Bei Unfall zahlen die Versicherungen meistens mehr als bei Krankheit
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- 16. August 2022
- fritz
Bei Unfall zahlen die Versicherungen meistens mehr als bei Krankheit
Nicht ich, die Krankenkasse drängte vergangenen Herbst darauf: Es war ein Unfall! Dabei war die Diagnose klar: «Degenerative transmurale Sehnenrupturen an der Schulter rechts.»
Alle rechnen haarscharf
In der Not regte ich mich fürchterlich darüber auf, wie sich die Vertreter der Krankenkasse benahmen. Es war indes arg durchsichtig, worauf sie hinauswollten: Bei Krankheit bin ich bei ihnen als Privatpatient versichert, bei Unfall nur ‹allgemein›. Eine zusätzliche Police bei einer anderen Versicherung deckt sämtliche weiteren allfälligen Unfallkosten für die Privatabteilung, teure Transporte und Ähnliches ab. Ein Unfall wäre also für die Kasse billiger gewesen.
Ich war gezwungen, die Unfallversicherung einzuschalten und zu erklären, wie es zu den Sehnenrissen kam. Schon 48 Stunden später lag die Antwort vor: «Das Merkmal plötzlich eintretender äusserer Gewalt fehlt. Es handelt sich um eine krankheitsbedingte Diagnose.» Der Fall war erledigt, die Krankenkasse musste geradestehen. Ich blieb als «Privater» in meinem Einzelzimmer.
Mich selbst wäre es ebenfalls billiger gekommen, wäre es ein Unfall gewesen. Der Selbstbehalt wäre entfallen, und die Versicherung hätte womöglich die Kosten für meinen abendlichen Wein, Gästeessen, Taxikosten und neue Hilfsmittel übernommen.
Verunfallte stehen besser da
Es gilt die allgemeine Regel: Bei Krankheit knausern die Versicherungen, bei Unfällen sind sie grosszügig. Bei dauerhafter Schädigung wie zum Beispiel einer Querschnittlähmung wird überdies eine sogenannte Integritätsentschädigung fällig. Verunfallten kommt entgegen, dass bei ihnen die Unschuldsvermutung gilt. Sie sind unverhofft Opfer «plötzlich eingetretener äusserer Gewalt» geworden. Die Rechtspraxis belohnt das.
Dagegen verlangt sie von uns, auch finanziell mitzufiebern, wenn wir erkranken. Hätten wir uns besser gepflegt und gehegt, wären wir gesund geblieben. Auf mich bezogen: Hätte ich meine rechte Schulter nicht während 44 Jahren im Rollstuhl so schonungslos strapaziert, wären ihre Sehnen vielleicht nicht gerissen…?
Es mag berechtigt sein, sich solches zu überlegen. Gleichwohl ist es abwegig, Erkrankten zu unterstellen, sie hätten vorsätzlich darauf hingewirkt, sich medizinisch betreuen lassen zu müssen.
Seid vorsichtig im Dialog mit Versicherungen
Die Rechtspraxis deckt sich nicht immer mit dem, was wir für gerecht empfinden. So kommt es, dass bei identischen Diagnosen die einen schmal durchmüssen, die andern beinahe vergoldet werden.
Das bedeutet: Wenn wir es mit Versicherungsgesellschaften zu tun haben, müssen wir uns vorsichtig ausdrücken. Ihre Mitarbeiter sind in Rechtsfragen gedrillt, wir nicht. Der Begriff «degenerativ» genügt, um einen Unfall auszuschliessen, ebenso das harmlos daherkommende Wortpaar «schon früher».
Sind wir bereits in einer Klinik, tun wir gut daran, mit dem Sozialdienst abzusprechen, wie wir uns gegenüber Versicherungen äussern. Sind alle verunsichert, wird es unumgänglich, Rechtshilfe zu holen. Mitgliedern der Schweizer der Schweizer Paraplegiker-Vereinigung (SPV) steht deren Rechtsberatung unentgeltlich offen. Rechtshilfe bieten auch Pro Infirmis sowie Procap an.
Zum Schluss noch ein altväterlicher Tipp an «Nicht-Betroffene»: Prüft Eure Versicherungslage, solange Ihr gesund bzw. nicht verunfallt seid! Unfallversicherungen kosten 200 bis 500 Franken im Jahr, also vergleichsweise wenig. Es lohnt sich, den besten Schutz zu wählen. Bei den Krankenkassen ist es teuer, sich ‹erstklassig› zu versichern. Besteht schon ein medizinisches Problem wie etwa eine Behinderung, ist es gar nicht möglich, sich nachträglich besser abzusichern.