Ferdi Pulver erzählt. Der Grafiker ist Politiker, Vater eines Sohnes und hat eine Paraplegie.
- 4 Minuten Lesezeit
- 25. Januar 2024
- fritz
«Begeistert», «gewählt», «nicht gewählt», «abgewählt», «eingesteckt», «enttäuscht»: Solche Stationen durchläuft, wer in der Politik mitspielt. Der 58-jährige Paraplegiker Ferdinand Pulver, Ferdi, weiss das.
2018 trat er der Sektion Reinach (BL) der FDP.Die Liberalen bei. Im Jahr 2020 wählten ihn die Reinacher in den Gemeinderat. 2021 wählten ihn die Parteimitglieder der FDP.Die Liberalen Baselland zu ihrem Präsidenten.
Nicht gewählt: War Ferdis Thema zu gut?
Im Herbst 2023 kandidierte Ferdi für den Nationalrat. Er stellte seinen Wahlkampf unter das Leitmotiv «Gleichstellung von Menschen mit Behinderung». Wie er berichtet, konnte er «in dieser Zeit eine grosse Zahl von Menschen in unserer Region für das Thema sensibilisieren und gewinnen».
Dennoch bestätigte sich, dass sein Thema bei den Liberalen nicht an erster Stelle steht: Nicht gewählt.
Enttäuscht? «Das musst du gelassen einstecken, Niederlagen gehören zur Politik», antwortet Ferdi.
Geht es in der Liebe zu wie in der Politik?
«So schroff wie in der Politik kann’s auch in Liebesbeziehungen zugehen», fordere ich Ferdi heraus. Er schmunzelt, allerdings nachdenklich, und beginnt zu erzählen:
2007 zerquetschte er sich bei einem schweren Motorradunfall das Rückenmark auf Höhe Th4. Zu der Zeit war er fest mit Larissa1 liiert, ohne mit ihr zusammenzuleben. Ihr knapp zweijähriger Sohn bereicherte die Beziehung, forderte aber auch. Im gegenseitigen Einvernehmen vereinbarten sie, an welchen Wochentagen wer auf ihn aufpasste. Die Wochenenden verbrachten sie zu dritt.
Plötzlich lastete alles auf Larissa, nachdem Ferdi schwer verunfallt war. Monatelang musste er sich im SPZ Nottwil rehabilitieren, war mit sich selbst beschäftigt, verunsichert. Alle drei mussten sich umorientieren, sich anpassen, den Rollstuhl hinnehmen, und sie schafften es: Sie gaben ihre unzweckmässigen Wohnungen auf und kauften sich ein rollstuhlgängiges Haus in Reinach. Vater und Mutter, die eigentlich unabhängig wohnen wollten, waren nun mit ihrem Sohn unter einem Dach vereint.
Leichtfüssig geht’s nicht mehr
Was so schön klingt, erwies sich indes als zu anspruchsvoll. Mit dem Rollstuhl wurde alles neu und für alle beschwerlicher. «Behinderte behindern auch ihre Mitmenschen», sagen kluge Psychologen dazu.
Ferdi und Larissa bekamen das unangenehm zu spüren, mussten viel einstecken. Sie wussten ja, wie es vorher war, als sie’s leichtfüssig nehmen konnten. Enttäuscht beschlossen sie, sich wieder zu trennen.
Vor allem finanziell war es nicht einfach, «doch daran darf es nicht scheitern», rät Ferdi allen, denen es ähnlich ergeht. «Dafür verstehen wir uns noch immer», erläutert er.
Neues Leben, neue Bekanntschaften
Ferdi übernahm das Haus in Reinach. Nach der Trennung stand er wieder am Anfang, hatte flüchtige Bekanntschaften, bis er rund fünf Jahre später der Lehrerin Adriana2 begegnete.
«Sie lernte mich kennen, als ich schon im Rollstuhl war», bemerkt Ferdi dazu und deutet an, dass das einiges leichter gemacht hat. Adriana verglich nicht, er auch nicht (mehr). Sie nahmen sich so, wie sie waren, als sie zueinander gefunden hatten. Sie blieben einige Jahre zusammen, wohnten aber getrennt.
Florence heisst die Partnerin, mit der Ferdi seit zwei Jahren zusammen ist. In seinem erweiterten Bekanntenkreis lernte er die Heilpädagogin kennen. Als Mutter einer schwerbehinderten Tochter interessierte sie sich dafür, wie sich Ferdi sein Leben einrichtet und gestaltet.
Diese Fragen sind auch in seinen Wahlkampf eingeflossen, denn «der Unfall und seine Folgen prägen meine Biografie und das durchaus auch im positiven Sinn», sagt Ferdi.
Neu gibt es drei Nationalräte mit einer Behinderung
Stellvertretend für ihn, stelle ich fest, setzen sich nun drei weitere – gewählte – körperlich beeinträchtigte Nationalräte für die Anliegen der Behinderten ein:
- Christian Lohr tut dies schon seit 2011 für die Mitte (ehemals CVP) des Kantons Thurgau. Er ist ein sogenanntes «Contergan-Kind», kam 1962 ohne Arme und mit missgebildeten Beinen zur Welt.
- Der 48-jährige Philipp Kutter (ZH) ist seit Juni 2018 wiedergewählter Nationalrat für dieselbe Partei. Er erlitt im Februar 2023 bei einem Skiunfall eine hohe Tetraplegie, ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.
- Ebenfalls für Zürich zieht der Sozialdemokrat Islam Alijaj neu in den Nationalratssaal ein. Er leidet seit seiner Geburt im Jahre 1986 an einer Cerebralparese. Mit seiner Frau Gieva hat er einen Sohn und eine Tochter.
Auf Alijaj und Kutter in seiner neuen Lebenssituation warten Würde, aber auch Bürde. Ihre Familien werden sie mittragen müssen. Der alleinstehende Lohr hat es vielleicht leichter.
Ferdi hat es mit Sicherheit leichter. Er ist ja nicht gewählt. «Doch, ich bin gewählter Gemeinderat und Vizepräsident der Stiftung Wohn- und Bürozentrum Reinach (WBZ)», korrigiert er.
1,2 Name von der Redaktion geändert