«Frischluft – eine medizingeschichtliche Erzählung» spielt in Davos, Chur, Basel und Nottwil. Sie ist aufschlussreich, lebensnah, unterhaltend
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- 23. März 2023
- fritz
«Frischluft – eine medizingeschichtliche Erzählung» spielt in Davos, Chur, Basel und Nottwil. Sie ist aufschlussreich, lebensnah, unterhaltend
Es wird sie immer geben: Patienten, deren Leiden unsere lieben Mediziner nicht heilen können. So wird es auch die Orte, an denen diese Patienten unterkommen, immer geben. Vor 100, 150 Jahren waren es die Sanatorien, heute sind es neurologisch ausgerichtete Reha-Kliniken.
Bessere Zeiten erwarten, erhoffen und ‹erliegen›
Meist vergeblich erwarteten die «Schwindsüchtigen» in den Sanatorien, dass ihnen die gesunde Davoser Bergluft die lebensbedrohliche Tuberkulose (Tb) wegputze. Während Stunden hatten sie jeden Tag auf der Sonnenterrasse zu liegen. Ein Kraut gegen das «Mycobacterium Tuberculosis» gab es nicht. Das wussten alle.
In der Neuro-Reha hatten und haben wir auch viel zu liegen. Still und leise erhoffen wir uns, dass sich die gekappten Nervenenden wiederfinden. Dabei wissen wir, dass sich das nur selten ergibt. So kämpfen wir und lassen uns beibringen, wie es sich lebt, wenn das Nervensystem im Alltag versagt.
Diesem Gedanken geht mein neues Buch «Frischluft» nach.
Seite 140: «Die Chirurgen richten uns alles», erwiderte Vico. «Könnte man meinen», unterbrach ihn Samuela, die Diakonissin, und ereiferte sich: «Bei Erkrankungen des Nervensystems taugen sie nicht und wenn das Immunsystem versagt, erst recht nicht.»
Vico, der Krankenpfleger, geleitet den Leser
Durch die medizingeschichtliche Erzählung führt Vico. Er geht in Davos zur Schule, spürt seinem Grossvater nach, der dort 1922 das Kindersanatorium pro Juventute, das sogenannte «Tutti», gegründet hat. Nach der Matura entscheidet er sich, Krankenpfleger zu werden.
Kurz nach dem Diplom liefert die Sanität Cristina, eine Schulkameradin von Vico, schwer verletzt ein. Diagnose: Paraplegie auf Höhe Th12. Der Oberarzt beauftragt Vico, sie nach Basel zu begleiten.
In Basel bleibt Vico hängen. Dr. Dock, der charismatische Chefarzt, begeistert ihn. Ihm zieht er nach ins Schweizer Paraplegiker-Zentrum nach Nottwil.
So schlage ich den medizingeschichtlichen Bogen vom Kindersanatorium zur Paraplegiker-Reha-Klinik.
Seite 202: Um 9 Uhr war Vico bei Dr. Dock. «Hier sind alle auf Platz 1», begrüsste er ihn, «und sind sie es nicht, so führen wir sie dorthin, auch Sie, Herr Welser! Sie können schon morgen bei mir beginnen.» Er liess Vico nicht antworten, referierte weiter. «Diese Menschen, die querschnittgelähmten Para- und Tetraplegiker, brauchen kein Mitleid, auch keine Almosen, sie brauchen aktive Unterstützung.»
Vico lebt und liebt
Vico, der kleine Rebell, erkennt schon früh, dass uns anregende Frischluft mehr belebt und besser bekommt als nur gesunde. Zu seiner Frischluft gehören die Diakonissin Samuela, seine schrulligen Freunde, aber auch seine Patienten. Unter ihnen Cristina, mit der sich ein inniges platonisches Verhältnis bildet, und schliesslich die bildhübsche, von vielen begehrte Carol. Sie hat er gewonnen, vorübergehend verloren und wiedergewonnen. Zusammen schwelgen die beiden in der Rock’n’Roll-Musik. Das Stück «Carol», 1959 von Chuck Berry komponiert und häufig live gespielt, tut es ihnen besonders an.
Seite 70: Im Wohnzimmer schmusten sie auf dem schwülstigen samtbezogenen Sofa, entdeckten sich, bis sie sich auf den Boden legten, wo sie sich auf dem flauschigen Spannteppich innig liebten. Aus den Lautsprechern der Anlage, denen gewöhnlich nur Opern und Beethovens Neunte vergönnt waren, kam derweil rhythmisch rüber «Baby please don’t go, I love you so».
Frischluft – eine medizingeschichtliche Erzählung
von Fritz Vischer
240 Seiten, franz. broschiert
ISBN 978-3-927795-98-3