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Porträts & Geschichten

Mach’s gut, Dr_Hans!

Unser langjähriger Doktor Online geht in Pension. Zum Abschied ein spezielles Interview mit ihm – bei 220 km/h!

Unser langjähriger Doktor Online geht in Pension. Zum Abschied ein spezielles Interview mit ihm – bei 220 km/h!

Text: Gabi Bucher | Fotos: zVg

Hans Georg Koch hat sich in seiner langen Karriere in der Schweizer Paraplegiker-Gruppe (SPG) ein riesiges Wissen über die Querschnittlähmung erarbeitet. Seinen Erfahrungsschatz gibt er auf der ganzen Welt weiter – mit Vergnügen, viel Engagement und Leidenschaft.

Pünktlich um halb acht holt mich Hans Georg Koch mit seinem Auto ab. «Alles bequem?», fragt er, «Temperatur ok?» Ich schnalle mich an und lehne mich zurück.

«Holzlatten auf der A4» meldet die Verkehrsinfo im Radio. Und bereits warnt das Navi: «Auf Ihrer Strecke kommt es zu Verkehrsbehinderungen!»

Rollendes Interview

Dass wir diesen Tag teilweise im Auto verbringen, kommt Hans Georg Koch entgegen. Der Leiter angewandter Wissenstransfer der Schweizer Paraplegiker-Vereinigung (SPV) hat einen vollen Terminkalender, seine Tage sind durchgetaktet. Er möchte noch so viel wie möglich erledigen und angefangene Projekte fertigstellen, denn im September steht seine Pensionierung an. Die Situation im Auto ist er sich gewohnt: «Wenn meine Frau etwas mit mir besprechen will, macht sie das oft auf der Fahrt von unserem Wohnort zum Campingplatz, da sind wir ungestört.» Hans Georg lacht.

Gemeinsam feilen der Verleger Horst Becker, Co-Autorin Veronika Geng und Hans Georg Koch an Text und Layout ihres Buches über Querschnittlähmung.

Ich zeige aufs Navi: «Das führt uns jetzt nach Lobbach?» Nein, antwortet er, das sei nur ein Test mit einer neuen Navi-Software. Er kenne den Weg. Seit einiger Zeit fährt Hans Georg alle sechs Wochen nach Lobbach in die Manfred-Sauer-Stiftung zur Koordinationssitzung mit der Co-Autorin und dem Verleger seines neuen Buches über Querschnittlähmung, das die Stiftung gemeinsam mit der SPV erarbeitet.

Die ersten Kilometer sind ruhig. Auf der A2 läuft es zügig, auf der A1 verdichtet sich der Verkehr. «Die Verkehrsbehinderung auf ihrer Strecke beträgt eine Minute», sagt das Navi.

Querschnittlähmung leicht gemacht

Im deutschsprachigen Raum fehlt ein einfach verständliches Handbuch zum Thema Querschnittlähmung. Der Direktor der SPV, Thomas Troger, möchte ein solches anbieten. Mit Manfred Sauer persönlich wurde die Zusammenarbeit vereinbart: Die SPV erstellt den Inhalt, die Manfred-Sauer-Stiftung übernimmt Layout und Herstellung.

Das Handbuch ist für Menschen gedacht, die plötzlich mit einer Querschnittlähmung konfrontiert sind: Betroffene, Eltern, Lehrpersonen, aber auch alle Interessierten, die zum Beispiel Informationen für eine Abschlussarbeit benötigen. «Der Inhalt basiert auf wissenschaftlichen Grundlagen», erklärt Hans Georg, der bereits den medizinischen Teil des Handbuches für Rollstuhlsport Schweiz geschrieben hat und diesen jetzt überarbeitet. Den pflegerischen Teil übernimmt Veronika Geng, die früher als Hygiene-Verantwortliche am Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ) arbeitete und seit 2006 in Lobbach tätig ist. Hans Georg liegt dieses Projekt sehr am Herzen. Es schliesst eine wesentliche Lücke im Wissenstransfer.

Das Nadelöhr ist passiert. Wir sind jetzt zügig unterwegs. «Sie nähern sich einer Grenze», schaltet sich das Navi ein, als wäre ihm bewusst, dass es in den nächsten paar Stunden nichts mehr zu sagen haben wird.

 

Hans Georg Koch zeigt, wie man auch mit einfachen Mitteln arbeiten kann.

 

Unorthodoxe Beförderung

Hans Georg Koch hat nach 23 Jahren am SPZ und 5 Jahren in der SPV ein ungemein breites Wissen über Querschnittlähmung. «Meine Karriere verlief etwas unorthodox», erzählt er. Die ersten Jahre beschäftigte er sich am SPZ mit der Entwicklung der Medizininformatik, hat aber nie den Bezug zur eigentlichen Medizin verloren, da er nebenbei bei den Wirbelsäulenoperationen assistierte. Bald einmal mangelte es am SPZ an Assistenzärzten. So fragte Guido A. Zäch eines Abends: «Herr Koch, Sie haben doch ein Staatsexamen? Dann übernehmen Sie morgen Station B!» Damit war Hans Georg wieder voll im klinischen Betrieb.

«Was macht denn der da?!» Ein gelber McLaren überholt halsbrecherisch mit heulendem Motor, zwängt sich zwischen zwei Lastwagen, die er rechts überholt, um dann vor uns wieder in der linken Spur aufzutauchen.

«So schnell kann es gehen», sagt Hans Georg. Es ist nicht klar, ob er den McLaren meint oder sich selbst. «So war Guido A. Zäch», fährt er fort, «unorthodox, direkt. Ein harter, aber guter Chef.» 2013 wechselte Hans Georg als Leiter angewandter Wissenstransfer zur SPV: «Eine tolle Chance, relativ spät im Leben noch etwas Neues anzufangen. » Er betreute unter anderem mehrere Studenten der Uni Luzern in ihrer Masterarbeit.

Wo und wann immer möglich, gibt der Arzt sein Wissen weiter.

Schwierige Entscheide

Als Vize-Präsident der Gönner-Vereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung bearbeitet Hans Georg medizinische Fragen und prüft, ob die Gesuche gerechtfertigt sind. Viele Menschen erwarten eine Unterstützung, obwohl sie gar nicht wegen einer Querschnittlähmung im Rollstuhl sitzen. Die Zeugnisse seien oft verschlüsselt, sagt Hans Georg. «Es gibt viele klare Entscheide, aber auch eine Grauzone. In der Medizin ist nicht immer alles schwarz-weiss.» Er führt eine Liste mit all seinen Entscheiden über die Jahre hinweg. So ist dafür gesorgt, dass diese immer gleich ausfallen.

«Diese ewigen Baustellen», klagt Hans Georg. Es braucht volle Konzentration. Die Fahrspuren sind schmal, der LKW lässt sich kaum überholen. Nach der Baustelle fährt es sich wie auf Watte. «Flüsterasphalt», weiss der geübte Fahrer.

Doktor Online

«Ich bin auch Doktor Online», erzählt er. Auf der Plattform community.paraplegie.ch beantwortet er als «Dr_Hans» Anfragen aller Art. Das sei nicht ganz unproblematisch, da sich oft Laien mit Ratschlägen einbrächten, die nicht immer über alle Zweifel erhaben seien: «Da muss ich schon mal Meinungen geraderücken, um mögliche medizinische Risiken auszuschliessen.»

Und dann sind da all die Vorträge. Für Pensionierungskurse, für Ausbildungen für Rollstuhlsport-Trainer, für Reisen im Rollstuhl. Die müsse er laufend prüfen und anpassen.

Der Autobahnabschnitt ist weniger befahren, die Tachonadel steigt. «Das ist eine Premiere», sagt Hans Georg: «Ich wurde noch nie mit 220 km/h interviewt.»

Wo rund ums SPZ ein Bratwurstgrill stand, war Hans Georg meist nicht weit.

Wissenstransfer mit Entwicklungsländern

Regelmässig besucht er Vorlesungen, Kolloquien der Forschung, Fallvorstellungen in Kliniken und Fortbildungen der Ärztegesellschaft: «So bleibe ich auf dem Laufenden.»

Hans Georg war auch Mitglied im übergeordneten «Projekt Ageing» der Schweizer Paraplegiker-Gruppe, das zur «Koordinationsstelle Alter und Wohnen» der ParaHelp geführt hat. Bei Informationsveranstaltungen in deren Partnerinstitutionen spricht er über medizinische Aspekte des Alterns.

Wichtig sind ihm auch Aktionen, die dem Wissenstransfer mit Entwicklungsländern dienen. Er unterstützt sie, wenn irgendwie möglich. Beim «HaitiRehab»-Sponsorenlauf zur Unterstützung von Menschen mit Querschnittlähmung in Haiti stand er am Bratwurstgrill, wie so häufig bei Veranstaltungen in und ums SPZ. «Als ich noch am SPZ gearbeitet habe, war ich aktiv involviert in diese Projekte», erzählt er. «Ich war zwei Mal in Nepal. Wir zeigten den Ärzten und dem Pflegepersonal im Reha-Zentrum Katmandu, was sie trotz einfacher Mitteln alles bewirken können.» Es war eindrücklich: «Das Zentrum hatte keine Heizung, die Patienten lagen mit Jacken und Mützen unter Wolldecken. Wichtige medizinische Instrumente fehlten und im ganzen Zentrum gab es nur ein einziges Rutschbrett!»

Unvergessliche Momente mit Personal und Patienten in der Reha-Klinik in Katmandu.

Helfen als Ziel

Was sicher allen Mitarbeitenden der SPV fehlen wird, wenn Hans Georg pensioniert ist: Man konnte mit jedem noch so kleinen medizinischen Problem bei ihm vorbeischauen. «Ich berate sehr gerne», meint er. «Es ist doch schön, wenn man helfen kann.»

«Geht’s noch!» Hans Georg verwirft die Hände. Es braucht Nerven auf Deutschlands Autobahnen. LKWs mit klugen Aufschriften wie «Together with passion», «mit uns auf der sicheren Seite», «always behind you» bauen sich vor, zwischen und hinter uns auf. Zum Glück verlassen wir die Autobahn endlich.

Gegen Mittag erreichen wir die Manfred-Sauer-Stiftung in Lobbach. An der Sitzung mit Verleger Horst Becker und Co-Autorin Veronika Geng gibt es viel zu besprechen. Bereits fertiggestellte Kapitel des Buches werden noch einmal unter die Lupe genommen, Grafiken geprüft, Aussagen korrigiert, die Kapitelabfolgen angeschaut. Es ist warm im kleinen Büro, die Traktandenliste ist lang, die Konzentration droht nachzulassen. Aber die drei kämpfen sich durch.

Hans Georg in seiner Werkstatt.

Die zweite Leidenschaft

Am nächsten Morgen fährt Hans Georg bereits wieder nach Nottwil. Er nutzt jede freie Minute, um sich mit ruhigem Gewissen in die Pensionierung verabschieden zu können. Ja, sagt er, er freue sich sehr darauf und habe bereits ein konkretes Projekt: Als Liebhaber von Oldtimern und Besitzer dreier alter Citroëns wird er eine Firma für Handel und Restauration von Oldtimern gründen. «Ich habe in den letzten zwanzig Jahren meine drei Wagen alle schon einmal komplett zerlegt und wieder zusammengesetzt. Ich kenne jede Schraube und weiss, wohin sie gehört.»

Neben seinen wissenschaftlichen Publikationen findet sich auch eine Anzahl Texte über Oldtimer. Hans Georg Koch wird sich wohl ebenso engagiert diesen alten Autos widmen – wie er dreissig Jahre lang Menschen mit Querschnittlähmung betreut hat. Sein Ohr für Patienten war immer offen.

Hans Georg mit einem seiner Schmuckstücke: einem Citroën Traction Avant Cabriolet.

Lieber Dr_Hans, Du hast fast fünf Jahre erst für Paraforum und dann für die Community alle medizinischen Anfragen beantwortet – und immer auf kompetente und einfühlsame Weise. Auch wenn mal jemand anderer Meinung war und Deinen Ratschlag womöglich nicht befolgt hat, haben sich von Dir alle ernst genommen und abgeholt gefühlt. Dass Du jede Frage so ausführlich und zugleich präzise beantwortet hast, wussten die Nutzer ganz bestimmt zu schätzen.

Wir denken, dass wir Dir im Namen der gesamten Community einen grossen Dank aussprechen dürfen. Und auch wir vom Community-Team danken Dir sehr herzlich für Deine grossartige Arbeit als unser Doktor Online. Wir wünschen Dir nun alles erdenklich Gute für Deinen Ruhestand. Und wenn Dir zwischen Deinen Oldtimern, Deinem Wohnwagen und Deinen technischen Wunderwerken doch einmal langweilig werden sollte, kommen wir jederzeit gerne wieder auf einen Spaghettiparty vorbei :smileywink:

Herzlichst,

Dein Community-Team

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