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Umfassende Sozialforschung

An der diesjährigen Rollivision am 9. April in Nottwil hatte auch die Schweizer Paraplegiker-Forschung einen Stand. Dort lag die im Februar 2016 veröffentlichte, rund 120 Seiten starke Kohortenstudie SwiSCI auf. Es ist die weltweit umfassendste soziologische Erhebung zu den Folgen einer Querschnittlähmung und so eine statistische Schatztruhe zur Lage von Para- und Tetraplegikern in der Schweiz.

Die Studie ist kein Gassenhauer, sondern eine in Englisch verfasste Fach­publikation – von Experten für Experten. Nur mit Mühe lässt sich in ihr eine einzige, etwas ungenaue Zahl finden: Die Hochrechnung ergibt, dass in der Schweiz wohl etwa 6000 Menschen mit Querschnittlähmung leben. Die Rekrutierung Betroffener war denn auch eine hohe Hürde, die das zehnköpfige SwiSCI-Team zu nehmen hatte. Die Querschnitts-Zentren in der deutschen und französischen Schweiz sowie die Mitgliederliste der Schweizer Paraplegiker-Vereinigung (SPV) erwiesen sich als gute Quellen.

Es gelang, für die Befragungen, die vom September 2011 bis März 2013 dauerten, 3807 Personen anzuschreiben. Von ihnen erfüllten 3144 die Kriterien. Schliesslich waren von anfänglich 1922 noch 1549 in der Schweiz lebende Menschen mit Querschnittlähmung, also knapp die Hälfte der ursprünglichen 3144, bereit, sich auch ein zweites Mal befragen zu lassen. Ihr mittleres und durchschnittliches Alter lag bei 52 bis 53 Jahren. Rund zwei Drittel von ihnen lebten in einer Partnerschaft. Im Durchschnitt hatten sie 13 Ausbildungsjahre hinter sich. Hinter dieser hohen Zahl stehen wohl die unfallbedingten Umschulungen. Je nach Gruppenzuordnung gingen von den im Arbeitsalter Stehenden zwischen 53% und 57% einer Arbeit nach. Auch diese Zahl ist wohl höher, als es mancher gedacht hätte. Dazu ein Vergleich mit den USA: Bezogen auf alle Menschen im Arbeitsalter liegt die entsprechende Quote bei 62%. 38 von 100 Amerikanern können oder wollen also nicht arbeiten, bei den Paras und Tetras in der Schweiz sind es zwischen 43 und 47.

Kehren wir zurück zu den 1549 Teilnehmern des Start- und des nachfol­genden Basismoduls. Ihre Antworten ergaben Profile, die sich wiederum in drei Untergruppen fassen liessen. Nicht alle, sondern nur noch 1331 spielten aber bei den Folgebefragungen mit. Themen waren das gesund­heitsbezogene Verhalten, die Bedürfnisse Betroffener gegenüber dem Gesundheitswesen und die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt.

Es ist vorgesehen, die erhobenen Daten im Fünfjahres-Rhythmus zu aktualisieren. Die Kohortenstudie soll ein beispielhaftes Instrument sein, um Behörden, Gesundheitsdienstleistern, Arbeitgebern und Betroffenen die Orientierung zu erleichtern.

Dazu gehört auch Grundwissen, das die Vermutungen Informierter wohl bestätigt: Noch immer sind gute 70% Prozent der Rückenmarksverletzten Männer, bei 78% ist die Verletzung unfallbedingt, also traumatisch. 36% bis 39% haben eine inkomplette Paraplegie, 30% bis 34% eine komplet­te. Der Anteil der Paraplegiker liegt mithin bei rund 70%. Bei den Tetra­plegikern – rund 30% – haben zwei Drittel eine komplette Durchtrennung, ein Drittel eine inkomplette. Dagegen ist bei den krankheitsbedingten Rückenmarks-schädigungen das Verhältnis von Männern zu Frauen mit 54% zu 46% ausgewogener und der Anteil inkompletter Lähmungsbilder mit gegen 80% deutlich höher.

Angaben zur Kohortenstudie

Journal of Rehabilitation Medicine, Vol. 48. No. 2, February 2016

Jerome Bickenbach, Alan Tennant and Gerold Stucki

Describing the lived Experience of Swiss Persons with Spinal Cord Injury

Fachautoren und Mitwirkende (alphabetisch): Al-Khodairy A., Ballert C.S., Brach M., Brinkof M.W.G. (Studienleiter), Buchanan E.M., Chamberlain J.D., Cieza A., Eriks-Hoogland I., Fekete C., Gemperli A., Geyh S., Glässel S., Hinrichs T., Hug K., Hund-Georgiadis M., Jordan X., Kunz S., Mader L., Meier S., Michel G., Müller R., Peter C., Post M.W.M., Prodinger B., Reinhardt J.D., Rubineli S., Scheel-Sailer A., Schubert M., Schulenberg S.E., Stucki G., Tennant A. (gesamt 31)

  • Heft, rund 120 Seiten
  • Druckausgabe ISSN 1650-1977
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