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Gesellschaft

Blossgestellt – muss das sein?

Im pflegerischen Alltag müssen wir würdevoll miteinander verkehren. Mit Humor kriegen wir das leichter hin

Im pflegerischen Alltag müssen wir würdevoll miteinander verkehren. Mit Humor kriegen wir das leichter hin

Zum wiederholten Mal kam die Pflegefachfrau der Spitex mit einer weiteren Begleitperson. Wiederum waren wir zu dritt im engen Badezimmer. Ich, die zuständige Pflegerin und eine Gafferin. So empfand ich es. Ich fühlte mich entblösst und gab mich unwirsch.

Die Ungebetene erklärte, sie arbeite im Büro und sei zuständig für die Qualitätssicherung, wolle sich mal umsehen. Andere Male hiess es, neues Personal werde eingeführt. Das leuchtete noch ein. Allerdings fiel auf, dass ich die betreffenden Personen häufig nie wieder zu sehen bekam.

So entschloss ich mich, die Leiterin anzurufen, und erklärte ihr forsch: «Ich bin weder eine Ausbildungsstätte, noch ein zoologischer Garten, noch ein Museum.» Sie nahm das stumm entgegen. Ich doppelte nach: «In den kommenden drei Monaten schicken Sie mir keine Begleitpersonen mehr.» «Wir werden sehen», antwortete sie leise.

Am besten reklamieren wir respektvoll

Fühlen wir uns von Helfern gedemütigt, so dürfen wir uns beschweren. Die einen tun das sofort, häufig vorschnell, andere warten erst mal ab, lassen den Unmut anstauen, häufig zu lange. So laufen beide Gefahr, sich von Groll leiten zu lassen, statt kühlen Kopf zu bewahren. Sie mutzen lauthals auf und beleidigen die Helfer, statt ihnen respektvoll zu erklären, wo der Schuh drückt.

wütender mann

Wer so reklamiert, erreicht wenig.

Als auf Hilfe Angewiesene sind wir ausgestellt und verletzlich. Schliesslich ist es in unserer Gesellschaft üblich, dass wir in den alltäglichen Verrichtungen selbständig sind. So kränkt es uns, wenn wir nicht genügen, regelmässig andere beanspruchen müssen, um den Tag zu meistern. Es verträgt folglich wenig, wenn was schiefläuft. Wir kommen uns dann entwürdigt vor.

Der Schweizer Philosoph Peter Bieri sagt sogar, dass unsere Würde auf der Selbständigkeit beruht. Er meint damit, dass Hilfsbedürftige ihrer Würde teilweise beraubt sind und im schlimmsten Fall ohnmächtig und erniedrigt durchs Leben taumeln müssen. Wir tun gut daran, folgert Bieri, immer würdevoll miteinander zu verkehren.

Alle sind wir eingeladen, uns daran zu halten: Die, die Hilfe erbringen, und wir, die sie brauchen. Verlangen wir zu viel, überfordern wir die Helfenden und entwürdigen sie zumindest teilweise. Gleichermassen tut es die Hilfsperson, wenn sie schnoddrig daherkommt, genüsslich ausnützt, dass wir auf sie angewiesen sind.

Auch die Scham gehört zur Würde

Im Badezimmer, unter der Dusche, auf der Toilette, geht es nicht nur um den hohen Begriff der Würde, sondern auch um das basale Schamgefühl. Es ist uns von Geburt an mitgegeben. Schon als Kleinkinder schämen wir uns, wenn uns bewusst wird, dass wir was Dummes angestellt haben; bereits in jungen Jahren beginnt es uns zu beschämen, vor anderen splitternackt aufzutreten. Wir fühlen uns hilflos und im wörtlichen Sinne entblösst, entlarvt. Auch hier gilt: Je selbständiger wir sind, desto seltener müssen wir uns ausstellen, gewinnen an Würde.

larve auf fasnachtsumzug

Ob in der Pflege oder sonst wo: Wir sollten es vermeiden, unsere Mitmenschen zu entlarven.

Selbst Unverschämte kennen die Scham. Sie überspielen sie aber und formen sie zur Schamlosigkeit um: Sie lassen sich gründlich waschen, obschon sie es selbst könnten, und beschämen die Hilfsperson mit anzüglichen Bemerkungen.

So forderte ein hoher Tetraplegiker die Pflegefachfrau der Spitex auf, noch ein «EKG» zu machen. Sie war verunsichert, antwortete, sie sei nicht geübt darin. Der Tetra erwiderte: «Eier-Kontrollgriff». Sie nahm’s zum Glück gelassen und kontrollierte, wie gewünscht, ob der Hodensack nicht zwischen den spastischen Oberschenkeln eingeklemmt war.

Humor erleichtert das Leben

Die Pflegefachfrau erwies sich als humorvoll, obschon der Tetraplegiker sie mit seinem Scherz etwas bedrängte. Sein Wunsch erinnert viele von uns an zärtlichen Sex, weniger an pflegerische Massnahmen. So verpackte er ihn sprachlich, und die Pflegerin verstand es. Gut gemacht, letztlich von beiden! Der Tetra reizte sie ein bisschen, drückte sich etwas gewagt aus, aber es wirkte befreiend, entsprach seiner Art von Humor.

patient bei der physiotherapeutin

Humor hilft uns, eigenständig zu bleiben, auch wenn’s peinlich wird.

Humor bedeutet immer, dass wir über uns stehen, eigenständig bleiben, selbst wenn’s peinlich wird. Er verhindert, dass Wutgefühle durchbrechen, denn wir wollen uns nicht entlarven, sondern über uns selbst lachen. Unsere Mitmenschen nehmen das wahr wie ein Seismograf. Sie begegnen uns so liebevoller, behandeln uns würdevoller – und kommen ohne Begleitperson, weil sie wissen, dass uns das stört.

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