Der Rollstuhlclub InSuperAbili verbindet Leidenschaft für Sport, kulturelle Aktivitäten und Sensibilisierung.
- 10 Minuten Lesezeit
- 16. November 2018
- claudia.zanini
Der Rollstuhlclub InSuperAbili verbindet Leidenschaft für Sport, kulturelle Aktivitäten und Sensibilisierung.
In dieser Blogserie stellen wir Rollstuhlclubs vor, die in der Schweiz aktiv sind. Hier der erste Teil: ein Interview mit Walter Lisetto, Präsident des Tessiner Clubs „InSuperAbili“.
Herr Lisetto, wer sind die InSuperAbili?
Die InSuperAbili sind in erster Linie eine Gruppe von fantastischen Menschen. Der Verein hat rund 330 Mitglieder, davon rund 80 mit Behinderungen und mehr als 250 Unterstützer – Verwandte und Freunde oder Menschen, die sich für das Thema Behinderung und Integration interessieren.
Wie sind die InSuperAbili entstanden?
Die InSuperAbili sind 2012 auf Initiative von etwa zehn Personen entstanden, die sich ihrer Lieblingssportart, dem Handbike, professioneller widmen wollten. Es ist eine Gruppe, die sozusagen „bottum-up“ gegründet wurde und die gemäss den Initiativen, Ideen und Wünschen ihrer Mitglieder wächst und sich entwickelt.
Und wie sind Sie Präsident geworden?
Sagen wir mal so: Um sich gründen zu können, brauchte der Club einen Präsidenten. Sie kannten mich, weil ich das Handbike-Rennen zur StraLugano gebracht hatte, dem wichtigsten Laufevent im Tessin (für Informationen: http://stralugano.ch/?lang=de). Als sie sich also entschieden hatten, einen neuen Club zu gründen, baten sie mich, die Präsidentschaft zu übernehmen. Die Gründe für mein Engagement liegen aber auch etwas weiter zurück und sind mit einer persönlichen Geschichte verbunden: 1996 hatte mein Bruder einen Unfall, wurde zum Tetraplegiker und war zur Behandlung in Nottwil. In gewisser Weise war es für mich selbstverständlich, die Aufgabe anzunehmen.
Welche Aktivitäten bieten die InSuperAbili an?
Die Aktivitäten der InSuperAbili sind sehr auf den Sport ausgerichtet. Unser Aushängeschild ist sozusagen das Handbike. Wir haben das grösste Handbike-Team, es sind sieben Handbiker, von denen zwei in der Nationalmannschaft sind. Darüber hinaus bieten wir weitere sportliche Aktivitäten wie Tennis, motorische Aktivität im Fitnessstudio, Schwimmen, Segeln an. Wir organisieren auch kulturelle Aktivitäten, wie z. B. dieses Jahr einen Ausflug ins LAC, einen in die Mailänder Scala und einen ins Museum der Kulturen in Mailand, um die Ausstellung von Frida Kahlo zu sehen. Wir führen auch Sensibilisierungprogramme in Schulen durch: Wir zeigen ein Video und lassen die Schüler das Handbike ausprobieren, wir regen die Diskussion über das Thema Behinderung an.
Ein breit gefächertes Angebot! Wie könnt Ihr an so vielen Fronten aktiv sein?
Möchten Sie das Geheimnis wissen? (lacht) Es sind die Menschen! Die aktiven Mitglieder, aber auch und vor allem die Freiwilligen, ohne die unsere Aktivitäten nicht möglich wären. Alle, auch die Mitglieder des Vorstands, verpflichten sich freiwillig, niemand wird entlohnt, im Gegenteil, viele sind die ersten Unterstützer des Vereins. Alle von uns angebotenen Aktivitäten erfordern Zeit, Engagement und ausgebildete Leiter. Zum Beispiel könnten wir ohne die Hilfe der Freiwilligen den Athleten nicht die Möglichkeit bieten, an so vielen Wettbewerben teilzunehmen. Der Handbike-Kalender ist in den letzten beiden Jahren explodiert, jedes Wochenende gibt es mindestens zwei Rennen. Die Athleten wollen teilnehmen und das muss alles organisiert werden, es hat eine grosse Logistik dahinter: Wir haben einen Van, den haben wir vor zwei Jahren gekauft, aber es braucht einen Fahrer, Begleitpersonen, die Anmeldungen zu den Rennen sind zu machen, manchmal ist ein Hotel zu buchen.
Und wie finanziert Ihr all diese Aktivitäten?
Dank des von den Mitgliedern gezahlten Jahresbeitrags, aber auch und vor allem mit Hilfe von Sponsoren und Spenden.
Wer ist für die Suche nach Sponsoren zuständig?
Die Suche nach Sponsoren ist eine meiner Aufgaben als Präsident, denn all diese Aktivitäten sind teuer und wir sind immer auf der Suche nach Geld. Wir wollen einen Service bieten, also bezahlen wir all das, was wir können, d. h. Anmeldung zum Rennen, Reisen, manchmal das Hotel. Wir haben feste Sponsoren und dann laden wir spezielle Sponsoren für bestimmte Aktivitäten ein, z. B. um das Zentralfest der Schweizer Paraplegiker-Vereinigung in Lugano im September (2018, Anm. d. Red.) zu organisieren. Und dann sind da noch die Spenden: Menschen sehen, was wir tun, sie denken, dass wir schöne Dinge tun, sie sind begeistert und sie beschliessen, uns mit einer Spende zu unterstützen. Wir sind auch sehr auf Mundpropaganda angewiesen.
Deshalb ist es Euch wichtig zu zeigen, was Ihr tut, und vor Ort präsent zu sein.
Natürlich. Wir sind sehr aktiv und wollen aus zwei Gründen aktiv sein: um Teil der Stadt Lugano und ihres Aktivitätenangebots zu werden, aber auch um das Bewusstsein für Behinderung zu schärfen. Als Gruppe InSuperAbili wollen wir integriert werden, wir wollen Teil der Gesellschaft und des Systems sein, also machen wir bei allen Aktivitäten mit, die von der Stadt durchgeführt werden. So beteiligen wir uns seit Jahren an Sportissima, einer Veranstaltung zur Förderung des Interesses am Sport (für Informationen: https://www.cstenero.ch/de/eventi/sportissima.html). Aus meiner Sicht ist Sportissima eine hervorragende Gelegenheit. Mit den InSuperAbili haben wir einen Stand, an dem man das Handbike ausprobieren kann. Viele Leute fragen, was das ist, sie haben noch nie eins gesehen, dann mögen sie es, sind neugierig, du sagst: „Hast du etwa noch nie Zanardi im Fernsehen gesehen? Dieses Fahrrad benutzen Menschen, die ihre Beine nicht bewegen können und stattdessen ihre Arme verwenden. Es gibt auch Rennen, komm und schau dir eines in Lugano an“. Man redet oft von den architektonischen Barrieren, aber um mentale Barrieren und Unwissenheit abzubauen, gibt es noch mehr zu tun. Das ist alles Kommunikationsarbeit, die gemacht werden muss, und Sport ist ein gutes Mittel, denn die Menschen machen gerne Sport und schauen gerne zu.
Und welche Rolle spielt der Sport für Menschen mit Behinderungen?
Für Menschen mit Behinderungen ist Sport ein Weg, sich selbst zu finden. Wenn es im Leben ein traumatisches Ereignis gibt – einen Unfall oder eine Krankheit – und Sie im Rollstuhl landen, beginnt ein neues Leben; alles, was vorher gegolten hat, gilt nicht mehr. Wir haben gesehen, dass Sport nicht nur ein Motor der sozialen Integration ist, sondern auch hilft, das Vertrauen in sich selbst zurückzugewinnen, denn er bringt einen wieder ins Spiel und gibt einem die Möglichkeit, seine Begabungen zu entdecken. Der Wettbewerb lässt dich sagen: „Ich will gewinnen und ich kann gewinnen“, er gibt dir wieder einen Sinn. Du kannst vielleicht bestimmte Dinge nicht mehr tun, aber du findest heraus, dass du andere tun kannst. Und das ist uns sehr wichtig. Für vieler Sportler ist der Sport ein Instrument zur Rückkehr ins Leben.
Machen alle Eure Mitglieder Sport?
Nein. Die Mitglieder, die regelmässig an sportlichen Aktivitäten teilnehmen, sind eine Minderheit. Da spielen mehrere Faktoren eine Rolle, zum Beispiel das Alter und teilweise das Interesse. Einige, die sich nicht für Sport interessieren, kommen zu den kulturellen Ausflügen – sie sind quasi ein anderes Publikum, denn oft ist der typische Sportler kein Opernbesucher.
Unternehmt ihr etwas, um weniger aktive Mitglieder einzubeziehen?
Zunächst einmal versuchen wir, eine Vielfalt an Aktivitäten anzubieten. Obwohl der Sport im Mittelpunkt steht, haben wir auch kulturelle und Freizeitaktivitäten in unserem Jahresprogramm und sind offen für Vorschläge von Mitgliedern. In einigen Fällen versuchen wir auch, Menschen, die an keiner Aktivität teilnehmen, durch Zusammenarbeit mit dem Berater der Schweizer Paraplegiker-Vereinigung einzubeziehen. Gian Paolo (Donghi, SPV-Berater, Anm. d. Red.) nimmt Kontakt mit diesen Menschen auf und lädt sie zu einem Besuch ein, um zu sehen, was wir machen. Manchmal hilft es zu sehen, dassjemand mit einer grösseren Behinderung einer Aktivität nachgeht, und du dadurch denkst, du kannst das auch.
Wie sind die Beziehungen zur Stadt Lugano?
Sie sind gut. Vielleicht ist es uns dank unserer Tätigkeit gelungen, die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen, und unser Vizepräsident wurde in den Stadtrat von Lugano gewählt. Wenn wir um ein Treffen bitten, erreichen wir das zumindest auch, wir werden als Gesprächspartner anerkannt, und das ist sehr wichtig. So erhalten wir beispielsweise zahlreiche Meldungen von unseren Mitgliedern, und eine unserer Aufgaben besteht darin, die Meldungen aufzunehmen und an die zuständigen Behörden weiterzugeben. Mehr als einmal haben wir in Lugano auf einen Bürgersteig ohne Rampe oder auf den Mangel an Parkplätzen für Behinderte aufmerksam gemacht. Diese Eingriffe sind klein, aber dennoch wichtig, weil sie das Leben von Menschen mit einer eingeschränkten Mobilität erleichtern. Auch dank der guten Beziehungen zur Stadt haben wir immer Antworten erhalten. Was die Gebäude angeht, ist klar, dass Lugano alte Gebäude hat und nicht alles zugänglich ist, aber es wird versucht, ein wenig aufzuholen.
Sie sagten, Sie kümmern sich um die Suche nach Spenden. Was machen Sie sonst noch als Präsident?
Ich kümmere mich mehr um den institutionellen Teil, um die Kontakte mit dem Kanton und der Gemeinde, um die Kommunikation, zum Beispiel der Rennergebnisse. Eine weitere Aufgabe ist die Pflege der Beziehungen zu den anderen Clubs, z. B. zur Gruppo Paraplegici Ticino. Ich versuche, Gemeinsamkeiten zu finden. Ein Traum wäre es, eine Veranstaltung gemeinsam zu organisieren – wir haben das bereits für unsere Mitglieder getan, aber ich würde gerne eine öffentliche Veranstaltung organisieren. Das könnte zum Beispiel ein Sportevent sein. Ihre Stärke ist Basketball, unsere ist das Handbike. Dann gibt es noch die clubinternen Kämpfe. Ich sage in meinen Gremien immer: Wir lassen Rivalitäten und Eigeninteressen aussen vor, sonst verfehlen wir unsere Mission. Die Bewältigung dieser Situationen ist eine meiner Aufgaben als Präsident.
Mit Blick auf die Zukunft, was sind die Herausforderungen für die InSuperAbili?
Die Probleme sind die gleichen wie bei jedem anderen Verband, z. B. die Suche nach Menschen, die ihre Zeit für die Aufrechterhaltung der Aktivitäten zur Verfügung stellen. Und dann muss man sich immer wieder neu erfinden, sich weiterentwickeln. Die Ideen stammen teilweise aus meinem Umfeld, ich sammle die Ideen, sage zu allem ja (lacht) und dann setzen wir sie gemeinsam um.
Aktuelle Projekte?
Es gibt neue Projekte. Haben Sie das Video zu Aero Gravity gesehen?
Aero Gravity? Worum geht es da?
Vor den Toren Mailands steht der grösste Freifallsimulator der Welt, das ist wie Fallschirmspringen (für Informationen: https://www.aerogravity.it/en/). Einer der Förderer der Initiative ist ein Rollstuhlfahrer, der beschlossen hat, diese Aktivität auch für Querschnittgelähmte zu entwickeln. Mit ihm haben wir daher ein neues Projekt gestartet, um diese Aktivität wirklich barrierefrei zu machen. Wir haben einen InSuperAbili-Tag organisiert, an dem viele unserer Mitglieder, ohne und mit Querschnittlähmung, die Aero Gravity ausprobiert haben und es fantastisch fanden. Versuchen Sie sich vorzustellen, für jemanden, der seine Beine nicht benutzen kann, ist dieses Gefühl des Fliegens wirklich unglaublich. Wir haben online ein Video veröffentlicht, um zu zeigen, wie Aero Gravity funktioniert, und um die Erfahrungen der Teilnehmer zu teilen (das Video ist hier verfügbar: https://www.rsi.ch/la2/programmi/sport/sport-non-stop/reportage/Gli-Insuperabili-10232255.html).
Zum Schluss: Gibt es eine Botschaft, die Sie den Usern der Community übermitteln möchten?
Ich möchte die Community, ob Fussgänger oder Rollstuhlfahrer, bitten sich zu trauen, Vorurteile zu überwinden, damit nicht wir die Ersten sind, die mentale Barrieren errichten. Lasst uns nach neuen Wegen suchen, um aus der täglichen Routine auszubrechen, und um neue Dinge zu probieren; lasst uns nach Gemeinsamkeiten suchen.
Und was möchten Sie der Tessiner Bevölkerung mitteilen?
Der Tessiner Bevölkerung möchte ich einladen, sich ein Handbike-Rennen einmal live anzusehen. Dies erklärt unser Anliegen besser als ich es je in Worte fassen könnte. Kommt und schaut Euch diese tollen Jungs an und helft uns vielleicht, lasst Euch auf uns ein. Das ist nicht eine Zeitfrage. Wer hat heutzutage schon Zeit? Es ist eine Frage der Wahl, des Willens: Ich arbeite zu 100 Prozent in der Bank, bin verheiratet und habe vier Kinder. Ich muss mir meine Zeit rausschneiden. Das hier ist meine zweite Aufgabe, sie wird nicht bezahlt, beziehungsweise wird sie auf andere Weise bezahlt (lacht). Vielleicht ist das hier meine Botschaft an die Tessiner: Kommt und entdeckt eine Welt, die dir sicherlich mehr gibt als du ihr geben kannst. Weil alle zu mir sagen: "Ah, du bist so gut", aber die Wahrheit ist, dass die InSuperAbili mir wirklich viel geben. Ich nehme etwas mit nach Hause, das mehr wert ist als ein Gehalt.
Herr Lisetto, vielen Dank für das Gespräch und weiterhin alles Gute für die InSuperAbili!
Kontakt zur Gruppe InSuperAbili:
- Adresse: Postfach 5682, 6901 Lugano
- E-Mail: info@insuperabili.ch
- Tel.: +41 79 413 81 77
- Website: http://www.insuperabili.ch/
[Übersetzung des originalen italienischen Beitrags]