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Ethik im Sport – für faire Spiele

Physische und psychische Gewalt kennt viele Gesichter. Hilfe finden Betroffene bei der Meldestelle von Swiss Sport Integrity.

Seit 1. Januar 2022 können mögliche Ethikverstösse im Sport der neu geschaffenen Meldestelle mitgeteilt werden.

Fliegende Fäuste, verletzende Ausgrenzungen, ungewollte Berührungen, spitzzüngige Worte, mentaler Druck. Was können Sportlerinnen tun, wenn sie sich in ihrer Integrität verletzt fühlen? Wie reagieren Sportler, wenn sie bis zur Erschöpfung gepusht und gepeitscht werden? Oder was tun Eltern, wenn ihre Kinder von ihrem Trainer plötzlich unangemessen behandelt werden?

Ethik im Sport – darum kümmert sich seit Januar 2022 die neu geschaffene Stiftung Swiss Sport Integrity. Markus Pfisterer ist der Leiter der Meldestelle, die sich für einen gesunden, respektvollen, fairen und nachhaltig erfolgreichen Sport einsetzt: «Der Sport ist eine Lebensschule – und wir wollen die damit verbundenen Werte schützen und das Schaffen von guten Rahmenbedingungen unterstützen.» Als Grundlage dazu dient die Ethik-Charta von Swiss Olympic und dem Bundesamt für Sport, die auf sicherem, fairem und erfolgreichem Sport basiert.

Diese Grundsätze sind obligatorischer Bestandteil aller Mitgliederverbände, die Swiss Olympic angehören und im organisierten Sport unterwegs sind. «Alles in allem sind das in der Schweiz rund zwei Millionen Menschen», sagt Markus Pfisterer. Vom Breiten- bis zum Profisport, für Menschen mit und ohne Behinderung.

Porträtbild von Markus Pfisterer

Markus Pfisterer leitet die Meldestelle gegen mögliche Ethikverstösse im Sport.

«Es gibt weltweit kaum eine vergleichbare Meldestelle, wie wir sie geschaffen haben.»

Markus Pfisterer, Leiter der Meldestelle

Letztes Jahr sind 374 Mitteilungen eingegangen

Das Team von Swiss Sport Integrity besteht aus 13 Personen, die beruflich verschiedene Erfahrungen mitbringen und alle einen starken Bezug zum Sport haben. Markus Pfisterer selber ist Jurist und hat zudem einen Master in Sportmanagement und eine Ausbildung als Mediator und Konfliktberater. Vor seinem Fallschirmunfall im Jahr 1999 engagierte er sich im Radsport, als Rollstuhlfahrer fuhr er dann Skirennen. Später leitete er für zehn Jahre den Schweizerischen Radsportverband als Geschäftsführer. «Es ist wichtig, dass wir gewisse Handlungen, Abläufe und Sachverhalte in den Sportverbänden kennen», erklärt er.

Betroffene, ihr Umfeld oder Institutionen können sich unkompliziert an die Meldestelle wenden – auch anonym, online und offline. Im vergangenen Jahr sind 374 Mitteilungen eingegangen; je rund ein Drittel betreffen mögliche psychische, physische und sexuelle Grenzüberschreitungen.

Das Team erfasst die Meldungen und klärt ab, ob der geschilderte Vorfall unter das Ethikstatut fällt oder ob es sich zum Beispiel um ein zwischenmenschliches Problem handelt. Anschliessend wird das Gespräch zu den Beteiligten gesucht und Informationen werden eingeholt.

Eine Frau hält sich die Hände vors Gesicht und verdeckt es. Es ist eine Geste des Kummers.

Betroffene haben die Möglichkeit, sich auch anonym zu melden, Rat zu holen und ihre Geschichte zu erzählen.

«Viele Sachverhalte sind nicht einfach schwarz oder weiss», erklärt Markus Pfisterer. Man müsse den involvierten Personen gerecht werden, alle Seiten anhören. Das führe manchmal auch zu kontroversen Diskussionen im Team – doch das sei gut. Denn die getroffenen Entscheide können weitreichende Folgen haben: «Es geht hier oftmals um Karrieren und Existenzen.»

Im vergangenen Jahr wurden in neun Fällen vorsorgliche Massnahmen ausgesprochen, drei Berichte zu strukturellen Missständen in Sportorganisationen an Swiss Olympic verfasst und 12 Untersuchungsberichte zu Ethikverstössen an die Disziplinarkammer des Schweizer Sports überwiesen – diese hat in drei Fällen ein Urteil gefällt, weitere sind ausstehend.

Die Sensibilität für das Thema ist gestiegen

An Swiss Sport Integrity gelangen auch immer wieder Menschen mit einer Behinderung. «Diese unabhängige Stelle gibt uns als Organisation – aber insbesondere auch dem gesamten Sportsystem – Halt und Orientierung», sagt Christof Baer, CEO von PluSport Schweiz. Die Herausforderungen seien damit nicht gelöst, viele Fragen und Themen könnten aber konkret adressiert werden.

Er ist persönlich in einem regelmässigen Austausch mit Markus Pfisterer und findet, die Sensibilität für das Thema sei gestiegen. Aber nicht nur: «Es gibt auch eine gewisse Unsicherheit und Angst vor General-Verdächtigungen. Dieser müssen wir mit Aufklärung, Information und Vorleben entgegenwirken.»

Christof Baer mit Mikrofon an einer Sport-Veranstaltung

Christof Baer ist Geschäftsleiter von PluSport Schweiz, der Organisation für Behindertensport.

Von der Ethik-Meldestelle wünscht er sich vor allem Offenheit und Koordination, das Kanalisieren und Vernetzen von Wissen und Erfahrungen sowie aktive Zusammenarbeit mit den verschiedenen Institutionen und Fachstellen – egal ob für Menschen mit oder ohne Behinderung. «Denn alle brauchen eine gute Kommunikation mit dem Umfeld. Und dies bringt immer Herausforderungen mit sich.»

«Ethik im Sport bedeutet für mich Prinzipien und Werte wie Fairness, Integrität, Respekt und Chancengleichheit.»

Christof Baer, CEO von PluSport Schweiz

«Der Rollstuhl sorgt automatisch für mehr Distanz»

Und wie erleben das die Sportlerinnen und Sportler persönlich? BouBou Keller ist seit vielen Jahren Trainer für Tennis und Tischtennis im Rollstuhl. «Die Missstände im Schweizerischen Turnsport haben das Thema ja damals ins Rollen gebracht – das hat schon einiges verändert.» Möchte er im Training zum Beispiel eine richtige Handstellung zeigen, fragt er immer vorher, ob er die Person berühren darf. So oder so findet er, dass die körperliche Ethik in diesem Bereich anders ist: «Der Rollstuhl sorgt automatisch für mehr Abstand und Distanz.»

Im Gegenzug sei es für die Betroffenen immens wichtig, die Ethik ihres Körpers kennenzulernen: Wo liegen seine Grenzen, was kann er leisten? Und: BouBou Keller fördert im Training das Selbstbewusstsein der Sportlerinnen und Sportler, «damit sie unabhängig und frei agieren können».

Ein Mensch formt mit seinen Händen ein Dreieck und schaut mitten hindurch in die Kamera.

Die Integrität jedes Menschen soll gewahrt werden – jeder einzelne entscheidet, wo für ihn die Grenzen liegen.

Persönlich nie mit einem Ethikverstoss in Berührung gekommen ist auch der ehemalige Skirennfahrer Christoph Kunz. «Ich hatte während meiner ganzen Karriere stets gute Personen um mich herum.» Respekt vor dem Gegner und ein fairer Umgang miteinander – das macht für ihn Ethik im Sport aus.

Gerade im Behindertensport gebe es diesbezüglich jedoch einen Konflikt, der immer mal wieder auftauche: «Und zwar ist das die Klassifizierung der Teilnehmenden, die je nach Grad der Behinderung erfolgt.» Diese Einteilung habe natürlich direkten Einfluss auf die Fairness.

Die Meldestelle ist schnell gewachsen – wie auch die Anzahl der Meldungen

Swiss Sport Integrity sieht sich als unabhängiger Partner für Sportlerinnen und Sportler wie auch für die Verbände. Und: Nicht jeder mögliche Ethik-Verstoss endet vor dem Sportgericht oder bei den Behörden. Denn manchmal verzichten die Betroffenen bewusst auf weitere Schritte, «weil sie sich zum Beispiel dem darauffolgenden Prozess nicht gewachsen fühlen», erzählt Markus Pfisterer. Hier steht das Team beratend und begleitend zur Seite.

Gestartet ist die Meldestelle im Januar 2022 mit vier Personen, doch rasch sind neue Mitarbeitende dazugekommen. «Mich hat die Menge der Meldungen überrascht», sagt Markus Pfisterer. Und die Tendenz sei weiter steigend, was sicher auch damit zu tun habe, dass sich die Meldestelle im Dienste des Sports etabliert habe und bekannter werde. «Unsere Arbeit schafft für alle einen Mehrwert – diesen Anspruch stellen wir an uns selber.» Und das scheint zu gelingen.

Ethik im Sport – was heisst das für dich? Hast du schon mal Ethikverstösse erlebt?

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