Die Behinderung schützt uns vor Berauschung
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- 31. Dezember 2018
- fritz
Die Behinderung schützt uns vor Berauschung
Der griechische Philosoph Epikur (341 v. Chr. – 270 v. Chr.) sinnierte, wie wir das Leben am besten geniessen können. Er kam zum Schluss, dass wir es am schönsten haben, wenn es uns gelingt, nicht leiden zu müssen. Er rät uns deshalb, unsere Zeit auf dieser Welt massvoll und sittsam zu gestalten. So wenden wir Unglück und Leidensdruck ab. Überborden wir dagegen, so rächt sich das.
Wir tun gut daran, uns an Silvester an die epikureische Weisheit zu erinnern. Dabei erweisen sich unsere Einschränkungen ausnahmsweise als geradezu hilfreich. Tetraplegiker sind förmlich privilegiert, je stärker ihre Handfunktionen beeinträchtigt sind. Sie können weder die Korken hochwertiger Weinflaschen ziehen noch berauschende Joints drehen, ihre Hände auch nicht so wölben, dass sie daraus Schnupftabak oder gar «Schnee», also weisses, kokainhaltiges Pulver, sniffen könnten.
Sehr leicht bedienbar sind für Tetras lediglich die modernen Hebel-Wasserhähne, bei uns in der Schweiz auch als Kipphähne bezeichnet. Sie lassen sich selbst mit einer gelähmten Hand leicht anheben, und es sprudelt frisches Wasser. So gelabt, verbringen sie den Silvesterabend wohlig und bedächtig, bis sie schlafen gehen. Am folgenden Tag blicken sie ausgeruht und zufrieden zurück auf den beschaulichen Abend, aber auch genüsslich und zuversichtlich ins eben angebrochene neue Jahr. Das ist epikureisch.
Gegensätzlich dazu handeln die vielen, die glauben, am Silvesterabend voll auf den Putz hauen zu müssen. Nichts ist ihnen zu verwegen, um sich zu berauschen und womöglich einer Eskapade hinzugeben. Irgendwann in den Morgenstunden taumeln sie irgendwie ins Bett. Nach wirren Träumen wachen sie wieder auf. Der Schädel brummt und erinnert sich an nichts mehr. Solches widerfährt dem weisen Geniesser nicht, sagt Epikur.
Im Sinne von Epikur wäre es indessen durchaus, ein Gläschen Bier oder leichten Tischwein zu schlürfen. Ein sogenannter Kronenkorken aus Aluminium verschliesst deren Flaschen. Diesen Korken können auch Tetraplegiker, erst recht Paraplegiker, mit einem funktionalen Öffner lösen. Er sollte einen dicken Griff und die nötige Länge haben, damit eine Hebelwirkung entsteht.
Schwieriger sind Drehverschlüsse. Mit einer rutschfesten Hilfsfolie oder kleinen Matte, die ich mir zwischen die Finger und den Handrücken lege, kriege ich sie rum. Dieses rutschfeste Hilfsmittel schneidet mir meine Frau. Gemischt sind jedoch meine Erfahrungen mit Korkenziehern. Es gibt elektrische und die Flügel-Korkenzieher, zum Beispiel den «Screwpull». Im Sitzen ist es allerdings schwierig, die Spindel senkrecht in den Korken zu führen. Kommt sie schräg zu liegen, ist er kaum rauszukriegen. Im schlechtesten Falle zerbröselt der Korken, oder die Spindel birst.
Gänzlich verschlossen ist mir der Champagner. Seine Korken vermag ich nicht zu knacken. Zum Glück schätze ich diesen Sprudelwein nicht besonders. Die zu grossen und zu wenig hohen Drehverschlüsse von Milch vermag ich ebenfalls nicht zu öffnen. Auch das fügt sich schön in mein Leben: Ich finde Milch nicht gut, und sie liegt mir unangenehm auf.
Die Not, gewisse Getränkebehälter nicht öffnen zu können, führt uns zur Tugend, ebnet den Weg zum genussvollen Leben im Sinne von Epikur. So gesehen, ist es wahrlich ein Glück, dass hochprozentige Spirituosen meistens besonders gut verschlossen sind. Ich habe sie gerne, vertrage sie aber nicht mehr.
Wer sich mit dieser epikureischen Sichtweise nicht bescheiden will, kann sich im Shop der Rheumaliga umsehen. Sie bieten dort gute und funktionale Hilfsmittel an, die unseren Handlungsspielraum erweitern.
Ich wünsche euch allen einen heiteren Silvesterabend, wie auch immer ihr ihn gestaltet, und einen guten Start ins neue Jahr.