«Zwischen den Mahlzeiten trinke ich selten»
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- 29. Januar 2018
- fritz
«Zwischen den Mahlzeiten trinke ich selten»
Donnerstag, 5. Mai 1977: Heiri Schmassmann war in der Nacht noch störrischer als zuvor. Wir, seine Zimmerkumpanen, mussten immer wieder die Nachtwache rufen. Auch Heiri hatte, wie wir, im Streckbett zu verharren – tagein, tagaus – denn bei verletztem Rückenmark galten Operationen an der Wirbelsäule damals als zu gefährlich. Bei Heiri erst recht, denn er gehörte zu den wenigen, die gute Aussichten auf vollständige Heilung hatten. Er verstand das aber nicht. Kurz vor Tagesanbruch riss er sich sogar los und stürzte flachliegend aus dem Bett auf den harten Linoleumboden. Um ein Haar hätte er sich das Rückgrat nochmals brechen können. Die Aufregung war gross.
Erst nach einiger Zeit kehrt im Sechserzimmer wieder Ruhe ein. Schmassmann scheint erschöpft. Der Stationsarzt nutzt das und verwickelt ihn in ein Gespräch. Wie er es denn mit dem Alkohol so habe, fragt er ihn. Gelegentlich gebe es nach Feierabend noch ein Bierchen mit den Kollegen, entgegnet Heiri. Das gehöre eben dazu. Der Arzt lächelt anteilnehmend und hakt nach: «Zum Frühstück, was nehmen Sie denn da?» Heiri räuspert sich erst, doch dann kommt es: «Kaffee, was denn sonst, vielleicht noch einen Kirsch dazu. Viel ist es aber nicht, denn um neun Uhr haben wir ja die grosse Pause im Betrieb.» Das Gespräch spinnt sich weiter. Als Patient im gegenüberliegenden Bett kriege ich zu hören, dass es in der grossen Pause zum Käsebrot offenbar reichlich Kaffee-Schnaps gibt, über Mittag, ein, zwei grosse Bier und abends zum Wurstsalat am liebsten gespritzten Weissen. Warum er denn gesagt habe, er trinke nur gelegentlich, erkundigt sich der junge Mediziner. Er habe eben gemeint, er wolle wissen, wie er es zwischen den Mahlzeiten halte, und da trinke er wirklich selten, betont Schmassmann.
Kurze Zeit später wird er verlegt. Wochen später begegne ich ihm in der Turnhalle der Physiotherapie wieder. Er geht und übt, schwere Kisten hochzuheben und mit gestreckten Armen über dem Kopf zu halten. Seine Stelle in der Speditionsabteilung eines Grossverteilers kann er bald wieder antreten, heisst es. Ich winke ihm zu und denke mir: Zum Wohl, Schmassmann!