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Der Sommer fällt ins Wasser

Das sommerliche Leben ist heuer weder leicht noch locker.

Das sommerliche Leben ist heuer weder leicht noch locker.

Die ersehnte sommerliche Leichtigkeit kommt dieses Jahr nicht auf. Statt während einiger Wochen unbekümmert in den Tag zu leben, strengt die Witterung die Menschen an. Kaum sind sie morgens aus dem Bett geschlüpft, müssen sie sich überlegen, wie sie sich vor dem kühlen Biswind und endlosem Regen schützen. Im wärmenden Morgenmantel wandeln sie in die Küche. Verdutzt stellen sie fest, dass Wasser eingedrungen ist.

Behindert sein  sich behindert fühlen

Noch mehr verärgert sie wenig später, dass die Kaffeemaschine nicht läuft, der Herd auch nicht. Das Wasser hat offenbar einen Kurzschluss ausgelöst, die Hauptsicherung ist durchgebrannt. Wenigstens haben sie gut geschlafen. Zärtlich begleitet vom leisen Rieseln des Regens, sind sie am ungewöhnlich kühlen Vorabend unter die warme Decke gekrochen und haben herrlich durchgepennt. Bei all den Widrigkeiten ist das Leben nachts mit seinen süssen Träumen schöner als tagsüber.

blitz am himmel

Statt eitel Sonnenschein verfolgen uns diesen Sommer Unwetter. Wohlig warm und unbeschwert ist es nicht.

So hatten sie sich das leichte Leben in den Sommermonaten nicht vorgestellt. Sie fühlen sich eingeschränkt, einzelne schon fast behindert.

Die sprachliche Wendung, behindert zu sein oder sich so zu fühlen, umfasst nicht nur von Ärzten Befundenes: Wer klönt, er wisse nicht, mit was für einem Pullöverchen er die Schifffahrt auf dem Vierwaldstättersee antreten soll, ist eine heikle Gefrierkatze, im Schweizer Dialekt ein «Gfrörli». Wer nicht weiss, was er anstellen soll, wenn die Fahrt wegen Hochwasser gar nicht stattfindet, ist ein armer, etwas geistloser Teufel. Wer einen Stock braucht, ist zumindest leicht gehbehindert, im schwereren Falle blind.

strassenschilder im hochwasser

Die Seen sind mancherorts übers Ufer getreten. Aus der romantischen Schifffahrt wurde nichts.

Wegen unserer Behinderung müssen wir planen wie Architekten

Der Stock des Blinden veranschaulicht besonders gut, wie Menschen mit körperlichen Einschränkungen selbst im gewöhnlichen Alltag alles planen müssen, der Blinde sogar jeden Schritt.

Wir, die wir uns mit den Folgen unseres geschädigten Rückenmarks herumschlagen, kennen das. Wir sehen zwar, sind aber nicht mobil, hocken in unseren Rollstühlen. Schon einen kleinen Ausflug müssen wir vorbereiten, immer im Voraus wissen, wie wir wieder zurückkommen. Wir müssen klären, ob das Ziel zugänglich ist, wo wir dort verweilen können, ob es eine geeignete Toilette hat. Wir müssen abschätzen, wieviel Hilfe von Drittpersonen wir beanspruchen.

Letztlich müssen wir uns fragen, ob unser Vorhaben die Mühe wert ist. Wir könnten ja zu Hause bleiben und uns einem viel schöneren Schläfchen hingeben. Selten ist es möglich, dass wir uns lustvoll treiben und zudem von sommerlicher Leichtigkeit tragen lassen.

Es klingt deshalb etwas befremdlich, wenn uns Leidensgenossen vorgaukeln, dass sie «alles gelassen nehmen». Einschränkungen engen den Spielraum ein, erschweren es, das Leben locker, spielerisch und wirklich selbstbestimmt zu gestalten. Wer das bestreitet, ist ein Angeber.

architekten mit karte vor baustelle

Menschen mit Körperbehinderungen müssen ihre Aktivitäten planen wie Architekten.

Wir nehmen nicht alles gelassen, sind aber abgeklärt

Zutreffender ist wohl, dass wir alle etwas abgeklärt sind. Der Begriff der Gelassenheit beinhaltet auch diesen Gedanken. Wir haben gelernt, uns nicht mehr von Hindernissen erschüttern zu lassen, ihnen allenfalls auszuweichen und zu verzichten. Gewisse Vergnüglichkeiten sind uns im Rollstuhl verwehrt oder nur mit äusserster Mühe zugänglich. So ist’s nun mal, befinden wir – etwas resigniert. Genauso nehmen die meisten Menschen das miese Sommerwetter hin, obwohl es sie einschränkt, ihre Ferienträume versenkt hat.

All die Menschen, die nun ohne stärkenden Kaffee ihre geflutete Küche trockenlegen, müssen sich – mit oder ohne gelassene Leichtigkeit – den garstigen Gegebenheiten anpassen, so wie wir in unseren Rollstühlen das tagein, tagaus tun: Hindernisse überwinden, mit Mängeln umgehen, weiteres Unheil abwenden, Notlösungen vorsehen, die Tage in allen Einzelheiten planen und schliesslich: die vorgesehene lauschige Party zum 1. August wetterbedingt absagen!?

schweizer 1. august feuer

Mutmasslich fallen auch die Feiern zum 1. August mehr oder weniger ins Wasser.

Gleichwohl wünschen wir Euch und der Schweiz einen schönen Feiertag.

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