum betrat.» Das zog er eine Woche lang durch. Bis ein Pfleger ihn schüttelte und anherrschte: «Junge, gib nicht auf, das Leben geht weiter.» Der Pfleger hatte danach ein schlechtes Gewissen. Doch es sei das Beste gewesen, was er tun konnte, ist Peter Roos heute überzeugt.

Voller Einsatz: Peter Roos (r.) bei der Rollstuhl-Rugby-EM im letzten Herbst.

Kleine Erfolgserlebnisse

Nach und nach kämpfte sich Peter Roos zurück ins Leben. Er lernte wieder sprechen und selbständig essen, schaffte es irgendwann, sein T-Shirt selbst auszuziehen. «Wöchentlich gab es kleine Erfolgserlebnisse, über die ich mich freuen konnte.» Natürlich habe es auch traurige Momente gegeben. Etwa, als ihm bewusst wurde, dass er nie mehr würde Fussball spielen oder Ski fahren können. Dafür weckte das Rollstuhl-Rugby seinen Ehrgeiz. «Wenn die das können, werde ich es auch schaffen», habe er sich damals, beim ersten Besuch des Trainings während seiner Zeit in Nottwil, gesagt. Inzwischen hat er mit der Clubmannschaft internationale Turniere gewonnen und mit dem Nationalteam an der Europameisterschaft teilgenommen. 

Positive Einstellung

Peter Roos erwähnt, dass sich eine Bekannte das Leben genommen hat, weil sie dem Leben im Rollstuhl keinen Sinn abgewinnen konnte. Doch er findet: «Das Leben ist immer lebenswert. Du musst es nur erkennen – und das Beste daraus machen.»  Peter Roos hatte das Glück, immer auf starke Familienbande zählen zu können. Auch viele alte Freunde sind ihm treu geblieben. Menschen, die wissen, dass er nicht gerne mit Samthandschuhen angefasst wird und kein Mitleid braucht. «Wenn ich mal wieder eine Furzidee habe, sagen die mir auch mal: Vergiss es, auf den Berg schieben wir dich nicht hoch!»

Aber seine Beziehungen hätten sich auch verändert. Weil er heute auf die Hilfe anderer angewiesen sei, gebe er seinen Mitmenschen öfter etwas zurück. «Früher war ich viel egoistischer.» Heute wisse er, wie wichtig es sei, Mama einfach mal anzurufen und zu fragen, wie es ihr geht. «Früher brachte ich nur die Wäsche vorbei.» Weil er seit dem Unfall ein besserer Zuhörer geworden sei, habe er zudem mehr Freundschaften mit Frauen als früher. Überhaupt sei er geduldiger geworden, erzählt Peter Roos. «Wenn früher etwas nicht gleich funktionierte, war ich sehr schnell genervt.»

Es gab auch traurige Momente: Etwa, als Peter Roos realisierte, dass er nie mehr zusammen mit seinen Freunden würde Ski fahren können.

Grosse Freude

Auf die Frage, ob er alles hergeben würde, um wieder laufen zu können, bleibt das erwartete «Ja, klar» aus. «Wieder laufen oder mit den Fingern etwas greifen zu können, wäre toll», antwortet er. «Wenn ich dafür aber all die positiven Erlebnisse und Begegnungen seit dem Unfall hergeben müsste, würde ich es mir zweimal überlegen.» Ohne den schicksalhaften Köpfler in Florida hätte er auch seine heutige Freundin nie kennengelernt: Die Ergotherapeutin am SPZ war Schiedsrichterin bei den Rugby-Turnieren seiner Mannschaft. Heute wohnen die beiden in einer rollstuhlgängigen Wohnung in Luzern und sind kürzlich Eltern einer gesunden Tochter geworden.

Wir freuen uns über Eure Kommentare zu Peter Roos‘ Geschichte – und über Eure Geschichten!

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