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Porträts & Geschichten

„Ja, es ist Scheisse, aber das Leben geht weiter!“

Community-User „Francescolife“ lässt sich von Schicksalsschlägen nicht unterkriegen. Ein Interview.

Community-User „Francescolife“ lässt sich von Schicksalsschlägen nicht unterkriegen. Ein Interview.

In dieser Blog-Serie führen wir Interviews mit aktiven Usern der Community, damit Ihr sie noch besser kennenlernt. Wenn Ihr auch Fragen an die User habt, schreibt sie einfach in die Kommentare – und die User antworten selbst.

Francesco daheim

Francesco, was ging Dir als erstes durch den Kopf, als Du die Diagnose Querschnittlähmung erhalten hast?

Schon bevor ich die Querschnittlähmung bekam, war die ganze linke Seite meines Körpers betroffen, seit ich mit 19 Jahren eine Hirnblutung und einen Hirntumor hatte. Zuerst konnte ich nur mit einer speziellen Beinschiene laufen und ging dann jahrelang mit Stock und Krücke. Meistens waren die Schmerzen unerträglich, aber ich habe verdammt hart gekämpft. Ich brauchte 16 Jahre, bis ich es Anfang 2015 schaffte, wieder normal zu laufen – es war wie ein Wunder. Sogar die Zeitung 20 Minuten berichtete über mich.

Aber leider war das nur von kurzer Dauer. Plötzlich knickte mein zuvor gesundes rechtes Bein immer wieder ein und ich stürzte einfach so. Weil ich eben jahrelang nicht richtig laufen konnte, hatte ich Arthrosen an Bein und Wirbelsäule und dazu eine Diskushernie. Nach einem Sturz wurde ich im Oktober 2015 operiert. Die OP war für höchstens 1 h 15 min geplant, aber dauerte 4 h 30 min. Nach der OP hatte ich wenig bis gar kein Gefühl und konnte Beine und Becken nicht mehr bewegen. Ausserdem hatte ich eine Gleichgewichtsstörung und leichte Spastik.

Ganz ehrlich, ich brauchte einige Tage, bis ich realisierte, dass es nicht ging. Der Arzt redete und redete, aber ich war wie abwesend, irgendwie wollte ich das Ganze nicht verstehen oder wahrnehmen. Zu dem Zeitpunkt war mir nur eins wichtig: die verdammten Schmerzen schnell loszuwerden. Da ich schon mehrere sehr heftige Rückschläge im Leben hinter mir hatte, dachte ich, ja ja, es wird schon wieder… doch die Zeit verging und verging, und nichts passierte. Erst viel später realisierte ich, was geschehen war.

Es begannen dann mehrere Untersuchungen, die sich über Monate hinzogen. Der operierende Arzt schwieg. Am Ende stand fest, dass ein Teil des zentralen Nervensystems touchiert bzw. durchtrennt war. Jetzt habe ich eine Paraparese, also eine inkomplette Querschnittlähmung.

Beim Spaziergang mit seinem Hund Luna

Welchen Herausforderungen siehst Du Dich in deinem Alltag gegenübergestellt? Gibt es etwas, das Dich besonders stört oder besonders freut?

Jeder Tag ist eine Herausforderung. Jede Bewegung und jeder Transfer ist eine Herausforderung. Jeder Ausgang ist eine Überraschung und eine Herausforderung.

Was mich am meisten stört, ist die fehlende Barrierefreiheit und die Gleichgültigkeit der Mitmenschen.

Wie empfindest Du denn das Verhalten von Mitmenschen Dir gegenüber? Hattest Du einmal ein besonders tolles Erlebnis, gab es einmal ein besonders negatives?

Es ist sehr verschieden und hängt stark von der Region ab. In der Westschweiz sind die Leute viel zuvorkommender, in der Deutschschweiz eher zurückhaltend und gleichgültig. Ich habe sogar mal einen ganz schrecklichen Kommentar bekommen: „Na schau mal: einer, der von meinen Steuergeldern lebt!“ Hallo?? Du dummer, dummer Mensch, ich finanziere mein Leben selber, weil ich Steuern gezahlt habe. Aber man hat auch tolle Erlebnisse: Zum Beispiel haben mir zwei Mal Leute spontan geholfen, beim Zug aus- oder einzusteigen.

Am Strand

Welchen Tipp oder Ratschlag würdest Du jemandem, der plötzlich querschnittgelähmt ist, auf den Weg geben?

Hey Mensch, ja, es ist Scheisse, aber das Leben geht weiter! Und es gibt Unterstützung, du bist nicht alleine. Vor allem, du kannst an der Situation nichts mehr ändern. Was du aber machen kannst, ist, es in vollen Zügen geniessen und weiterleben. Und egal, ob du vorher dachtest, hundert oder tausend Menschen lieben dich, und schliesslich nur weniger als eine Handvoll bleiben – sie lieben dich, also denke auch an sie, denn dein Wohlsein bedeutet für sie alles!

Wehre dich nicht, sei auch nicht sauer auf dich oder was geschehen ist, frag dich nicht ständig: „Warum ich, warum?!“ Es ist, wie es ist, mach das Beste draus, und denk daran, es gibt viel, viel mehr Leid als das auf dieser Welt. Je eher du es akzeptierst, desto eher verschwindet auch der Schmerz. Und nochmal: Du bist nicht alleine und musst auch nicht alles alleine bewältigen.

Beim Rollstuhlbasketball

Welchen Spruch oder welche Frage hörst Du immer wieder? Und hast Du eine clevere Antwort dafür?

Ja, das Thema Sex, ob mein bestes Stück noch funktioniert. Und öfter höre ich auch: „Aber kannst nicht mehr was ändern, damit du wieder laufen kannst, oder zumindest für kurze Zeit?“

Nun zur Antwort: Es ist eher selten, dass ein Querschnittgelähmter keinen Sex hat, denn das beste Stück ist nicht mit dem Rückenmark verbunden, sondern es ist ein Muskel, der durch Durchblutung und Emotionen steif wird. Und ja, obwohl ich wie viele Störungen habe und es nicht immer klappt und ich es auch nicht spüre, funktioniert es durchaus. Man muss nur auf gewisse Sachen achten und seiner Fantasie freien Lauf lassen. Wir haben auch Emotionen und Bedürfnisse! Und sollte es nicht mehr klappen, gibt es zum Glück gute Medikamente, die es klappen lassen. Die Frage ist eher: Würdest du mit einem Paraplegiker ins Bett gehen?

Am Meer mit Cousine Marialaura

Wie stehst Du eigentlich zu Behinderten-Witzen? Gibt es einen Witz, der Dich zum Lachen gebracht hat?

Ja, als wir einmal eine lange Strecke mit dem Auto unterwegs waren, sagte mein Onkel aus Witz: „Wollen wir eine kurze Kaffeepause machen? Dann kannst du deine Beine ausstrecken.“ Wir haben uns kurz angeschaut und fingen dann an zu lachen wie verrückt.

Welche Kontakte pflegst Du zu anderen Betroffenen in der Schweiz?

Im Moment ist mein einziger Kontakt mit anderen Betroffenen nur durch die Paraplegie-Community, oder wenn ich im SPZ bin oder wenn wir im Rollstuhlclub Fribourg ein paarmal im Jahr etwas im Ausgang zusammen unternehmen wie Quadrix oder Reisen.

Was möchtest Du den Usern der Community gerne sonst noch über Dich erzählen oder ganz allgemein mit auf den Weg geben?

Lebe dein Leben, als hättest du 1000 davon, aber sei dir bewusst, dass es nur ein Leben gibt! Hilf deinem Gegenüber, denn alles, was du gibst, wird dir eines Tages zurückgegeben. Und ja, unsere Situation mag für viele Scheisse sein oder nicht gerecht, aber es ist, wie es ist, daran können weder ich noch du was ändern… also geniesse es in vollen Zügen, denn du wirst es nicht bereuen! Und egal, wie schlimm es sein mag oder was dir Schlimmes widerfahren ist – es gibt da draussen immer jemanden, der mehr Pech hatte. Und noch zum Schluss: Kommuniziere! Wenn du was auf dem Herzen hast, rede darüber – du bist nicht alleine.

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