Zum Glück mischen Betroffene den Markt für unsere Hilfsmittel auf.
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- 18. Dezember 2018
- fritz
Zum Glück mischen Betroffene den Markt für unsere Hilfsmittel auf.
«Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust.» Das Zitat aus Goethes Faust prägt auch meine Beziehung zu unseren Hilfsmitteln. Qualitativ und funktional finde ich sie immer noch unbefriedigend, aber vieles hat sich in den vergangenen 40, 50 Jahren gebessert. Betroffene, die selbst im Rollstuhl sind, haben dazu wesentlich beigetragen.
Beginnen wir doch unter der Gürtellinie: Der 1963 verunfallte Tetraplegiker Manfred Sauer hat aus schierer Not begonnen, Hilfsmittel zu entwickeln, die das Blasenmanagement erleichtern. Er hat das nach ihm benannte, heute international bekannte Unternehmen gegründet, dessen Produkte neue Standards setzen. Dank ihnen sind wir «trocken» und kommen gut durch den Alltag. Die laufenden Verbesserungen haben dazu geführt, dass sich heute sogar Tetraplegiker, wie ich einer bin, selbst katheterisieren können. Die Schutzfolie, welche die Blasensonde umgibt, gewährleistet, dass ich hinreichend hygienisch vorgehe. Für mich ist diese Folie die entscheidende Neuerung. Vor acht Jahren führten meine ersten Versuche mit ungeeigneten Kathetern schon bald zu einem fürchterlichen, wochenlang anhaltenden Infekt, ausgelöst von zwei verschiedenen Erregern.
Ebenfalls 1963 ist Rainer Küschall verunfallt. Er quälte sich jahrelang mit den seinerzeitig sperrigen und schweren Rollstühlen. Ende der siebziger Jahre begann er selbst, zusammen mit Tüftlern sogenannte Aktivrollstühle zu bauen. Nach anfänglichen Kinderkrankheiten entwickelten sich daraus elegante und wendige, individuell angepasste Leichtbaustühle. Vorbei die Zeiten, da wir uns nach den verfügbaren Normformaten richten mussten. Die Eidgenössische Invalidenversicherung (IV) bezeichnet ein Fahrzeug, wie es Küschall als einer der ersten konzipiert hatte, als «Adaptivrollstuhl». Er hebt sich vom «Basisrollstuhl» aus der Serienproduktion wohltuend ab.
Auf den 1976 verunfallten Tetraplegiker Josef Jakober geht der Swiss-Trac zurück. Der gelernte Ingenieur brachte ihn 1995 auf den Markt. Der «Trac» ist solide und zuverlässig, viel leichter an- und abzukoppeln als die vielen Bikes, die ich ohne Hilfe nicht handhaben kann. Dagegen hätte wohl niemand was einzuwenden, wäre er noch etwas schneller und liesse sich bei Ausflügen noch leichter auf den mitgelieferten Schienen ins Auto fahren. Aber Achtung: Die IV bezahlt Fahrzeuge nur, wenn sie nicht schneller als 10 km/h fahren – und könnte man den «Trac» mit blosser Hand in den Kofferraum bugsieren, wäre er zu leicht. Seine Räder würden nicht haften und durchschleifen, statt uns zu ziehen, und zwar auch steil bergauf.
Ab 1983 mischte «Jay» das öde Angebot an Sitzkissen auf. Ein nichtbehinderter amerikanischer Geschäftsmann stand dahinter. Inzwischen sitzen viele von uns auf einem «Jay». Zuvor versanken oder litten wir auf mehr oder weniger nett überzogenem Schaumgummi. Den einen waren diese teuren, als medizinische Hilfsmittel getarnten Kissen zu weich, den andern zu hart. Heute ist das Sortiment breiter und qualitativ besser. Druckstellen, Verhornungen bis hin zum gefürchteten Dekubitus bedrohen uns freilich nach wie vor.
Uwe Schonhardt, Ergotherapeut am Rehab Basel, aber auch Ingenieur, entwickelt jetzt zusammen mit kompetenten Partnern ein «smart cushion», also ein intelligentes Kissen. Zu seinen kompetenten Projektpartnern gehören Spezialisten aus den Bereichen Software, Automation und «Sitzentwicklung». Intelligenz bedeutet, das Kissen ist in Unterstützungszonen eingeteilt, die sich elektronisch steuern lassen. Wer drauf sitzt, wird einstellen können, wo und in welchem Rhythmus das Kissen entlasten und Mikrobewegungen auslösen soll. Schonhardt betritt Neuland. Das ist erfreulich und bemerkenswert, denn oft sind unsere Hilfsmittel mehr schlecht als recht aus bestehenden Gebrauchsartikeln für den Massenmarkt abgeleitet. Salopp formuliert: Sie sind technisch bereits veraltet, wenn wir sie neu anschaffen.