Verglichen mit Bikes, sind unsere Rollstühle lausig.
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- 05. November 2018
- fritz
Verglichen mit Bikes, sind unsere Rollstühle lausig.
Die kleinen Rädchen sind ideal, wenn alles flach ist. Schon bei kleinsten Dellen sinken sie aber ein.
Zu ihrem Geburtstag habe ich meiner lieben Frau ein neues E-Bike geschenkt. Beim Kaufen erblasste ich vor Neid. Verglichen mit ihrem rund 15-jährigen alten Vehikel war sofort erkennbar: Da hat sich was getan. Ein elegantes, bruchsicheres, statisch durchdachtes Fahrrad steht vor mir. Moderne Elektronik, eine viel leistungsfähigere Batterie, alles sauber verarbeitet, mit Flügelschrauben individuell leicht anpassbar, ein bequemer Sattel aus hochwertigem Material. Kostenpunkt: Knapp 2900 Franken, es war aber Herbstausverkauf, also 2299.
Bei unseren Rollstühlen hat sich dagegen seit 25, 30 Jahren nichts verändert. Damals vollzog sich der Wandel vom angeblich rostfreien, schweren Stahl zu leichten Werkstoffen wie Aluminium, Titan und Carbon. Seither sind Handrollstühle 10 bis 15 Kilo schwer, zuvor waren es 20 bis gegen 30. Begünstigt durch den boomenden Fahrradmarkt, wurden zudem die Hinterräder und ihre Lager stabiler und leichtlaufender. Sie sind mit Steckachsen fixiert, allerdings so, dass sie immer etwas lottern. Die Vorderräder sind entweder zu klein, sodass wir in jeder Delle steckenbleiben, oder zu gross, und sie verkeilen sich beim Wenden mit unserer Ferse.
Je grösser das Vorderrad, desto besser, wenn’s uneben ist. Sie verkeilen sich aber mit unseren Schuhen.
Die Rückenlehnen brechen bei mir durch, wenn ich sie nicht beim Schlosser massiv verstärken lasse. Ich bin inkompletter Tetra, mit 60 Kilo freilich ein Fliegengewicht. Ich kann aber aus dem Sitzen heraus mein Gesäss anheben und auch den ganzen Rumpf mühelos verrenken und das Gewicht verlagern. Nichtbehinderte entlasten sich auf diese Weise andauernd und ohne es wahrzunehmen. Diese Bewegungen belasten natürlich die Rückenlehne. Auch das billigste Gartenmöbel hält dem stand, die Rohre unserer Rollstühle nicht. Die Statik stimmt also nicht, und das Gewicht ist vielfach schlecht verteilt. Zuviel lastet auf den kleinen Vorderrädern mit ihren noch immer schlechten Lagern.
Vier oder fünf quer angelegte reissfeste Gurten bilden die Rückenlehne. Sie sind mit Velcro verschlossen. Bei mir reisst der Velcro auf, wenn ich mich gegen ihn presse. Auch das muss ich verstärken lassen. Über diese Gurten kommt eine ebenfalls mit Velcro fixierte Polsterung aus billigen synthetischen Materialien. Dank ihnen bilden sich feuchte Kammern, weil sie uns zum Schwitzen bringen. Kostenpunkt für diese unzulänglichen Fahrzeuge: 5000 Franken aufwärts.
Für einen handelsüblichen Rollstuhl ist diese Entlastungsbewegung zu viel. Das Rückenrohr muss massiv verstärkt werden.
Ich stelle dieser leider wahren Tirade Gutes entgegen: Achsen-, Rahmen und Fussteilbrüche habe ich seit 1992 nicht mehr erlebt. Damals legte ich mir einen Titanrollstuhl zu – Marke Quickie, Modell GPV – dessen Rahmen und Fussteil es heute noch gibt. Alles andere musste ich im Laufe der Zeit ersetzen, namentlich die Rückenlehne. Sie krachte 1998 während eines klassischen Konzerts beidseits. Ich flog rücklings aus dem Stuhl, dem Herrn hinter mir vor die Füsse. Es stellte sich heraus, dass er Krankenpfleger war. Zum Glück ein kräftiger: Schwupp hievte er mich in den Stuhl, den der Platzanweiser zuvor meinetwegen beiseitegeschoben hatte.
Am anderen Tag erzählten wir einem befreundeten Psychologen, was uns widerfahren war. Er schmunzelte, allerdings nachdenklich, und bemerkte: «Da hättest du dir zu deiner Tetraplegie noch eine Paraplegie holen können!».
Wie kommen wir dazu, uns mit derart mangelhaften und unausgereiften Produkten versorgen zu lassen, die sich im breiten Markt von Konsumartikeln nie durchsetzen würden? Mit dieser Frage verbinde ich einen weiteren guten Gedanken: Ich lasse mich gerne belehren. Wer mir einen Rollstuhl verschafft, der sich qualitativ mit dem Bike meiner Frau messen kann, dem werde ich ewig dankbar sein.