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Porträts & Geschichten

Schulzeit vorbei – und was mache ich jetzt?

Die Berufswahl ist für Jugendliche im Rollstuhl eine Herausforderung. Ein Perspektivenjahr kann helfen, Klarheit zu schaffen

Die Berufswahl ist für Jugendliche im Rollstuhl eine Herausforderung. Ein Perspektivenjahr kann helfen, Klarheit zu schaffen

Ganz alleine in die Fremde ziehen, Freunde und Familie zurücklassen, in eine andere Sprachregion eintauchen – und dort selbständig Job und Alltag meistern. Was für alle Jugendlichen ein Abenteuer bedeutet, ist für junge Menschen im Rollstuhl doppelt herausfordernd: sich auf Neues einlassen und zugleich die benötigte Infrastruktur und Unterstützung ganz frisch aufgleisen.

Tetraplegiker Jamie Curti hat diesen Schritt gewagt. Er absolviert seit Oktober 2022 den ersten Teil seiner praktischen Ausbildung nach INSOS in der Nähe von Bulle im Kanton Freiburg. Dort realisiert er vor allem Beiträge für die Social-Media-Kanäle der GBY AG. «Das Unternehmen hat das spezielle Go-Tryke entwickelt, das den ganzen Körper aktiviert und den Kreislauf fördert», erzählt der 18-Jährige. Dieses Training habe bei ihm persönlich zum Beispiel die Spastik vermindert.

Sechs Monate wird sein Einsatz hier dauern; eine Kombination von Arbeit und Schule. In einem 50-Prozent-Pensum ist Jamie im Rahmen der praktischen Ausbildung tätig. Zudem geht er einmal pro Woche in die Schule, um sein Französisch zu verbessern: «Hier treffen junge Menschen aus der ganzen Deutschschweiz zusammen, die vorwiegend als Au-pair in der Romandie verweilen.»

Jamie Curti sitzt an einem Pult, vor ihm ist ein Laptop aufgeklappt, und er lächelt in die Kamera.

Während seines Praktikums betreut Jamie Curti vor allem die Social-Media-Kanäle seines Arbeitgebers, erstellt Beiträge und stellt diese online.

Wie weiter mit dem Lehrbetrieb?

Eigentlich hätte Jamie bald seine Ausbildung zum Restaurationsfachmann starten sollen. Doch dann verunfallte er beim Skifahren – und erlitt eine komplette Tetraplegie. «Voraussetzung für die Lehrstelle war, dass ich mein Französisch verbessere», erzählt er. Das holt er jetzt nach.

Denn trotz Querschnittlähmung: Sein Lehrbetrieb – das Hotel «Baur au Lac» in Zürich – wird Jamies neuer Arbeitgeber. Dort absolviert er ab April 2023 den zweiten Teil seiner praktischen Ausbildung und lotet dann mit den Verantwortlichen die weiteren Pläne aus. Denkbar wäre zum Beispiel eine Lehre im kaufmännischen Bereich oder als Hotelkommunikationsfachmann – «entweder ab diesem Sommer oder, wenn ich eine längere Eingewöhnungsphase benötige, ein Jahr später».

«Ich habe mich sehr auf das Praktikum in der Romandie gefreut – mich aber auch gefragt, wie ich das ohne Familie und Freunde schaffe.»

Jamie Curti, Tetraplegiker

Den Alltag neu organisieren

Jeweils am Morgen unterstützt die Spitex den jungen Mann beim Aufstehen und parat Machen, ebenso beim Auspacken der Reisetasche – denn die Wochenenden verbringt Jamie in seiner ParaWG in Schenkon LU. Die Fahrt bewältigt er mit seinem eigenen Auto, ebenso die tägliche Strecke zur Arbeit. «Es war ziemlich aufwändig, die nötige Hilfe zu organisieren – doch mittlerweile klappt alles bestens.»

Zu Beginn seines Praktikums wohnte Jamie im Haus von Nicole Niquille, der ehemaligen Bergführerin, die seit einem Unfall selber im Rollstuhl sitzt. «Hier waren die Bedingungen für mich natürlich ideal». Doch die Ferienwohnung war nur für drei Monate frei. Seit Neujahr lebt er nun in einem Zimmer bei einem Ehepaar – die entsprechende Unterkunftssuche auf Facebook sorgte für viel Anteilnahme und wurde 770 Mal geteilt.

Um sich möglichst schnell in der fremden Umgebung zurechtzufinden, reiste ein Freund mit Jamie in die Romandie. «Er half mir in den ersten Tagen beim Einkaufen und Einleben», erzählt er. Zudem haben sich im Vorfeld vor allem ParaWork bei der Stellensuche und ParaHelp für die spezialisierte Pflege eingesetzt.

Porträtfoto von Jamie, draussen vor einer Wiese, im Hintergrund sind Bauten zu sehen.

Jamie ist dankbar, dass ein Freund ihn zu Beginn in die Romandie begleitet hat.

Berufliche Perspektiven suchen

Für junge Menschen mit einer Behinderung stellt die obligatorische Schulzeit oft eine Überforderung dar und die Zukunftspläne nehmen kaum Form an. «In einem sogenannten Perspektivenjahr können sich Jugendliche vertieft mit ihren beruflichen Perspektiven auseinandersetzen», sagt Christian Fleischlin, Coach Berufsorientierte Integration bei ParaWork.

Dazu sind vorgängig eingehende Abklärungen und Standortbestimmungen nötig. Sie werden gemeinsam mit den Jugendlichen, den Eltern und der Invalidenversicherung ausgewertet – mit dem Ziel, die nächsten Schritte hin zu einer nachhaltigen Integration in den Arbeitsmarkt anzugehen. Bei Bedarf wird auch die Wohn- und Therapiesituation zusammen angeschaut und organisiert.

«Mein Tipp? Seid motiviert und traut euch was! Denn wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg.»

Jamie Curti

Jamie fährt auf einem Go-Tryke, einem speziellen Velo mit drei Rädern, auf einer schmalen Strasse.

Bikes testen, Französisch lernen, Erfahrungen sammeln: Jamie Curti schätzt und packt die Möglichkeit, die ihm hier geboten wird.

Welche Erfahrungen fernab von Zuhause habt ihr gesammelt?

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