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Porträts & Geschichten

Muss Schönheit leiden?

Funktionale und doch schöne Kleider zu finden, ist nicht einfach.

Funktionale und doch schöne Kleider zu finden, ist nicht einfach.

Anfang September wagte ich mich wieder mal in die Textilabteilung eines grossen Warenhauses. Ich fragte den kompetent wirkenden Verkäufer, wann wohl die Phase der «Röhrenjeans» – «Röhrli-Jeans» in der Schweiz – ein Ende nehme. Er antwortete: «Bald, spätestens nächsten Frühling, denke ich.» Er fuhr fort: «Wissen Sie, wenn die Leute schon fünf, sechs so geschnittene Hosen haben, kaufen sie nicht noch ein sechstes Paar.»

Ich erklärte ihm, dass dieser Schnitt – im Fachjargon «Slim fit» – für mich ein Unding ist. Ich kriege sie beim Anziehen nur schwerlich hoch, ausziehen kann ich sie kaum, weil ich den Fuss nicht hinreichend strecken kann. Die zu enge Hose bleibt hängen. Sie muss unten mindestens 20, besser 22 Zentimeter breit sein.

Kurze Hosenschlitze und sperrige Knöpfe erschweren das Anziehen.

Am schlimmsten ist der «Karottenschnitt»: Oben ist er weit, sodass sich ein unansehnlicher Wulst bildet, und nach unten hin verengt er sich. Umgekehrt wäre es gut für mich, wahrscheinlich für uns alle, die immer sitzen. Dem Verkäufer leuchtete das ein. Er riet mir, Ende Oktober wieder zu kommen. Dann habe er die ganze Winterkollektion.

Anfang November ging ich wieder hin und brachte ein altes Muster mit. Er erkannte mich sofort und erklärte mir, er habe leider nur ein Modell, das mir passen könnte: Levi’s 514, Straight, für 99.90. Es entsprach genau dem Muster. Ich kaufte es gleich.

Endlich habe ich wieder eine neue Hose. Alle andern sind zwei, drei oder noch mehr Jahre alt, etwas arg verwaschen, dafür aber weich und bequem zum Anziehen und Tragen. Die neue Hose fühlt sich noch steif an. Erst nach dem vierten, fünften Mal ist sie geschmeidig und lässt sich leicht hochziehen und verschliessen. Der Knopf bleibt für Tetras herausfordernd. Auch der etwas kurze Hosenschlitz erschwert das An- und Ausziehen, weil sie sich weniger öffnet.

Gerader Schnitt, keine einengenden Bündchen: Deswegen habe ich diese Jacke gekauft.

Diese Opfer muss ich erbringen. Dafür entspricht die Hose mindestens näherungsweise der Bezeichnung «sportlich-elegant». Ihre ausgebeutelten und vom Waschen gebleichten Vorgänger tun das nicht mehr.

Am 4. November hatte ich Geburtstag. Zur Überraschung schenkte mir meine Frau eine selbst genähte blaue Jeans-Hose. Unten weit, oben eng, aber mit weiter Öffnung. Sie ist viel bequemer, ist weicher und schmiegt sich schön an. Allein der Stoff hat über hundert Franken gekostet. Sie versprach mir, eine weitere zu schneidern. So ist der Winter gerettet. Im Frühling 2019 schaue ich wieder, was der Modetrend bringt. Schlimmstenfalls habe ich noch Sommerhosen, die wir unten aufgeschnitten haben. Elegant sind sie längst nicht mehr.

Wind- und Winterjacken unterliegen in ihrem Schnitt ebenfalls Modezyklen. Einige Jahre mit gerade fallendem Grundschnitt ohne Bündchen unten liegen hinter uns. Es hat gedreht wieder hin zu Bündchen und tailliertem Schnitt. Das ist nichts für mich. Das Bündchen zieht die Jacke zusammen. So habe ich Mühe, den Reissverschluss einzuhängen, und zudem fällt sie schlecht. Das Bündchen bewirkt, dass ich sie im Sitzen hochziehe. Die ganze Nierengegend liegt frei, und genau die sollte sie ja abschirmen und wärmen. Zum Glück habe ich noch ein letztjähriges Modell ergattert. Leder mit Daunen gepolstert, gibt fast so warm, wie sie gekostet hat: 689.90!

Die neue Jeans-Hose, am Beinende zum Glück 20 cm breit, an den Füssen die 28 Jahre alten Schuhe.

Unabhängig von allen modischen Trends sind mir neue Schuhe zum Graus geworden. Ich ziehe sie selten an, weil ich dazu Hilfe bräuchte. Die neuesten, die ich wirklich trage, habe ich vor zehn Jahren in Bangkok gekauft. Sie sind gewissermassen die Sonntagsschuhe. Werktags, wenn ich zu Hause bin, umgeben meine Füsse schön ausgeweitete Schuhe, in die ich reibungsfrei reinrutsche: Marke Lorenzo Banfi aus Milano, gekauft 1990 an meinem 46. Geburtstag für schlappe 490 Franken. Das war zu der Zeit schweineteuer. Inzwischen bin ich 64, und es sieht danach aus, dass ich ohne sie nicht mehr bestehen kann, bis ich in den Himmel komme. Hoffentlich tun sie’s noch lange!

Ich singe dieses Klagelied, weil mich interessiert, wie es euch ergeht. Teilt ihr meine Erfahrungen? Gibt es Alternativen, die wirklich was taugen? Danke für eure Tipps.

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