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Was denn, wenn ich mich verliebe?

Jetzt werde ich - Röby, Rollstuhlfahrer, 50+ - zum spätberufenen Model, und zwar für die neue Hochglanzbroschüre einer Firma. Für einmal ist der Rollstuhl keine Last, sondern Auszeichnung. Sie haben mich angefragt, weil ich mein Leben mit ihm teilen muss.

Da rasiere ich mich besonders sorgsam und schneide mit dem Rasiermesser nach. Dann salbe ich die glatte Haut ein. Jetzt glänzt sie schön. Ich frage mich kurz, ob ich auch die Schamhaare etwas trimmen soll. Ich mache das gewöhnlich am Sonntag. Das Fotoshooting ist aber heute Freitag. Schliesslich lasse ich es. Sie sagten ja nicht, ich müsse noch eine, womöglich festliche Ersatzhose mitbringen, wohl aber eine Winterjacke, einen Kittel, ein Hemd, am besten zwei und einige Accessoires, auch den Labtop.

Hemden, Kittel, oft auch Jacken weiche ich gerne aus. Sie erfordern Hilfe. Ich ziehe mich auch ungern im Beisein anderer um. Ich fühle mich beobachtet, Hilfe verdriesst mich. Gewöhnlich ziehen, zerren und zupfen die Helfer an mir. Das strengt mich an. Es sind Momente, da mir die Tetraplegie zur Last wird. Sie beschämt mich.

Bei Jasmin, der Stylistin im Fotostudio, ist das nicht so. Sie nimmt's locker und leicht. „Grün würde Ihnen auch stehen", sagt sie und reicht mir eine dunkelgrüne Daunenjacke. Ich zieh sie mir über - nach meiner Art. Ehe ich mich versah, zieht Jasmin gekonnt den Reisverschluss hoch und legt mir sanft den passenden grünen Schal um den Hals. Es ist wohlig, die Bilder werden super, sagen alle.

Die zweite Serie mit Hemd und Kittel folgt. Unverkrampft ziehe ich mich aus und schlüpfe ins Hemd. Jasmin schliesst mir die Knöpfe, richtet Hemd und Kittel fast schon zärtlich. Ich will die Hose öffnen, ohne Scham, um das Hemd in die Hose zu stecken. Jasmin kommt mir zuvor und faltet es gekonnt um. Es sieht perfekt aus. „Blicken Sie in die Kamera und nicht immer zu Jasmin!", mahnt mich die Fotografin. „Lächeln kann ich aber nur, wenn ich Jasmin sehe", entgegne ich.

So ist es auch. Mir schwant allmählich, dass ich mich verliebt habe. Lange ist es her seit dem letzten Mal. Wenn das nur gut kommt?

Ich, der Mitfünfziger im Rollstuhl, verliebe mich in die, wohl 20 Jahre jüngere Stylistin einer offenbar bekannten Fotografin. Noch am Morgen war mir diese Verpflichtung zuwider und jetzt schwelge ich. Ich beginne mir einzureden, dass ich sie einfach sympathisch finde. Es besteht eine gewisse Zuneigung, und die könnte ja trotz Rollstuhl und Altersunterschied gegenseitig sein. Diese zurückhaltende Formulierung wirkt entspannend, und ich lächle spontan, soll ich ja auch. Ich bin ja im Studio. Jasmin lächelt auch, scheint mir. Die Fotografin ist begeistert. Kopf leicht nach rechts abgedreht und seitlich minim gekippt – das ist der fotogene Winkel, findet sie. Auch mir gefällt dieser Blickwinkel, denn so sehe ich Jasmin.

Ich will es geniessen, aber Zweifel quälen mich. Kann ich mich mit einer Frau einlassen, die wenig, vielleicht auch nichts von neurologischen Bedingtheiten weiss und heute womöglich zum ersten Mal überhaupt einem Rollstuhlfahrer so nahe gekommen ist? Ich bin doch der letzte, den sie gesucht hat. Eigentlich kenne ich sie gar nicht. Ich bilde mir ein, sie sei mein Ideal und begehre sie dümmlich! Klar, ich könnte sie mal zum Nachtessen einladen, abermit welchem Vorwand?

„Ich glaube, jetzt sind Sie müde?", stellt die Fotografin fest. „Es geht, ich habe nur sinniert", antworte ich. Das stimmt auch, und ich sinniere noch immer. Die Götter haben mich mit Jasmin zusammengebracht, aber jetzt bin ich es, der diese Fügung spielerisch weiterführen sollte. Ausgerechnet ich! Gekommen bin ich als umworbenes Model, und ich gehe bedrängt und verschämt, aber verliebt.

„Wir haben's", rufen alle, „Super".

Ich hab's gar nicht. Ich würde sie gerne umarmen, aber so plump bin ich doch nicht.

Soll ich ihr wenigstens schreiben oder muss ich sie verdrängen?
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