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Porträts & Geschichten

Thronen, sitzen, hocken, aalen

Im Rollstuhl-Sitz-Zentrum in Nottwil können wir unsere Sitzhaltung prüfen und verbessern lassen.

Im Rollstuhl-Sitz-Zentrum in Nottwil können wir unsere Sitzhaltung prüfen und verbessern lassen.

Gekrümmt wie eine Banane, hocke ich in meinem Rollstuhl.

Ob querschnittgelähmt oder nicht: Wir können schön aufrecht sitzen, wie wir es in der Primarschule gelernt haben und es von Königen auf ihrem Thron erwarten. Auf Dauer strengt es freilich an. Die meisten Menschen ziehen es deshalb vor, behäbig und wie ein Kartoffelsack auf ihren vier Buchstaben zu hocken. Diese vier Buchstaben stehen für den schweizerdeutschen Begriff F-U-D-I, «Fudi», im Hochdeutschen sind es nur zwei, nämlich P-O, «Po».

Wer es noch bequemer haben will, schiebt seinen Po auf der Sitzfläche nach vorne. So streckt er sich schlaff aus, liegt schon fast, als wäre er eine Banane. Faul aalt er.

Etwa so hocke ich seit Jahrzehnten in meinem Rollstuhl. In den letzten fünf, zehn Jahren hat sich diese Haltung weiter verschlechtert. Jetzt beeinträchtigt mich das auch funktional. Nur noch mit Mühe kann ich mich nach vorn kauern. Aufrecht zu sitzen vermag ich nur, wenn ich den Rumpf mit Hilfe der Arme strecke und starken Druck auf das Hüftgelenk gebe. So kann ich aber bestenfalls fünf, zehn Minuten verharren.

Um aufrecht zu sitzen, muss ich mit den Armen Druck geben.

Lesen, schreiben oder essen kann ich dabei nicht, weil die Arme nicht frei sind.

Meine Sitzhaltung bringt es auch mit sich, dass der spastische Tonus in beiden Beinen weiter angestiegen ist. Das ist unangenehm und hat zur Folge, dass ich kaum mehr alleine ins Auto komme.

Inzwischen ist der Leidensdruck so gross, dass ich mich im Rollstuhl-Sitz-Zentrum (RSZ; Link: https://www.paraplegie.ch/spz/de/medizinisches-angebot/rollstuhl-sitz-zentrum) in Nottwil angemeldet habe. Dort erkannten sie sofort, dass ich eigentlich auf dem Steissbein und nicht auf den Sitzbeinen – den untersten Teilen des knöchernen Beckens – sitze.

Die Hüftbeugung ist eingeschränkt.

Da lag es nahe, die Beweglichkeit des Hüftgelenks zu messen. Sie ist eingeschränkt. Links beträgt der Beugungswinkel nur noch 70 Grad, rechts 85. Ideal wären mindestens 90 Grad, also Rechtwinkligkeit, noch besser mehr. Intensive Physiotherapie hilft, die Starre zu lösen und das Gelenk stärker zu beugen. Die Wirkung lässt aber, wie wir alle wissen, schon nach einer halben Stunde wieder nach.

«Botox» in einen der widerspenstigen Beinmuskeln, frage ich zögerlich. Das würde den Widerstand von unten her vermindern. Der Physiotherapeut schüttelt den Kopf. Das Problem sei «systemisch», meint er. Im Grunde müsste ich die gesamte Beinmuskulatur schwächen.

Training und Mobilisierung aus starren Mustern wirken lindernd.

«Systemisches» zu verändern, bedeutet im Jargon «zentral ansetzen», also Medikamente, die das gesamte Nervensystem dämpfen. «Was nehmen Sie denn gegen Spastik», fragt mich die Ergotherapeutin denn auch. «Rotwein», antworte ich, «den kann ich wenigstens geniessen». Auf ihre Frage, ob der was nütze, erwidere ich, der Tonus sei abends deutlich schwächer. «Das wäre er allerdings auch ohne Rotwein», räume ich freimütig ein.

Ich ging nicht ins RSZ, um dieses interdisziplinäre Team zu belehren. Ich wollte hören, wie sie meine Probleme rund ums Sitzen beurteilen und wie ich sie allenfalls entschärfen könnte. Genau das haben sie mir auch geboten. Nach den Abklärungen, die eine gute Stunde dauerten, kam die Orthopädietechnikerin und zeigte mir auf, welche Kissen zweckdienlich sein könnten. Auch das war aufschlussreich.

Wie immer in der Rehabilitationsmedizin liegt es nun an mir, die Vorschläge zu überdenken. Ein dreiwöchiges stationäres Trainingsprogramm im SPZ scheint mir übertrieben. Resignieren und gar nichts unternehmen liegt mir ebenso wenig, auch wenn mein Hausarzt recht hat: «Sie werden eben älter», sagte er und zeigte mir, wie auch er heute mit gekrümmten Rücken auf seinem Drehstuhl sitzt. Doch dieser Trost war mir zu wenig.

Zwischen gar nichts und stationärem Aufenthalt gibt es viele Mittelwege. Einer davon ist mein selbst konzipiertes Kraft- und Lockerungstraining, das ich unlängst wieder aufgegriffen habe. Die Durchführung ist einfach und bequem «stationär»: zu Hause im Schlafzimmer. Allenfalls ergänze ich das mit zwei zusätzlichen Neunerserien Physiotherapie. Mal sehen, was das bringt. Mit meinen 65 Lenzen bin ich schon zufrieden, wenn sich der Zustand nicht weiter verschlechtert.

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