Bracha Fischel malt mit dem Mund – und der Hilfe von Hündin Dona
- 4 Minuten Lesezeit
- 12. Oktober 2022
- Christine Zwygart
Bracha Fischel malt mit dem Mund – und der Hilfe von Hündin Dona
Für einen Moment die Langeweile ablegen und den Tapetenwechsel geniessen – alles dürfen, aber nichts müssen. Wer im Atelier für Gestaltung im Schweizer Paraplegiker-Zentrum verweilt, taucht in eine andere Welt ein. «Wir bieten eine Oase im Alltag, die für eine wohltuende Zerstreuung sorgen kann», erklärt Iris Marti, die hier die stationären Patientinnen und Patienten begleitet.
Mandala zeichnen, mit Ton oder Stein arbeiten, Schmuck herstellen, Holz schnitzen, Seide färben oder mit dem Mund malen: Hier kann jede und jeder tun, was Spass macht und möglich ist. «Kreativität lenkt vom eigenen Körper ab und tut der Seele gut», weiss Iris Marti aus Erfahrung. Auch wenn viele – vor allem Männer – meinten, sie seien zu wenig begabt.
Aus Ton lassen sich Schalen oder auch Figuren formen. Im Atelier für Gestaltung dürfen Patientinnen und Patienten einfach ausprobieren, was ihnen Spass macht.
Diese Form der Beschäftigung ist eng mit dem Verarbeitungsprozess während der Rehabilitation verbunden: Welche alten Sachen muss ich loslassen? Was könnte mir Spass machen? Wie lässt sich meine Freizeit neu gestalten?
Zugleich steht für einmal nicht der eigene Körper im Zentrum, sondern ein Sujet für ein Bild oder die Idee für eine Holzfigur. «Am Schluss hat man etwas erschaffen, dass man als Dankeschön einem lieben Menschen schenken kann – und erlebt selber eine kleine Erfolgsgeschichte.»
Der Kopf kann Grenzen setzen – und sprengen
In der Ecke sitzen und weinen – oder neue Wege suchen und weitermachen? Diese Frage musste sich auch Bracha Fischel vor 15 Jahren stellen. Die Zürcherin wanderte 1991 als junge Frau nach Israel aus, lebte in einem Kibbuz, lernte ihren Mann kennen, wurde Mutter von drei Töchtern und arbeitete als Krankenpflegerin.
Dann erkrankte sie an rheumatoider Arthritis, die auch die Wirbelsäule betraf. Nach einer Operation konnte sie ihre Arme und Beine nicht mehr bewegen; es entstand eine Tetraplegie mit Myelopathie.
So weiterleben? «Ich habe am Anfang nur geweint», erzählt Bracha. Während der Rehabilitation wurde ihr beigebracht, mit dem Mund zu schreiben. Und dann lernte sie diesen jungen Mann kennen, der trotz Tetraplegie malte – mit dem Pinsel zwischen den Zähnen. Er sagte zu ihr: Du kannst trauern. Oder du nimmst jetzt dein Leben in die Hände und machst etwas daraus. «Er hatte recht. Es ist reine Kopfsache; für mich gibt es seither keine Grenzen mehr.»
Konzentriert am Malen. Die Künstlerin kann sich heute nicht mehr vorstellen, ohne Farbe und Pinsel zu leben. Sie sitzt jeden Tag vor der Staffelei.
«Die Malerei bedeutet mir alles. Sie ersetzt meine Beine und meine Arme, widerspiegelt meine Seele.»
Bracha Fischel
Hündin Dona hilft ihr beim Malen
Schon vor ihrer Erkrankung hatte sie daheim in ihrem Haus in Tiberias am See Genezareth gemalt, allerdings fehlte oft die Zeit dazu. Nach und nach lernte Bracha nach ihrer Erkrankung, wie sie den Pinsel oder Stift im Mund halten muss, wie sie ihn mit der Zunge lenken kann. Sie absolvierte im Fernstudium die «Kreative Malschule» an der Akademie Hamburg; als einzige Mundmalerin. Und sie teilt ihr Leben seit zwei Jahren mit einer treuen Helferin: Dona, einer schwarzen Labrador-Golden Retriever-Hündin.
Bracha und Dona sind ein eingespieltes Team. Die Hündin kann beim Malen den Pinsel reichen, die Leinwand verstellen, Farbtuben öffnen und vieles mehr.
Studenten in Tel Aviv tüfteln gerne an Gerätschaften und Mechanismen herum, die Bracha das Leben und Arbeiten vereinfachen. Ihre Staffelei lässt sich per Knopfdruck nach links und rechts, nach oben und unten verschieben. Wie im folgenden Video zu sehen, kann Hündin Dona kann sie auf Befehl ganz einfach bedienen.
Stecken die Köpfe zusammen: Bracha und Dona betrachten ein frisch gemaltes Bild.
Am liebsten entwirft die Künstlerin Bilder mit Landschaften, Blumen und Tieren. «Freunde schicken mir aus der ganzen Welt ihre liebsten Fotos, die ich dann neu interpretiere und male.» Manchmal braucht sie nur einen Tag dazu, bei filigraneren Sujets kann es auch mal eine Woche dauern – «und einige Bilder werden nie fertig».
Landschaften, Tiere, Blumen – das sind die Lieblingsmotive von Bracha Fischel.
Immer wieder zu Besuch in der Schweiz
In die Schweiz kommt die Künstlerin regelmässig, sei es für Ausstellungen oder Vorträge. Ihre Botschaft ist dabei klar: Jeder Mensch ist wertvoll, jeder kann etwas weitergeben. Sie selbst hat in Israel viel Solidarität und Unterstützung erlebt, von Familie und Freuden. «Und ich wiederum engagiere mich in einem Netzwerk, das einsame Leute unterstützt.» Indem sie anruft, zuhört und zu reflektieren hilft.
Wer Bracha Fischel persönlich kennenlernen möchte, hat am 25. Oktober 2022 um 19.30 Uhr die Möglichkeit dazu. Dann ist sie mit der Vereinigung der mund- oder fussmalenden Künstler Schweiz zu Gast an der Vernissage beim Kulturzyklus Kontrast an der Ostschweizer Fachhochschule in St. Gallen. Mit dabei ist natürlich auch Hündin Dona.
Übrigens: Auch im Atelier für Gestaltung im Schweizer Paraplegiker-Zentrum kommt alle zwei Wochen ein Freund auf vier Pfoten vorbei. Nebst der Kreativität sorgen auch die Besuche der Hunde für «kleine Glücksmomente», wie Iris Marti erzählt.
Wie lebt Ihr Eure Kreativität aus? Wir sind gespannt auf Eure Erfahrungen.