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- 28. September 2016
- robert_old
Vorgestern war ich mit andern Rollstuhlfahrern zu einer kleinen Podiumsveranstaltung eingeladen. Verschiedene Berufsvertreter aus der Reha-Szene nahmen teil.
Kernthema war, wie denn das Angebot für Frischverletzte auszurichten sei. Welche Fragen drücken am stärksten, harren schneller und klarer Antworten. Wir waren uns schnell einig: Auf der Intensivstation geht's um die Existenz, ums Überleben, um die Heilungschancen.
Überleben wirst du, heilen können wir dich kaum, lauten die klaren Antworten. Es folgt ein nicht erbetener Zusatz: Der Lauf deines Lebens bekommt einen neuen Drall.
Dieser harte Schlag wird zur Einsicht. Sie setzt schon bald grosse Energien frei. Sie führen zu weiteren Fragen: Wo stehen wir, jetzt, wo sich alles verändert hat? Wie entwickeln sich unsere Beziehungen zu den Mitmenschen? Die Antworten auf diese Fragen sind nicht klar, wir müssen sie erarbeiten. Den Angehörigen, den Freunden und Arbeitskollegen ergeht es nicht besser. Sie haben erst recht keine Antworten, nicht einmal unklare. Vielfach sind wir es, die sie beschwichtigen müssen. Wir sind dazu in der Lage, weil wir wissen, dass es nur einen Weg gibt – den zum Leben, zurück zu den andern. Wir wollen mit ihnen sein.
Ernsthafte Einwände zu unserer These gab es keine: Nach den existentiellen Ängsten plagen uns Befürchtungen und Zweifel, wie wir uns sozial wieder einbetten. Dagegen sind Geld, Wohnort und Karriere vergleichsweise nebensächlich.
Diese Erkenntnis tröstet mich. Nicht nur ich, alle sind wir verunsichert, vielleicht sogar verklemmt und verkorksen's dann und wann mit andern. Vor nunmehr zehn Tagen habe ich mich unsterblich verliebt. Jasmin heisst sie. Ich flehe sie an. Sie, die Stylistin, betreute mich wundersam zärtlich bei einem Fototermin, zu dem ich eingeladen worden war. Seither geht sie mir nach. Ich erinnere mich an jeden Moment im Studio. Wie kann ich sie wieder sehen?
Immerhin, ich habe ich ihr geschrieben. Ich habe mich bei ihr bedankt und sie gepriesen. Sie war ja so einfühlsam mit mir, dem Rollstuhlfahrer! Sie antwortete schnell. Auch sie habe die Begegnung in guter Erinnerung, ich sei so fotogen. Mein Humor gefalle ihr besonders. Bedeutet das, dass auch sie sich verliebt hat? Wenigstens ein bisschen? Das zu wissen, gäbe mir Klarheit und eine Aufgabe: Ich würde sie zu bezirzen, bis sie mich förmlich begehrt.
Ich bin wieder dort, wo ich einige Wochen nach meinem Unfall war. Die Antworten sind nicht klarer geworden.