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Sport und Medien: Liebesbeziehung in allen Bereichen?

Autorin der Zusammenfassung: Sue Bertschy (Schweizer Paraplegiker-Forschung)
Originalartikel: Bertschy S, Reinhardt JD. Disability Sport in the Swiss Media. In: Schantz OJ, Gilbert K, eds. Heroes or Zeros? The Media's Perceptions of Paralympic Sport. Common Ground Publishing; 2012.
 

Sport mit einer Körperbehinderung ist in den Medien nicht nur unterrepräsentiert, sondern auch die Art der Berichterstattung unterscheidet sich. Im Jahr 2012 wurde in der Zeitschrift „Paracontact“ die Zusammenfassung einer Studie veröffentlicht, die sich mit den Unterschieden in der Berichterstattung von den Olympischen und den Paralympischen Spielen in Peking 2008 beschäftigt hat. Aus Anlass der Paralympischen Winterspiele, die im Frühjahr 2014 in Sotschi stattfinden, präsentieren wir den Artikel hier im Forschungsportal.

In den vergangenen drei Jahrzehnten hat die Forschung im Bereich Sportjournalismus an Bedeutung gewonnen. Die Mehrheit der Studien bemängelte die Sportberichterstattung aufgrund ihrer metaphorischen Sprache, der Unterrepräsentation von Frauen, der fehlenden Hintergrundberichterstattung, aber auch wegen des hohen Grades der Fokussierung auf die Person (Personalisierung) und auf nur wenige Sportarten. Randsportarten, im Speziellen der Behindertensport, führen ein Schattendasein in der Presse und werden gegenüber den populären Sportarten selten mit Leistungssport assoziiert.

Die Medien bilden eine nicht zu unterschätzende und oft die einzige Informationsquelle über das Leben und Leistungsvermögen von Menschen mit Behinderungen. Der Mediensport erfüllt auch eine „soziale Funktion“, indem er Identifikationen mit Sportlern und emotionale Bindungen, sogenannte „parasoziale Beziehungen“ ermöglicht. Vor allem die Personalisierung in der Sportberichterstattung bildet eine wichtige Grundlage für Identifikationsprozesse seitens der Leser. Dies ermöglicht den Lesern, sich an positiv herausgestellten Eigenschaften der Sportler zu orientieren.

Ausgangspunkt einer wissenschaftlichen Arbeit bei der Schweizer Paraplegiker-Forschung (SPF) war die Vermutung, dass es bedeutende Unterschiede in der Sportberichterstattung über Athleten mit und ohne Behinderung gibt. Wissenschaftler analysierten anhand diverser Theorien alle Sportartikel über die Paralympischen und Olympischen Spiele in Peking 2008, die in einem Zeitraum von acht Monaten in der deutschsprachigen Schweizer Tages- und Wochenpresse erschienen waren.

Berichterstattung der Schweizer Presse über die Spiele in Peking 2008

Die Ergebnisse zeigten, dass die Medien ein eher einseitiges Bild der Spiele vermittelten. In den Deutschschweizer Zeitungen wurden drei Mal so viele Artikel zu den Olympics wie zu den Paralympics gefunden. Bezüglich inhaltlicher, formaler und gestalterischer Merkmale der Sportberichterstattung wurden Differenzen innerhalb der Berichtsart festgestellt. Kurzmeldungen und im Generellen kürzere Beiträge kennzeichneten die Berichterstattung über die Paralympics. Im Falle der Olympics war dagegen das Spektrum an verschiedenen Formaten, z.B. Reportagen und Glossen, wesentlich grösser.

In jedem fünften Bericht über die Olympischen Spiele rückten auch Athleten aus anderen Ländern ins Visier. Beliebt waren die Erfolge und Rekorde der Überflieger Michael Phelps und Usain Bolt. Einen quasi rein nationalen Bezug wies die Berichterstattung über die Paralympics auf. Die Presse berichtete ausschliesslich über Schweizer Erfolge und klammerte ausländische Siege oder Konkurrenz aus der Berichterstattung aus. Weiter waren stets Spitzenresultate für eine Medienpräsenz gefordert. Diplomplätze reichten im Gegensatz zu den Olympics nicht aus. Bei beiden Spielen lag der Fokus bei den Bildern wie auch im Text auf dem Männersport. Nur jedes fünfte Bild zeigte eine Frau.

„Ich bin Fan von dir“

Die fehlende Aufmerksamkeit in der Berichterstattung über die Paralympics lag vielleicht daran, dass die Faktoren „Bekanntheit“ sowie „Attraktivität der Athleten“ (Prominenz) fehlten. Deshalb richteten die Forscher in der Studie das Augenmerk auch auf Personalisierungsfaktoren innerhalb der Berichterstattung.

Sie stellten fest, dass nur in den Berichten über die Paralympics das persönliche „Schicksal“ der Athleten und die „Bewältigung des Alltags“ enthalten war (siehe Tabelle 1). Anhand des Beispiels der beiden Radsportler Heinz Frei (Paralympics) und Fabian Cancellara (Olympics) liessen sich die Unterschiede besonders gut beobachten. Die Personalisierung bei Frei erfolgte vor allem über die behinderungstypischen Kategorien „Schicksal“ und „Bewältigung des Alltags“, während bei Cancellara häufiger Themen wie Charakter, Familie usw. angeführt wurden.

Tabelle 1: Personalisierungs-Indikatoren

Prominenz- und Personalisierungsgrade sollten bei Sportlern mit einer Behinderung erhöht werden, damit ihre Sportarten Publikumsinteresse erlangen und darüber hinaus wichtige marketingrelevante parasoziale Beziehungen möglich werden. Schicksalstories sollten nicht permanent bemüht werden müssen, um Medienpräsenz oder Werbeeinnahmen generieren zu können, wie im Falle der fünffachen Goldmedaillengewinnerin im Schwimmen, Natalie du Toit: „Nicht die Medaillen an Paralympics bringen mir Sponsoren und Aufmerksamkeit. Ich weiss, dass es meine Art und meine Geschichte sind, die faszinieren.“

Abbildung der sportlichen Leistungen und des Erfolges in den Medien

Ein weiterer wesentlicher Bestandteil der Sportberichterstattung ist die Analyse der sportlichen Leistungen. Die Studie zeigte deutlich, dass der Leistungsaspekt bei den Paralympischen Artikeln geringer thematisiert wurde. Die Forscher untersuchten das Auftreten von Begriffen und Themen, die im Zusammenhang mit Hochleistungssport häufig verwendet werden wie „Leistungsziele“, „Profi“, „Trainingseinheiten“, „Trainer“ etc. Diese wurden bei den Paralympics durchschnittlich 1,02 Mal pro Artikel erwähnt und somit deutlich seltener als bei den Olympischen Spielen (1,66 Mal).

Ähnlich verhielt es sich bei der konkreten, vertiefenden Analyse der jeweiligen sportlichen Leistungen (siehe Tabelle 2). Häufig genannte Erfolgskriterien bei den Olympischen Berichten waren die Vorbereitung auf einen Wettkampf, die Wettkampfbedingungen am Tage selbst und die Konkurrenz am Start. Bei den Artikeln über die Paralympics hingegen wurden solche Erfolgskriterien deutlich seltener erwähnt.

Tabelle 2: Erfolgskriterien

Durch die mediale Würdigung der sportlichen Leistung – und nicht des persönlichen Schicksals – erhalten Sportler mit Behinderung Genugtuung für die Bemühungen, ihre Ziele zu erreichen. Heinz Frei formulierte dies sehr treffend: „Ich muss mich hinter keinem Nati A-Fussballer verstecken. Mein Aufwand ist genauso intensiv und professionell, evtl. noch bedeutender. Ich kann mir keine Eskapaden leisten. Mein Körper ist mein Kapital und deshalb muss ich meinen Alltag diszipliniert angehen und Selbstverantwortung tragen“ (Heinz Frei, 2009).

Heinz Frei, 15-facher Goldmedaillengewinner bei den Paralympics

Sportlern mit Behinderung gebührt die gleiche mediale Aufmerksamkeit wie nicht behinderten Athleten. Über sich zu sprechen und Einblick in den Alltag zu gewähren ist wichtig – darüber hinaus sollten die Medien aber auch über Aspekte wie sportliche Leistungen, Erfolge und die Konkurrenzsituation berichten.

Diese Studie untersuchte die Spiele in Peking im Jahr 2008. Leider liegt keine aktuellere wissenschaftliche Untersuchung vor, doch es gibt Hinweise darauf, dass sich die Medienpräsenz der Paralympics seither verbessert hat.

aus Paracontact 2/2012, Schweizer Paraplegiker-Vereinigung (aktualisiert)

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