Chinesische Kampfkunst im Rollstuhl
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- 13. Juni 2018
- kitwan
Chinesische Kampfkunst im Rollstuhl
Tai-Chi, das ursprünglich zur Selbstverteidigung entwickelt wurde, ist zu einer der friedlichsten Kampfkünste weltweit geworden. Es beinhaltet langsame Bewegungen des Körpers in Kombination mit Techniken der tiefen Atmung und Entspannung. Forschungsergebnisse haben bestätigt, dass Tai-Chi für die nicht-behinderte Bevölkerung zahlreiche gesundheitliche, physische wie psychische Vorteile mit sich bringt.
Im Laufe seiner jahrhundertealten Geschichte entwickelten sich einige verschiedene Tai-Chi-Formen. Im Jahr 2006 gründete Dr. Zibin Guo, medizinischer Anthropologe und Universitätsprofessor, eine neue Form des Tai-Chi, bekannt als „Wheel-chi“. Diese Form von Tai-Chi wird sitzend ausgeübt und mit Qi Gong kombiniert, einer weiteren uralten chinesischen Kampfkunst mit einem ganzheitlichen System koordinierter Körperhaltung, Bewegung, Atmung und Meditation.
Kürzlich wurde Wheel-chi vom Kriegsveteranenministerium der Vereinigten Staaten für Veteranengruppen in Tennessee eingeführt. Es dient als eines der alternativen Gesundheitsprogramme für Veteranen. Das Ministerium hofft darauf, dass alternative Therapien wie Wheel-chi helfen, die Symptome der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) sowie die Verwendung starker Schmerzmittel bei Veteranen zu reduzieren. Nicht alle Teilnehmer an der Wheel-chi-Therapie sind Rollstuhlfahrer, aber alle verwenden während der halbstündigen Kurseinheit einen Rollstuhl, um Wheel-chi optimal praktizieren zu können.
Weitere Studien sind notwendig um herauszufinden, wie sich Tai-Chi auf PTBS, Schmerzkontrolle und Medikamentenabhängigkeit auswirken kann. Dagegen wurde die positive Wirkung von Tai-Chi (einschliesslich Tai-Chi im Sitzen) auf Personen mit chronischen Erkrankungen und Querschnittlähmung bereits von mehreren Studien bestätigt.
Wirkung auf Gleichgewicht und Muskelkraft
Eine Gruppe von Wissenschaftlern in Hong Kong führte eine Forschungsstudie zur Untersuchung der Auswirkungen von Tai-Chi im Sitzen auf Muskelkraft, Gleichgewicht und Lebensqualität bei Personen mit Querschnittlähmung (QSL) durch. 19 Rollstuhlfahrer mit QSL wurden dazu eingeladen, je nach Präferenz entweder an Aktivitäten der Tai-Chi-Intervention oder der Kontrollgruppe teilzunehmen.
Die Teilnehmer der Tai-Chi-Intervention nahmen an einem Tai-Chi-Training im Sitzen teil, welches zwei 90-minütige Einheiten pro Woche über 12 Wochen hinweg umfasste. Nach dieser Zeitspanne zeigte sich, dass sich die dynamische Sitzbalance und Handgriffstärke der Tai-Chi-Interventionsgruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe deutlich verbessert hatte.
Wirkung auf Schmerzlinderung und Wohlbefinden
Eine Gruppe von Wissenschaftlern in den USA erstellte ein Programm für Tai-Chi im Sitzen speziell für Personen mit einer Rückenmarksstörung.
26 Teilnehmer nahmen an dem 12-wöchigen Programm teil, bei dem sie sich einmal pro Woche für 90 Minuten trafen, um 20 Tai-Chi-Bewegungen zu lernen und zu üben. Nach jeder Einheit bewerteten die Teilnehmer ihr Wohlbefinden mit einen Fragebogen. Gemäss den Ergebnissen verzeichneten die Menschen mit Rückenmarksstörung direkt nach den Tai-Chi-Einheiten Verbesserungen in den Bereichen Schmerz, emotionales Wohlbefinden, geistige Ablenkung, körperliches Wohlbefinden und spirituelle Verbindung.
Tai-Chi bei Fibromyalgie
Fibromyalgie ist eine chronische Erkrankung mit weiträumigen muskuloskelettalen Schmerzen, begleitet von Schlaf-, Gedächtnis- und Stimmungsproblemen. Kürzlich führten Wissenschaftler in den USA eine Studie durch, um die Effektivität von Tai-Chi mit Aerobic-Übungen zu vergleichen, welche häufig zur nicht-medikamentösen Behandlung von Fibromyalgie angewandt werden. Die Effekte wurden mit dem Fibromyalgia Impact Questionnaire (FIQR) gemessen – einem kurzen, selbständig auszufüllenden Fragebogen, mit dem körperliche Funktionsfähigkeit, Arbeitsstatus, Depression, Angst, Schlaf, Schmerz, Steifheit, Müdigkeit und Wohlbefinden erfasst werden.
Die Studie fand heraus, dass sich diese vom FIQR erfassten Messgrössen bei den Tai-Chi-Teilnehmern stärker verbesserten als bei den Teilnehmern der Aerobic-Übungen (siehe Abbildung). Ausserdem zeigten die Gruppen mit Tai-Chi-Behandlung über 24 Wochen grössere Verbesserungen als die mit nur 12 Wochen Behandlungsdauer. Anders ausgedrückt: Eine längere Tai-Chi-Ausübung brachte grösseren Nutzen als eine kurze.
Tai-Chi mit Querschnittlähmung
Im Vergleich zu anderen Sportarten sind die Bewegungen beim Tai-Chi sicherlich weniger intensiv und haben minimale Nebenwirkungen. Deshalb ist dieser Sport sehr beliebt, besonders bei Menschen mit Schmerz- und Mobilitätsproblemen. Wollt Ihr sehen, wie diese sanfte Kampfkunst im Rollstuhl aussieht? Dann schaut Euch diese beiden Videos zu Tai-Chi im Sitzen an:
Falls Ihr nach einen Wheel-chi-Trainer sucht, schaut mal auf diese Webseite: https://www.wheelchi.com/. Jean-Baptiste, ein in Berlin lebender Franzose, ist der erste zertifizierte Trainer in Europa, der Wheel-Chi nach Dr. Guo unterrichtet. Für Interessierte bietet er zur Zeit online Wheel-chi-Unterricht an. Auf Jean-Baptistes YouTube-Kanal sind einige Demo-Videos zu finden.
Zu guter Letzt, wie bei jedem anderen Sport auch, seid Ihr angehalten, Euren Arzt zu konsultieren, bevor Ihr mit dem Training beginnt. Eine konstante Bewertung mit Eurem Arzt und Trainer hilft ausserdem dabei, das Training zu optimieren und die gesundheitlichen Risiken des Sports so niedrig wie möglich zu halten.
Habt Ihr Erfahrung mit Tai-Chi? Welchen Sport macht Ihr am liebsten und welcher bringt im Rollstuhl den meisten Nutzen?
[Übersetzung des originalen englischen Beitrags]