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Porträts & Geschichten

«Ich glaube nicht, dass wir anders miteinander spielen»

Vor zwölf Jahren verunfallte Delphine Kalbermatten mit dem Mountainbike und ist seither querschnittgelähmt. Heute ist sie Mutter eines zweijährigen Jungen.

Vor zwölf Jahren verunfallte Delphine Kalbermatten mit dem Mountainbike und ist seither querschnittgelähmt. Heute ist sie Mutter eines zweijährigen Jungen.

Im August 2008 war die Familienplanung für die damals 23-jährige Delphine noch weit entfernt. Erst seit kurzem war sie mit ihrem Partner zusammen und hatte soeben die Ausbildung zur Primarlehrerin abgeschlossen.

Ihre erste Arbeitsstelle konnte sie aber gar nicht erst antreten. Kurz vor Schulstart stürzte die Bernerin mit ihrem Mountainbike so schwer, dass sie seither querschnittgelähmt ist. Statt im Schulzimmer zu unterrichten, kämpfte sie sich in der Reha am Schweizer Paraplegiker-Zentrum in Nottwil zurück ins Leben.

Mama im Rollstuhl

Zwölf Jahre sind seit dem Unfall vergangen und im Leben der heute 35-Jährigen hat sich einiges getan. Gemeinsam mit ihrem Mann und dem 2-jährigen Sohn darf Delphine dieses Jahr bereits ihren dritten Muttertag feiern. Die Tetraplegikerin lebt mit ihrer Familie in Belp (BE) und arbeitet Teilzeit als Primarlehrerin.

Dass auch querschnittgelähmte Frauen Kinder bekommen können, war Delphine schon während der Reha bewusst. Sie lernte in Nottwil Mütter mit einer ähnlichen Lähmungshöhe kennen und wusste daher, dass es auch für sie eines Tages möglich sein sollte, Kinder zu kriegen. Mutter im Rollstuhl zu sein, klingt für viele Eltern mit Kleinkindern unvorstellbar schwierig. Für Delphine und ihre Familie ist es jedoch Alltag und selbstverständlich.

Die Geburt war eine Erleichterung

Als der Kinderwunsch Anfang dreissig stärker wurde, liessen sich die Kalbermattens auch von kritischen Stimmen anderer nicht verunsichern. Die Schwangerschaft verlief problemlos. Nur die Angst, dass sie allfällige Komplikationen nicht spüren würde, begleitete sie während der ganzen neun Monate.

Entsprechend erleichtert war Delphine, als der Kleine im Dezember 2017 das Licht der Welt erblickte. «Ich war froh nun sehen zu können, dass es ihm gut geht», meint Delphine. Mit der Geburt ihres Sohnes startete die frischgebackene Mutter zum zweiten Mal in ein neues, anfangs gänzlich unbekanntes Leben, geprägt von Schlafmangel, pausenlosem Verantwortungsgefühl und bedingungsloser Liebe.

Latzhose als Hilfsmittel

Das Umfeld hat viel mitgeholfen und Delphine war froh um die Unterstützung ihrer Eltern und Freunde, sodass sie auch heute nicht auf externe Assistenz angewiesen ist. Delphine meistert Haushalt, Teilzeitpensum und Kinderbetreuung auf vier Rädern. Ihr Ehemann bewundert, wie Delphine alles unter einen Hut bringt und wie sie ehrgeizig ihre Ziele erreicht.

Delphine stellt klar, dass sie aber auch auf die Mithilfe ihres Sohnes angewiesen ist. «Wenn die Mutter oder der Vater im Rollstuhl sitzt, muss das Kind von Anfang an mithelfen», meint sie. So stand ihr Sohn bereits mit acht Monaten auf seinen beiden Beinen und kletterte so schon fast selbstständig auf Mamas Schoss, denn sie konnte ihn nicht vom Boden aufheben. «Latzhosen haben anfangs geholfen, als er noch nicht so schwer war. So konnte ich ihn an den Trägern hochziehen», erzählt Delphine mit einem Lachen.

Bis der Kleine 15 Monate alt war, war er draussen immer im Tragetuch. Eng an den Bauch seiner Mutter geschmiegt, nimmt er diese Position auch heute noch ein, wenn er auf Mamas behütenden Schoss klettert. Für Ausflüge draussen hat er jetzt ein Sitzli auf dem Swiss-Trac. Und seit kurzem darf er auch ein paar Schritte selber laufen, wenn sie alleine unterwegs sind. Wenn der Papa dabei ist, geht's auch mal etwas schneller auf dem Kickboard. Seit er gehen kann, sei alles viel einfacher, sagt Delphine.

«Wenn die Mutter oder der Vater im Rollstuhl sitzt, muss das Kind von Anfang an mithelfen.»

Ein eingespieltes Team

Es gibt bessere und weniger gute Tage, wie sie jede Mutter kennt. Wenn sich der Zweijährige trotzend auf den Boden wirft, bleibt Delphine nichts anderes übrig als abzuwarten. «Ich kann ihn nicht einfach hochheben und unter den Arm klemmen, wie es andere Mütter tun würden.»

Und doch sind die beiden ein ganz normales Duo: Sie malen, machen Puzzles, schauen Bücher an oder spielen mit Duplo-Steinen. Während des Gesprächs klebt ihr Sohn fleissig Aufkleber in ein Heft und ab und zu auch auf Mamas Stirn und verschwindet zwischendurch wieder in ein anderes Zimmer. «Ich glaube nicht, dass wir anders miteinander spielen – ich kann halt einfach nicht bei ihm am Boden sein», meint Delphine.

Die kleine Familie hat sich seit der Geburt entsprechend eingerichtet: Damals ein erhöhtes Babybett für einen einfachen Transfer auf das selbstgenähte Kissen auf ihrem Schoss, heute ein kleines Tischchen im Wohnzimmer fürs gemeinsame Spielen. Freunde empfangen sie mehrheitlich zuhause, da viele in nicht-rollstuhlgängigen Wohnungen leben.

Delphine schildert ihren Alltag erfrischend natürlich und mit grosser Gelassenheit. Sie ist ein wunderbares Beispiel dafür, dass sich Querschnittlähmung und Mutterschaft nicht ausschliessen. Ihr und allen anderen Müttern wünschen wir von Herzen alles Gute zum Muttertag!

Mehr Informationen zu Schwangerschaft und Geburt auf www.paramama.ch.

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