Immer noch eine komplizierte Beziehung?
- 6 Minuten Lesezeit
- 10. Januar 2018
- Jelena
Immer noch eine komplizierte Beziehung?
In wenigen Wochen am 8. März 2018 beginnen im südkoreanischen Pyeongchang die 12. Winter-Paralympics. Aus diesem Anlass geben wir hier einen aktuellen Überblick darüber, wie sich die mediale Berichterstattung über die Paralympischen Spiele im Laufe der Zeit entwickelt hat – und wo sie heute (noch nicht) angekommen ist.
Die Medien spielen eine Schlüsselrolle bei der Berichterstattung über Sportveranstaltungen wie die Olympischen oder Paralympischen Spiele. Wo sonst können wir die letzten Ergebnisse, neue Weltrekorde und Infos über die Sportler nachschauen? Ob im Fernsehen, in den Zeitungen oder im Internet: Die Medien sind die wichtigste Informationsquelle.
Leider gibt es erhebliche Unterschiede in der Medienberichterstattung über die Olympischen und die Paralympischen Spiele. Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass den Paralympics in den Medien weniger Aufmerksamkeit gewidmet wird als den Olympischen Spielen. Dieser Artikel fasst die Beziehung zwischen den Medien und den Paralympischen Spielen seit deren Entstehung zusammen. Besonderes Augenmerk legen wir auf den grundlegenden Wandel im Medienmanagement seit den Paralympics in London 2012.
Die Anfänge der Paralympischen Spiele und deren Berichterstattung in den Medien
Laut Goggin und Hutchins (2017) berichten die Medien bereits seit den 1950er Jahren über die Paralympischen Spiele. Doch erst mit den Spielen in Rom in den 1960ern begannen die Medien, für die Paralympics eine immer wichtigere Rolle zu spielen. Allerdings gab es damals ein grundlegendes Problem, das noch bis heute besteht: Zwar nahm die Aufmerksamkeit für die Paralympischen Spiele in den Medien zu, doch erschienen die Artikel über diese Sportveranstaltung in der Gesellschaftsrubrik – nicht im Sportteil. Zudem waren sie meist als Sonderbeiträge und nicht als Sportberichte geschrieben, was die Herabsetzung von Menschen mit Behinderungen verstärkte.
Mit dem technologischen Fortschritt wurde es möglich, ein breites Publikum zu erreichen und Sportevents live zu übertragen, was sich als sehr beliebt und wirkungsvoll herausstellte. Dennoch spielten die Paralympics weiterhin eine untergeordnete Rolle. Golden (2003) schrieb über die „unsichtbare“ Minderheit, was auch die fehlende Medienberichterstattung über Behindertensport einschliesst. Der Begriff bezieht sich auf den medialen Trend, generell nicht ausreichend über Menschen mit Behinderungen zu berichten, was wiederum zeigt, dass Menschen mit Behinderungen kein voll anerkannter Teil der Gesellschaft sind.
Zur Lösung dieses Problems wurden Massnahmen getroffen, um die Paralympics als nachrichtenrelevante, internationale Sportveranstaltung zu präsentieren. Doch wiederum war trotz der Bemühungen eine Gleichstellung in diesem Bereich noch lange nicht erreicht. Über die ganze Zeit hatten die Paralympics mit Problemen wie Engstirnigkeit, Vorurteilen, Abgrenzung, Bevormundung und unsensiblen Äusserungen zu kämpfen. Goggin und Hutchins kommen zu dem Schluss, dass die Paralympics für den Journalismus damals eine unbekannte Herausforderung darstellten und die Berichterstattung deshalb „oberflächlich und schaulustig“ war.
Mit der Zeit begannen die Medien jedoch, als Sprachrohr von Personen mit Behinderungen eine wichtige Rolle zu spielen, nicht nur im Behindertensport, sondern auch in der Darstellung anderer Perspektiven und im Kampf um Gleichstellung, Rechte und Gerechtigkeit.
Goggin und Hutchins bezeichneten die Paralympics im Jahr 2000 als den Beginn bahnbrechender Veränderungen, aufgrund der Tatsache, dass die Spiele als grosse Sportveranstaltung präsentiert wurden. Zum ersten Mal wurden Teilnehmer mit Behinderungen von den Medien als Spitzensportler dargestellt. Dieser Wandel symbolisierte die Abwendung vom Stereotypen der behinderten Person, die keinen regelmässigen und anspruchsvollen Sport betreibt. Obwohl es beachtliche Verbesserungen gab, war die Anzahl an Artikeln über die Veranstaltung noch immer gering.
London 2012 – beachtliche Veränderungen durch digitale Medien
Ein weiterer Meilenstein in Richtung Gleichstellung in der Medienberichterstattung wurde mit den Paralympischen Spielen 2012 in London erreicht. Dies wird anhand der Anzahl der Radio-, Fernseh-, Print- und Online-Medienberichte deutlich: Während die Medien über die vorherigen Paralympics 2008 in Peking in 31.986 Berichten informierten, verdoppelte sich diese Zahl 2012 nahezu auf 63.343 Berichte.
Laut dem wissenschaftlichen Artikel von Goggin und Hutchins (2017) hatte sich das Medienmanagement der Paralympics bis zu den Spielen in London in mindestens fünf Bereichen verbessert.
Erstens wurden die Paralympics bei der Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele zum ersten Mal prominent thematisiert. Während der Zeremonie wurde eine gekürzte A-cappella-Version der britischen Nationalhymne vom Kaos Singing Choir for Deaf and Hearing Children (ein Chor, in dem gehörlose und hörende Kinder singen und sich in Zeichensprache ausdrücken) vorgeführt. Diese Darbietung unterstrich die Entschlossenheit des Organisationskomitees, die Olympischen und Paralympischen Spiele als zusammengehörende Veranstaltungen zu präsentieren, und deshalb zentral gesteuerte Medienstrategien für beide Veranstaltungen zu verwenden.
Zweitens bezogen die Londoner Paralympics erstmals die sozialen wie auch die Online-Medien komplett in die Medienstrategie ein. Die digitalen Medien halfen, unterschiedliche Zielgruppen zu erreichen. Das Internationale Paralympische Komitee (IPC) entwickelte eigene digitale Medienkanäle, was grossen Zuspruch und Engagement bei den Sportfans auslöste. Über diese Kanäle wurden mehr als 270 Millionen Menschen erreicht.
Drittens: Den Behindertensport einem breiteren Publikum zu präsentieren, erforderte erhebliche Bemühungen seitens der Journalisten, die sich ernsthaft mit journalistischen Methoden und Sichtweisen engagieren mussten. Führende Medien berichteten, dass ihre Bemühungen, diese Spiele zu unterstützen und Inhalte zur Verfügung zu stellen, über die Jahre durch Lernen und Anpassen der Strategie effizienter wurden.
Viertens, aufgrund der Erfahrung und Exponierung in London konzentrieren sich gewisse Nationale Paralympische Komitees nun auf die Unterstützung einzelner Athleten bei der Medienkommunikation und -präsentation.
Fünftens lenkten die Londoner Paralympics auch mehr Aufmerksamkeit auf die gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen, die damals ein Thema waren. Behindertenrechtsaktivisten nutzten die Spiele für Protest, um auf die Probleme Behinderung, Wohlfahrt, Bürgerrechte und Arbeit in Grossbritannien aufmerksam zu machen.
Nach London: Sotschi 2014 und Rio 2016
Nach London 2012 war das Medieninteresse an den Winterspielen in Sotschi 2014 ebenfalls sehr gross. Tatsächlich waren es bisher die am meisten verfolgten Paralympischen Winterspiele überhaupt. Dennoch bedeuteten sie für die Paralympics einen massiven Rückschritt: Die Organisatoren und die russische Gesellschaft lehnten es ab, den Paralympischen Spielen die gleiche Bedeutung beizumessen wie den Olympischen. Sie wurden lediglich als zweitklassiges Event nach den Olympischen Spielen eingestuft. Der Fall Sotschi veranschaulicht wieder einmal den holprigen Fortschritt der Paralympics hin zu einem anerkannten, internationalen Sportevent, wobei die Medien eine Schlüsselrolle spielen.
Die letzten Olympischen Spiele in Rio 2016 brachen erneut den Zuschauerrekord. Auch die Berichterstattung erreichte in zahlreichen Ländern neue Höchstwerte. Zur Analyse der Medienberichterstattung liegen allerdings noch keine wissenschaftlich gestützten Daten vor.
Abschliessend ist festzuhalten, dass London 2012 für die Paralympics einen zentralen Wendepunkt in Bezug auf Medienmanagement und Berichterstattung markierte. Gemeinsam bemüht man sich darum, die Paralympics als ein Event zu etablieren, dessen Bedeutung mit den Olympischen Spielen vergleichbar ist. Und die Bemühungen zahlen sich aus: Eine Befragung in Grossbritannien ergab, dass die Paralympischen Spiele die Wahrnehmung von Behinderung bei den Menschen verändern. Auch wenn es noch weiterer Forschung bedarf, zeigt dies doch deutlich, dass es äusserst wichtig ist, weiterhin um die Gleichstellung in der Medienberichterstattung zu kämpfen. Denn offensichtlich geht es bei diesem Kampf nicht nur um Medienpräsenz, sondern auch um Identität und Gleichstellung in der Gesellschaft.
Was denkt Ihr über die Diskrepanz in der Medienberichterstattung zwischen den Olympischen und den Paralympischen Spielen? Wie könnte man das Problem lösen?
Referenzen:
- Goggin, Gerard and Brett Hutchins (2017): Media and the Paralympics: Progress, Visibility, and Paradox. In: Darcy S., Frawley S., Adair D. (eds) Managing the Paralympics. Palgrave Macmillan, London.
- Golden, Anne V. (2003): An Analysis of the Dissimilar Coverage of the 2002 Olympics and Paralympics: Frenzied Pack Journalism versus the Empty Press Room, in: Disability Studies Quarterly, Vol. 23, No. 3/4.
- https://theconversation.com/a-brief-history-of-the-paralympic-games-from-post-wwii-rehabilitation-to-mega-sport-event-64809
- https://www.agora.universite-paris-saclay.fr/medias-and-paralympic-games-what-effect-on-society/
- https://www.paralympic.org/london-2012
- http://theconversation.com/why-do-the-paralympics-get-so-little-media-attention-in-the-united-states-65205
- https://theconversation.com/the-paralympics-is-more-popular-than-ever-but-whats-it-for-8895
- https://www.theguardian.com/sport/2016/sep/10/rio-2016-paralympic-games-ticket-sales-rise
- http://www.bbc.co.uk/news/uk-20693024
- https://www.flickr.com/photos/brizzlebornandbred/8992953239
- https://www.flickr.com/photos/paralympic/albums
[Übersetzung des originalen englischen Beitrags]