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Frag den Doktor

  1. odyssita Star
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  3. Dienstag, 24. Oktober 2017
Lieber Dr_Hans, liebe Forenmitglieder,
mich beschäftigt seit einiger Zeit folgendes Thema:
Es gibt - unverändert seit dem Konzept der "Hysterie" - in der Medizin eine Tendenz, dass manche Ärzte dazu neigen, Symptome, die sie nicht verstehen, automatisch als psychisch bedingt einzustufen. Das geht sogar so weit, dass "positive Kriterien" gesucht werden, also bestimmte Ausprägungen von Symptomen, bei denen die Diagnose einer psychogenen Störung gestellt werden soll, statt weiter auf mögliche körperliche Ursachen zu untersuchen.
Menschen neigen dazu, Muster zu sehen - aber was, wenn Symptome rein deswegen ins Muster "psychogen" einsortiert werden, weil in der Vergangenheit keine Ursache für diese Symptome gefunden werden konnte (weil z.B. die üblicherweise in der Klinik angewandte Radiologie nicht in der Lage ist, zuverlässig Distorsionsverletzungen des Rückenmarks darzustellen bzw. weil Instabilitäten der Wirbelsäule schwer darstellbar sind)?
Nun habe ich den Eindruck, dass bei vielen Ärzten recht wenig Erfahrung und Wissen hinsichtlich Rückenmarksverletzungen vorzuliegen scheint. Wenn ich in anderen Foren quer lese, erschrecke ich immer wieder, wie teilweise Patienten mit HWS-Stenosen bzw. Instabilitätszeichen sowie Symptomen, die vom Rückenmark kommen könnten, von Ärzten weggeschickt werden mit den Worten, die Symptome könnten nicht von der Wirbelsäule kommen und das sei alles nicht so schlimm. Ist das Rückenmark ein Stiefkind der Medizin?
Kürzlich bin ich in einer Publikation über folgenden Satz gestolpert:
"The diagnosis of psychogenic movement disorder has been met with some skepticism [Palmer et al., 2016], but is distinguished from malingering, and thought to result from psychological causes [Hallett, 2016]; it is characterized by involuntary, disabling movements, abrupt in onset, a waxing/waning course, changes in the nature of the movement over time, worsening with stress, anxiety or depression, and improvement with distraction; they are difficult to diagnose and treat. Prognosis for improvement is better in patients with a shorter duration of illness [Lang, 2006]."
Quelle: Link zur Publikation
Ich übersetze einmal den Anteil der Publikation, in dem es um die "positiven Kriterien" geht:
"Die Diagnose psychogener Bewegungsstörungen [...] ist charakterisiert durch unwillkürliche, invalidisierende [also stark einschränkende] Bewegungen, die abrupt einsetzen, im Verlauf zu- bzw. abnehmen, sich in ihrer Art im Verlauf der Zeit verändern, sich bei Stress, Angst oder Depression verschlechtern und bei Ablenkung verbessern; sie sind schwierig zu diagnostizieren und zu behandeln. Die Prognose hinsichtlich einer Verbesserung ist besser bei Patienten mit kürzerer Erkrankungsdauer [...]"
Mich irritiert dieser Abschnitt der Publikation vor allem deswegen, weil es kurz zuvor noch darum gegangen war, dass bei der vorgestellten Patientengruppe Wirbelsäuleninstabilitäten, Chiari Malformation und Tethered Cord vermehrt aufzutreten scheinen.
Meine Frage ist:
Welche dieser "positiven Kriterien" würden ebenso auf Kloni und andere Bewegungsstörungen, die durch Verletzungen des Rückenmarks ausgelöst werden, zutreffen? Inwiefern besteht Verwechslungsgefahr, z.B. wenn Dysautonomie nicht erkannt und stattdessen als Stress oder Angst interpretiert wird, oder wenn Positionsveränderungen nicht mit einbezogen werden und stattdessen als Ablenkung interpretiert werden?
Und, falls mein Verdacht stimmt, dass es da einige Überschneidungspunkte gibt: Gibt es Publikationen, die sich mit der Problematik beschäftigen und Empfehlungen geben, wie damit umgegangen werden sollte, um rückenmarksbedingte Bewegungsstörungen nicht zu übersehen?
Danke!
Viele Grüße,
odyssita
fritz
Blog-Autor
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...das ist auf der fachlichen wie auch allgemeinen Ebene eine interessante Frage. Fachlich ist sie anspruchsvoll, und das begünstigt es, nach einer möglichst simplen Antwort zu suchen. Dieses Reaktionsmuster zeigen nicht nur Ärzte, sondern alle Experten, die Fragen oder Probleme von Ratsuchenden beantworten sollten. Ich bin gespannt, was der erfahrene Dr. Hans meint.
  1. vor über einem Monat
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  3. # 1 1
Dr_Hans
Dr. Online
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Liebe Odyssita
Psychogene Bewegungsstörungen
Die psychogenen (= nicht-organischen) Bewegungsstörungen sind ein Thema, das bis heute noch nicht abschliessend erforscht und beschrieben ist. Das sieht man schon daran, dass die Bezeichnungen immer wieder gewechselt wurden: von Hysterie über Neurose, bis zu Konversionsstörung vom motorischen Typ.
Ich gehe hier vor allem auf Lähmungserscheinungen ein, weil mir diese aus meiner Praxis am nächsten sind.
Die Ursache einer solchen Störung ist psychogen (Ursache liegt in der Psyche (= Geist, Seele)) und die Auswirkungen sind somatisch (= wirken sich auf den Körper aus). Am Körper sind jedoch trotz „Funktionsstörungen“ keine organpathologischen Ursachen und Befunde nachweisbar.
In der Klinik ist eine psychogene Bewegungsstörung grundsätzlich eine Ausschlussdiagnose. Sämtliche bekannten klinischen Syndrome (= Symptomenkomplexe) müssen ausgeschlossen werden, bevor diese Diagnose gestellt werden darf, was langwierige Untersuchungen einschliesst. Hier beginnt schon das Problem, dass eventuell nicht alle in Frage kommenden Syndrome untersucht und getestet werden können (Verfügbarkeit der Testmethoden, Kosten etc.). Somit bleibt immer eine Rest-Unsicherheit bei einer solchen Diagnose. Ich möchte mich aber gegen die Behauptung wehren, dass eine solche Diagnose vorschnell gestellt wird, weil kein ausreichendes Verständnis der Problematik vorhanden sei.
Häufig ist das Krankheitsbild auch eine Mischung aus somatischen Beschwerden, die durch psychische Affektionen überlagert werden. In solchen Fällen wird es äusserst schwierig die Symptomatik auseinander zu dividieren und die Symptome korrekt einzuordnen. Im klinischen Alltag hat man dafür wenig Zeit und es ergeben sich daraus leider häufig nur geringe Konsequenzen für den Patienten und seine Behandlung (wegen geringer Krankheitseinsicht).
In der Vorgeschichte findet sich meist eine starke psychische Belastung (Kindheitstrauma, Beziehungsprobleme, beruflicher Misserfolg etc.), in deren Folge die Bewegungsstörung oder Lähmung plötzlich oder allmählich aufgetreten ist. Der Ausfall (z.B. Lähmung) wird nicht absichtlich erzeugt oder vorgetäuscht! (ganz wichtig: Der Patient simuliert nicht!!, er kann wirklich nicht). Die Verdrängung von ungelösten Problemen ist eine wichtige Voraussetzung dass solche Vorgänge überhaupt unbewusst ablaufen können.
Es können einzelne Extremitäten teilweise oder komplett gelähmt sein, und die Lähmung kann sich ohne äusseren Grund verstärken oder sich auf andere Glieder ausweiten. Die motorische Lähmung ist nicht die einzige Bewegungsstörung, die auftreten kann. Möglich sind auch Tremor, Dystonie, Myoklonien, Tics, etc.. Kombiniert können diese Symptome auch mit eunem Ausfall der Sensibilität, übermässigem Schmerz, Depression und Angst auftreten. Die Funktionen des autonomen Nervensystems sind dabei meistens nicht beeinträchtigt. Eine ausgedehnte klinisch-neurologische Untersuchung zeigt bei einigen Tests Reaktionen, die nicht zum eigentlichen Lähmungsbild passen. In der apparativen Diagnostik werden häufig elektrophysiologische Methoden angewandt (Nervenleitungsgeschwindigkeit), deren Resultate unauffällig sind. Deshalb lassen Patienten diese Untersuchung nicht an sich ausführen. Muskelschwund (Atrophie) und Kontrakturen (Einschränkung des Bewegungsumfangs), die üblicherweise mit einer organischen Lähmung einhergehen, fehlen. Die Lähmung kann nicht durch einen medizinischen Krankheitsfaktor erklärt werden und das Leiden beeinträchtigt den Patienten aber wesentlich in seinem täglichen Leben. Der Patient ist überzeugt, an einer körperlichen Krankheit zu leiden. Auch gewisse Verhaltensweisen deuten auf eine psychische Störung hin, z. B.: Der Patient kauft sich selbst einen Rollstuhl bevor er zu einer Rehabilitationsbehandlung eintritt.
In der Rehabilitation sind oft auch die Hinweise von erfahrenen Pflegepersonen und Therapeuten wichtig, um eine solche Diagnose zu stellen. Die Beobachtung des Patienten und die Zusammenarbeit mit dem Rehabilitationsteam lassen Vergleiche zwischen Patienten mit somatischen (realen) Lähmungen und dem Lähmungsmuster einer psychogenen Bewegungsstörung zu. Der Patient mit psychogener Bewegungsstörung zeigt eine Lähmung, die so aussieht wie er sich das Krankheitsbild vorstellt und nicht, wie sich das wirkliche Krankheitsbild klinisch manifestiert.
Die Diagnose wird nie von einem Arzt allein gestellt. es braucht dazu eine ganze Reihe von anderen Spezialisten wie Neurologen, Psychiater, Psychologen, Rehabilitationsmediziner etc., die sich auf ihre persönlichen Gespräche mit dem Patienten und auf ihre Untersuchungsresultate abstützen.
Abgegrenzt werden sollte die somatoforme Störung von der Artefakt-Krankheit (der Patient führ sich selber einen Schaden zu) und der Simulation. Dies kann im Einzelfall äusserst herausfordernd sein.
Die Krankheit ist durch entsprechende Rehabilitationsmassnahmen und psychiatrische Unterstützung behandelbar (Die Behandlung wird von den Patienten aber nicht immer zugelassen). Je früher die Behandlung beginnt, desto besser die Erfolgschancen. Viele Patienten haben durch ihre psychogene Bewegungsstörung einen sekundären Krankheitsgewinn (Akzeptanz als Rollstuhlfahrer), der eine effiziente Behandlung verunmöglicht und zur Chronifizierung mit bleibenden Symptomen führt.
Am Ende ist eine psychogene Bewegungsstörung eine Diagnose wie jede andere. Sie gehört in die Gruppe der dissoziativen Störungen, die früher auch als Konversionsstörungen oder Konversionsneurosen bezeichnet wurden. Sie hat eine ICD-Nummer (International Classification of Diseases der WHO): F44.4.
Wenn diese Diagnose einmal gestellt ist, hat der Patient ein Label, das von Krankenkasse, Versicherungen, Behörden, Stiftungen etc. anerkannt und respektiert wird. Der Patient hat Anrecht auf adäquate Behandlung und entsprechende Hilfsmittel.
Zusammenfassend möchte ich sagen, dass die „positiven Kriterien“ alleine nicht ausschlaggebend sind für die Diagnosestellung. Sie sehen ja gleich aus wie bei einer organischen Störung, also überschneiden oder decken sich wie Du vermutest. Erst in der Zusammenschau mit anderen Untersuchungsergebnissen, Beobachtungen des Patienten und der Entwicklung des Krankheitsbildes lässt sich die Diagnose herauskristallisieren. Sorgfalt ist dabei oberste Pflicht, auch wenn es manchmal schwierig wird.
Ich hoffe, dass ich damit etwas Klarheit in dieses doch eher undurchsichtige Gebiet gebracht habe.
Dr_Hans, 2.11.2017
Literatur zum studieren:
Conversion disorder: current problems and potential solutions for DSM-5.
Stone J, LaFrance WC Jr, Brown R, Spiegel D, Levenson JL, Sharpe M.
J Psychosom Res. 2011 Dec;71(6):369-76.
Psychogenic Movement Disorders
E. L. Peckham, M. Hallett
Neurol Clin. 2009 Aug; 27(3): 801–vii.
Systematic review of misdiagnosis of conversion symptoms and “hysteria”
J. Stone, R. Smyth, A. Carson, S. Lewis, R. Prescott, C. Warlow, M. Sharpe
BMJ 2005;331:989
How to identify psychogenic disorders of stance and gait. A video study in 37 patients.
Lempert T, Brandt T, Dieterich M, Huppert D.
J Neurol. 1991 Jun;238(3):140-6
  1. vor über einem Monat
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  3. # 1 2
odyssita Star
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Lieber Dr._Hans,
ganz herzlichen Dank für Ihre Zeit und diese wieder einmal sehr ausführliche Antwort.
Ich muss ehrlich sagen, ich sehe bei dem Thema zwei verschiedene Aspekte. Der eine Aspekt ist die Anwendung bestehender Diagnosekriterien - vielen Dank für die Erklärungen und Liste der Publikationen, das ist interessant. Der andere Aspekt ist für mich aber ehrlich gesagt die Frage, was ich überhaupt von dem Konzept, dass Symptome rein psychogen sein können, halten soll. Wie ist die Evidenz dafür, beziehungsweise: Wie will man wissen, dass bei den "Outliern", bei denen mit den bisherigen diagnostischen Möglichkeiten keine körperliche Ursache für die Symptome erkennbar ist und sich die Symptomatik in Teilbereichen anders darstellt als erwartet, nicht doch eine körperliche Ursache für die Beschwerden besteht, die nur vielleicht selten und somit weniger bekannt oder sogar der medizinischen Forschung noch gar nicht bekannt ist? Bekommen diese Patienten auch eine symptomatische Therapie und Hilfsmittel, so wie sie Patienten mit bekannter Ursache der Beschwerden bekommen würden, und wie sprechen sie darauf an?
Und wenn eine Restunsicherheit immer bestehen bleibt, Patienten sich gegen die Diagnose einer psychogenen Störung wehren und sie nicht als hilfreich empfinden und auch die Studienlage nicht dafür spricht, dass Patienten von den daraufhin abgebotenen psychologischen Therapieansätzen profitieren - stellt sich dann nicht um so mehr, auch unter ethischen Aspekten, die Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist, diese Diagnosen zu stellen und im Hinterkopf zu haben?
Es scheint mir, als wären diese Diagnosen für Ärzte und Patienten gleichermaßen frustrierend - und von meinen Gesprächen mit Patienten, aber auch mit Ärzten her habe ich das Gefühl, dass sie vielmehr ein Gefühl der Verunsicherung auf beiden Seiten schaffen und in der Lage sind, das gegenseitige Vertrauen zwischen Arzt und Patienten zu stören - und gegenseitiges Vertrauen halte ich für sehr wichtig.
Mich macht das Thema wirklich nachdenklich, ich denke viel darüber nach.
Ich verlinke hier mal noch einen TED-Talk zum Thema, den ich persönlich sehr gut finde.
https://www.ted.com/talks/jen_brea_what_happens_when_you_have_a_disease_doctors_can_t_diagnose?language=de
Nachdenkliche Grüße,
odyssita
  1. vor über einem Monat
  2. Frag den Doktor
  3. # 1 3
fritz
Blog-Autor
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Ich habe mir diesen Beitrag angesehen. Er ist eindrücklich. Sie bringt ihre Geschichte auch mit der notwendigen und auch angebrachten Emotionalität. Im Kreise von uns Rollstuhlfahrern stösst man über kurz oder lang auf Menschen mit solchen Schicksalen. Ich empfand den Austausch jeweils als lebhaft und interessant. Trotzdem blieben mir ihre Biografien fremd, und so ergeht es eben auch behandelnden Ärzten. Die Niederländerin Monique van der Vorst ist eine, auch in den Medien bekannte Frau, die ich 2011 in der Zeitschrift NeuroGeneration auf Seite 6 porträtiert habe. Nachstehend der Text und ein Interview mit dem Chefarzt des Paraplegikerzentrums der Klinik Balgrist in Zürich.
Monique geht wieder und fährt Rad – Rennen natürlich!
Die heute 27-jährige Niederländerin Monique van der Vorst war seit 1998 auf den Rollstuhl angewiesen. Grund waren Lähmungen im linken Bein und im Kniegelenk, die sich nach einer Knöchelverletzung und einer anschliessenden unglücklich verlaufenen Operation einstellten. Sie verzagte aber nicht und errang Spitzenränge im Rollstuhlsport. Bei einem Trainingsaufenthalt in den USA wurde sie am 20. April 2008 von einem Auto angefahren und verletzte sich. Dabei zog sie sich zu den bestehenden Komplikationen eine inkomplette Querschnittlähmung auf Höhe des vierten Brustwirbels zu. - Sie ist fortan Paraplegikerin und durchläuft das einschlägige Rehabilitationsprogramm. Schon bald kehrt sie aber zurück in den Sport. Überall in der Welt nimmt sie wieder an Rennen teil und gewinnt Preise. Im März 2010 erleidet sie in Mallorca wieder einen Unfall und wird in kritischem Zustand ins Spital verlegt. Wochen später nimmt sie in ihren gefühllosen Beinen erstmals seit zwölf Jahren Empfindungen und Zuckungen wahr. Schliesslich kann sie die Beine bewegen, sechs Monate später im Zimmer auf und ab gehen und schliesslich immerhin eine halbe Stunde ohne fremde Hilfe spazieren gehen. Doch das ist nicht das Ende der Geschichte: Heute ist sie Radrennfahrerin. Sie selbst kann sich das alles nicht erklären, sagt aber, dass sie sich wie neu geboren fühlt. Zum Schicksal von Monique van der Vorst haben wir Prof. Dr. Armin Curt, Chefarzt und Direktor des Paraplegikerzentrums der Klinik Balgrist befragt:
Herr Profesor Curt, Sie kennen die Krankengeschichte von Monique van der Vorst nicht. Wohl aber die öffentlich bekannten Fakten. Was halten Sie davon?
Prof. A. Curt: Ich glaube gerne an Wunder, nur verstehen kann ich sie leider nicht.
Was sind denn die Vorgänge im Rückenmark bei einem solchen Verlauf?
Prof. A. Curt: Ich darf seit bald 20 Jahren im Bereich Querschnittlähmung mit Patienten arbeiten, habe bisher aber leider noch nie so einen eindrücklichen Fall selbst studieren können. Es nagt bei mir der Zweifel, was dort berichtet wird.
Hätten Nogo-A-Antikörper oder Stammzellen den Vorgang beschleunigt?
Prof. A. Curt: Nogo A und Stammzellen gehören nicht in die Abteilung „Wunder“, sondern führen zu ganz spezifischen Veränderungen von Nervenfunktionen, die man auch messen (=verstehen) kann. Von den neuen Therapien erhoffen wir uns eine bessere Erholung (mehr Kraft zum Laufen etc..) nach Rückenmarksverletzung, hier wären wir schon mit einigen Prozenten sehr zufrieden.
(Quellen: http://www.moniquevandervorst.com, NZZaS, eigene Recherchen)
  1. vor über einem Monat
  2. Frag den Doktor
  3. # 1 4
odyssita Star
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Hallo fritz,
vielen Dank für den interessanten Beitrag. Ich denke, letzten Endes sind gerade diese ungewöhnlichen Fälle (sowohl hinsichtlich unerwarteter Symptome, als auch hinsichtlich unerwarteter Heilung), diese Outlier, spannend, weil sie Fragen aufwerfen. Ich denke, gerade an diesen ungewöhnlichen Fällen liesse sich etwas lernen, was das bisherige Wissen erweitern könnte und was vielleicht eines Tages auch als Basis für neue Therapieansätze dienen könnte.
Ich habe im englischsprachigen Bereich dazu auch einen TED-Talk verlinkt, zu dem es aber leider meines Wissens keine Übersetzung gibt - aber ich setze den Link doch auch trotzdem noch einmal hier:
https://www.ted.com/talks/kevin_b_jones_why_curiosity_is_the_key_to_science_and_medicine
Mein persönlicher Eindruck ist, dass man die Chance verpasst, etwas Neues zu lernen, wenn die Psyche zur "Blackbox" wird, mit der sich alles, was nicht ins bisherige Bild passt, wegerklären lässt, ohne sich zu bemühen, die dahinterstehenden Mechanismen zu verstehen... und dass die Gefahr besteht, Patienten damit nicht gerecht zu werden. Ich denke auch, dass es wirklich wichtig wäre, zu erforschen, welche Folgen diese Diagnosen für betroffene Patienten haben, warum diese Diagnosen so gefürchtet sind, und dies nicht im Sinne mangelnder Krankheitseinsicht als Problem, das beim Patienten liegt, anzusehen - denn ich denke, das Problem geht tiefer.
Von Jennifer Brea, deren TED-Talk ich weiter oben verlinkt habe, gibt es seit kurzem auch einen Dokumentationsfilm, "Unrest", der beim Sundance-Festival sogar einen Preis gewonnen hat. Der ist richtiggehend erschütternd, weil er viele Emotionen zeigt, schwer körperlich betroffene Patienten, die Auswirkungen dieser Diagnosen auf soziale Kontakte und Beziehungen. Und sogar einen Fall aus Dänemark, in dem eine Patientin mit Polizeigewalt aus ihrem Elternhaus geholt und drei Jahre in einer Klinik festgehalten wurde.
https://www.amazon.de/Unrest-OV-Jennifer-Brea/dp/B075LT2BFT/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1510158927&sr=8-1&keywords=unrest
Kernsatz des Films war für mich:
"Sickness doesn't terrify me and death doesn't terrify me. What terrifies me is that you can disappear because someone's telling the wrong story about you. I feel like that's happened to all of us who are living this."
"Krankheit macht mir keine Angst, und der Tod macht mir keine Angst. Was mir Angst macht ist, dass man verschwinden kann, weil jemand die falsche Geschichte über einen erzählt. Ich habe das Gefühl, dass das mit uns allen, die wir in dieser Lebenssituation sind, passiert ist."
Ich würde den Film nicht jedem empfehlen, weil er auch die ganze damit verbundene Verzweiflung wiedergibt. Aber ich finde den Film wichtig. Ich finde es wichtig, dass darüber gesprochen wird.
Nachdenkliche Grüße,
odyssita
  1. vor über einem Monat
  2. Frag den Doktor
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