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Frag den Doktor

  1. Nichtsdestotrotz Autor
  2. Frag den Doktor
  3. Sonntag, 12. November 2017
Sehr geehrter Dr. Hans,

vor längerer Zeit habe ich von Ihnen hier im Forum einen Beitrag gelesen, der mir nicht mehr aus dem Kopf geht. Kurz zu meiner Person: ich bin Tetraplegiker und leide unter starker Spastik und hohem Muskeltonus im ganzen Körper. Die Blase entleere ich durch Klopfen. Den Toilettengang erledige ich täglich mit Lecicarbon auf dem Toilettenstuhl. Um die Spastik zu dämpfen nehme ich täglich 75mg Baclofen, zur Nacht eine Tablette Katadolon S long (gegen Schmerzen und für eine weitere Muskelentspannung) und Sativex. Morgens nehme ich zwei Sprühstöße Sativex, mittags einen und zur Nacht 6 Sprühstöße. Das alles dämpft zwar die Spastik, aber morgens, so gegen 4.00 Uhr ist meine Nacht vorbei. Ich bin dann total verkrampft und angespannt und der kleinste Auslöser reicht aus, z.B. wenn die Blase sich spontan entleert oder wenn ich Husten muß o.ä., damit der ganze Körper bebt und die Beine hochschießen und ich ein „Klappmesser“ mache. Darüber hinaus habe ich ständig Bauchschmerzen. Schmerzen, die wohl von einem völlig überblähten Bauch herrühren. Ich vermute auch einen Zusammenhang zwischen Spastik, Bauch- und Rückenschmerzen. Sie schrieben damals in Ihrem Beitrag sinngemäß, dass ein aufgeblähter Bauch Beschwerden macht, die Darmwände weiter aufdehnt und dadurch noch mehr Beschwerden auftreten. Diese Beschwerden können dauerhaft negativ sein und zu Depressionen führen.
Genau so scheint es bei mir zu sein. Meine Bauchschmerzen stehen immer im Vordergrund, rauben mir unendlich viel Kraft und Lebensfreude. Heute Abend gehe ich zum Kabarett und ich sollte mich darauf freuen, nur meine Gedanken kreisen schon wieder darum, wie ich die Zeit gut überstehe und ich meinen Freunden nicht zeige, dass es mir nicht gut geht.
Damit es beim Abführen keine Probleme gibt, nehme ich regelmäßig Isomol (Makrogol). Früher reichten 1-2 Beutel pro Tag. Mittlerweile benötige ich 2-3 Beutel. Katadolon und Sativex fördern wohl auch eine gewisse Darmträgheit.
Die Beschwerden haben in den letzten Jahren ein Ausmaß erreicht, wo ich manchmal denke, ich platze gleich. Eine Darmspiegelung hat gezeigt, dass der Dickdarm geweitet ist. Tja, aber niemand konnte mir sagen, wie ich mich weiter verhalten soll. Durch den mangelnden Schlaf bin ich immer schlapp und müde, die Schmerzen rauben mir die Energie und Lebensfreude. Und das, obwohl ich noch so viel erreichen möchte…
Ich bin häufig traurig und frustriert!
Ach ja, im April 2016 wurde eine Studie von zwei neuen Spastik-Medikamenten vorgestellt. Noch in 2016 sollten weitere Studien folgen. Nun haben wir Ende 2017 und ich habe von diesen Medikamenten nichts mehr gehört. Es handelt sich um Calpain und Riluzole. Wissen Sie etwas davon?

Tja, das war meine Krankengeschichte. Ich bin überfragt, wie es weitergehen soll? Eine Baclofenpumpe für die Spastik? Finde ich nicht so schön. Eine Stomaversorgung für den Darm? Eine furchtbare Vorstellung. Ich wäre für ein Wunder empfänglich…
Dr_Hans
Dr. Online
Akzeptierte Antwort Pending Moderation
Lieber Nichtsdestotrotz,
Vielen Dank für Deinen Beitrag zur Community.Paraplegie. Ich glaube Du schilderst Deine Situation sehr klar und realitätsnah. Es sind genau diese Probleme, an denen viele unserer querschnittgelähmten Patienten leiden.
Ich habe mir Gedanken zu Deiner Medikation im Zusammenhang mit den geschilderten Beschwerden gemacht.
Schmerzbehandlung:
Das Medikament Katadolon scheint aufgrund seines Wirkungsspektrums von Deinem behandelnden Arzt sehr gezielt ausgewählt worden zu sein. Er möchte damit zwei Fliegen auf einen Schlag treffen, nämlich einerseits Deine Schmerzen in den Griff kriegen und andererseits auch eine muskelentspannende Wirkung ausüben. Es ist zu bedenken, dass sich die entspannende Wirkung möglicherweise auch auf den Darm überträgt. Daher sind Blähungen auch als Nebenwirkung erwähnt.
Katadolon ist ein Medikament, dass die Signalübertragung an den Synapsen (Verbindungen zwischen Nervenzellen) beeinflusst und die Signalübertragung einschränkt. Flupirtin (Katadolon, Trancopal) ist in der Schweiz nicht mehr im Handel (wegen Nebenwirkungen). Ich nehme darum an, dass Deine Leberwerte regelmässig kontrolliert werden.
Flupirtin ist eine Alternative zu Opiaten, die den Darm bekanntlich auch ruhigstellen. Man könnte sich auch noch Novalgin (Novaminsulfon) als Schmerzmittel überlegen, welches auch krampflösende Eigenschaften hat. Hier ist aber die Wirkungsdauer meistens nicht ausreichend und auch dieses Medikament hat seine Nebenwirkungen. Um den Einfluss auf den Darm zu reduzieren, könnte man sich auch eine transdermale Applikation der Schmerzmittel (via Hautpflaster (Opiate)) überlegen.
Darmregulation:
Isomol, (Macrogol) 2-3 Beutel / Tag
Lecicarbon Supp. 1-0-0 zur Auslösung des Stuhlganges
Ich finde es positiv, dass Du die Darmregulation mit Macrogol (Polyethylenglykol) durchführst. Die höhere Dosis ist meines Erachtens unbedenklich. Dies ist ein Makromolekül (sehr langkettig), welches im Darm nicht resorbiert und auch nicht bakteriell abgebaut werden kann. Dadurch sollte kein Gas und keine Blähungen entstehen (wie z. B. mit Feigensirup). Es bindet viel Wasser an sich (osmotische Wirkung) und hält so den Darminhalt feucht und geschmeidig, damit er von der Darmmuskulatur (Peristaltik) geknetet und vorwärts transportiert werden kann. Das Stuhlvolumen wird durch das gebundene Wasser erhöht. Die Wasseraufnahme passiert aber nicht plötzlich, es dauert Stunden und man muss daran denken, dem Darm auch genügend Wasser bereitzustellen, d. h. also genügend trinken.
Wenn der Darminhalt dann ins Rutschen gerät, kann dies zu Bauchschmerzen führen. Es ist darum wichtig, Macrogol zu jeder Mahlzeit einzunehmen, damit es mit dem Nahrungsbrei gemischt wird und es nicht nur im Abstand von zwei bis drei Tagen schlucken, wenn wieder einmal Stuhlgang nötig wäre. Es sollte ein kontinuierlicher Fluss des Darminhalts zustande kommen. Meiner Meinung wäre auch eine tägliche Stuhlentleerung angezeigt, wenn sich das vom Pflegeaufwand her machen lässt.
Damit es bei Tetraplegikern nicht zu einem langsamen Aufstau im Verdauungstrakt kommt, müsste etwa jeden Tag gleich viel Stuhl (200-300g) ausgeschieden werden. Wenn an einem Tag nichts kommt, müsste bei gleichbleibender Nahrungszufuhr am nächsten Tag doppelt so viel Stuhl ausgeschieden werden.
Die Blähungen entstehen meines Erachtens durch die Vergärung von Kohlehydraten (aus der Nahrung) im Darm. Vergärung produziert CO2 wie beim Bier. Dieses wird teilweise resorbiert und über die Lunge abgeatmet aber lange nicht alles. Bei langer Verweildauer des Inhalts im Darmtrakt nehmen die Vergärung und damit die Gasentwicklung und die Blähungen zu.
Interessant wäre eine Messung der Darmtransit-Zeit. Wie lange geht es, vom Moment wo Du etwas isst, bis es wieder hinten raus kommt? Man kann dies mit aufwändigen Röntgenuntersuchungen machen, es geht aber auch einfacher, indem man einige Löffel Maiskornsalat (möglichst unzerkaut) schluckt und kontrolliert, wann die Körner wieder ausgeschieden werden. Meistens treten sie unverändert (unverdaut) wieder zu Tage, die Hüllen der Maiskörner können von der Verdauung schlecht angegriffen werden. Weil sie gelb sind, kann man sie gut im Stuhl erkennen. Normal wären 24 bis 48 Stunden, bei Tetraplegikern geht es aber oft bis zu 96 Stunden.
Die verlängerte Darmpassage ist die Ursache dafür, dass der Darminhalt zu faulen (Geruch!) und zu gären beginnt. Die neben den Gasen entstehenden Stoffe (z. B. Alkohole) werden resorbiert und führen zu einer metabolischen Encephalopathie, die sich mit Unlust, Gereiztheit, Müdigkeit und depressiven Gefühlen äussert.
Man könnte versuchen die Darmpassagezeit mit Faserstoffen zu beschleunigen. Dazu eignen sich geschrotete Leinsamen (Linus usitatissimum) oder Flohsamen (Plantago ovata) aus dem Reformhaus (je 3x15 g/Tag). Die Schrotung bricht die Samen auf und verbessert deren Wirkung. Beide enthalten Schleimstoffe in den Schalen und Öle im Inneren, die die Verdauung „schmieren“ Damit die Schleimstoffe quellen können, ist auch hier genügend Wasser (Trinkmenge) notwendig, sonst kommt es zur Verklumpung im Darm.
Das Lecicarbon Suppositorium entwickelt nach dem Einführen CO2 Gas, das den Enddarm dehnt und so den Defäkationsreflex auslöst. Das ist nur ein vorübergehender lokaler Effekt, es ist nicht mit einer systemischen Wirkung zu rechnen. Es führt auch nicht zu Blähungen. Einen ähnlichen Effekt erreicht man auch durch digitales Dehnen der Analmuskulatur
Behandlung der Spastik:
Baclofen 3x25 mg / Tag.
Sativex Hübe 2-1-6
Baclofen ist bei Querschnittgelähmten meist erste Wahl zur Beeinflussung der Spastik. Es ist aber zu bedenken, dass Baclofen auch die nicht gelähmte Muskulatur des Körpers und die Darmmuskulatur beeinflusst und schwächt. Magen-Darm Störungen und Verstopfung werden als unerwünschte Wirkungen erwähnt. Möglicherweise müsste Baclofen am Abend höher dosiert werden, damit die Wirkung die ganze Nacht anhält. Alternativen (Benzodiazepine) hast Du sicher schon ausprobiert.
Mit Sativex (vorwiegend Tetrahydrocannabinol) wird die antispastische Therapie phytotherapeutisch (pflanzlich) unterstützt. Als Mundspray angewandt, wird es durch die Mundschleimhaut resorbiert und gelangt so in den Körperkreislauf, ohne dass es via Pfortader in die Leber gelangt, wo der grösste Teil deaktiviert würde. Dadurch erreichst Du eine intensiveren Effekt. Ich kenne einige Patienten, die mit der Wirkung der Cannabinoide gut zufrieden sind. Natürliche Extrakte wirken erfahrungsgemäss besser als synthetisch hergestelltes 4THC.
Soweit meine Beurteilung Deiner Problematik. Es gibt leider keine Standardlösung, jeder Patient muss individuell behandelt werden und es dauert manchmal Wochen, bis man die beste Einstellung gefunden hat.
Die beiden neuen Substanzen, die Du erwähnst, werden gegenwärtig in Frankreich (Institut de neurosciences de la Timone) untersucht. Auch sie zielen darauf ab, die Empfindlichkeit der synaptischen Signalübertragung zu vermindern. Man hat dabei das von Dir erwähnte Enzym Calpaïne entdeckt, das offenbar für die „Überempfindlichkeit“ der Motoneurone (durch Deregulierung der Na-Kanäle) verantwortlich ist. Dieses Enzym lässt sich mit einem Antikörper inaktivieren, was bei Ratten einen positiven und offenbar nachhaltigen Effekt auf die Spastik hatte.
In diesem Artikel gibt es noch eine Zeichnung, wie dieses Enzym funktioniert. http://www2.cnrs.fr/presse/communique/4463.htm (Artikel in französischer Sprache) https://www.sciencedaily.com/releases/2016/03/160316131020.htm (Artikel in Englisch)
Riluzol, das andere Medikament das Du erwähnst, ist eigentlich für die Behandlung der amyotrophen Lateralsklerose (ALS) zugelassen. Bereits 2009 (Kitzman) hat man es gegen Spastik an Ratten(-Schwanzmuskulatur) getestet. Diese Substanz beeinflusst die glutamatergen-Kanäle und wahrscheinlich auch die Na-Kanäle in der Membran der Motoneurone. Eine Studie: Riluzole in the Treatment of Spasticity in the Traumatic Chronic Spinal Cord Injury Condition (RILUSCI) ist gegenwärtig in Vorbereitung.
Eigene Erfahrungen damit (off label use) habe ich keine.
Bei fortbestehender starker Spastik wäre die Implantation einer Baclofenpumpe sicher eine Überlegung wert. Ich habe verschiedene Patienten erlebt, die davon wirklich begeistert sind. Man kann heute eine ausgedehnte Vorabklärung mit einer externen Pumpe an einem intrathekalen Katheter machen, bei dem erst einmal die notwendige Dosis bestimmt werden kann und der Patient sowohl die Wirkung wie auch die noch vorhandenen Nebenwirkungen abschätzen (erleben) kann. Üblicherweise ist die Baclofen Dosis, die über eine Pumpe direkt in den Liquor (Hirnwasser) gegeben werden muss nur 1/100 bis 1/1000 der oralen Dosis (mit Tabletten), weil die Blut Hirn Schranke nicht überwundenwerden muss. Deswegen sind auch die Nebenwirkungen wesentlich geringer. Wenn der Patient nach der Probephase mit dem Resultat zufrieden ist, kann man die Pumpe implantieren. Erst dann entstehen die wirklichen Kosten. Eine programmierbare Pumpe hat zudem den Vorteil, dass zirkadiane Dosierungsanpassungen programmiert werden können, also z.B. am Abend höhere Dosis als tagsüber, ganz auf die individuellen Bedürfnisse des Patienten angepasst..
Vor einer Stomaversorgung sollte man auch die Möglichkeit einer anterograden Kolonirrigation in Erwägung ziehen. Dabei wird der Appendix (Wurmfortsatz des Blinddarms) so in die Bauchhaut eingenäht, dass man darüber mit einem Katheter einen Einlauf in den Dickdarm machen kann, der kurz darauf den Stuhlgang auslöst. Für einen Tetraplegiker ist diese Methode viel einfacher zu bedienen als wenn bei chronischer Obstipation Einläufe über ein Darmrohr vorgenommen werden müssen. Je nach Handfunktion kann der Patient dies auch selbst ausführen. Wenn der Irrigationskatheter wieder entfernt wird, ist das Appendicostoma zwischenzeitlich dicht (kein Stomasack nötig). Es gibt hier also noch verschiedene Zwischenlösungen, bevor man zu einer Stomalösung gelangt.

Ich denke einige andere Mitglieder unserer Community haben eigene Erfahrungen mit Verdauung und Spastik. Vielleicht sind es keine Wunder aber sicher haben sie praxiserprobte Ratschläge!! Die Behandlung ist immer ein Mittelweg zwischen funktionierender Verdauung und genügend gedämpfter Spastik. Es würde mich interessieren, wer noch andere Ideen und Vorschläge zur Lösung des Problems von „Nichtsdestotrotz“ hätte. Vielleicht kommen auch Sichtweisen zum Vorschein, an die wir hier gar nicht gedacht haben!
Es wünscht Dir ein schönes Wochenende
Dr_Hans, 17.11.2017
  1. vor über einem Monat
  2. Frag den Doktor
  3. # 1 1
Akzeptierte Antwort Pending Moderation
Lieber Dr._Hans,

vielen herzlichen Dank für diese ausführliche Antwort! Sie greifen alle Aspekte auf und gehen darauf ein. Das ist ganz ganz toll und nicht selbstverständlich.
Ich habe mir Ihre Zeilen mehrmals durchgelesen. Vieles davon regte mich zum Nachdenken an. Das Katadolon die Leber belastet, ist wirklich ärgerlich, da es mir ansonsten gut hilft. Sie haben geschrieben, dass Schmerzpflaster den Einfluß auf den Darm reduzieren… und ich dachte immer, dass gerade Opiate zur Verstopfung führen? Nun, ich könnte diese Pflaster noch einmal ausprobieren. Vor ein paar Jahren hatte ich Fentanyl zwar schon einmal getestet, musste es aber wegen Kreislaufproblemen wieder absetzen.
Auf Toilette gehe ich i.d.R. täglich. Die Menge und Konsistenz stimmt dabei meistens. Ich werde den Tipp mit den Leinsamen beherzigen. Allerdings verwende ich schon Leinöl, welches ich täglich zu mir nehme.
Vor einer Implantation einer Baclofenpumpe habe ich mich immer gesträubt. Es ist ja doch ein chirurgischer Eingriff und auch optisch unter der Bauchdecke kein Highlight. Vielleicht müßte ich mich einmal mit einem Pumpenträger unterhalten. Meine Klinik implantiert aus Überzeugung nur gasgetriebene Pumpen. Eine Programmierung ist bei diesen Pumpen nicht möglich.
Von einer anterograden Kolonirrigation habe ich noch nie gehört. Es ist erstaunlich, was es alles gibt. Meine Idee einer Stomaversorgung entsprang dem Wunsch, diesem umständlichen und schmerzhaften Abführprozess zu entfliehen und gleichzeitig eine Gasansammlung im Dickdarm zu verhindern. Das funktioniert wohl nicht so, wie gedacht…

Welche Voraussetzungen muß man eigentlich mitbringen, um im Schweizer Paraplegiker Zentrum behandelt zu werden? Ich fühle mich in meinem QZ mit meinen Beschwerden nicht immer ganz ernst genommen. Noch nie habe ich auf meine Fragen so eine ausführliche Antwort erhalten.

Herzliche Grüße und einen schönen Sonntag wünscht Nichtsdestotrotz!
  1. vor über einem Monat
  2. Frag den Doktor
  3. # 1 2
Dr_Hans
Dr. Online
Akzeptierte Antwort Pending Moderation
Lieber Nichtsdestotrotz,
Vielen Dank für Deine anerkennende Antwort.
Bei der Wahl der Pumpe würde ich auf jeden Fall eine telemetrisch programmierbare elektrische Pumpe wählen, auch wenn man die nach einigen Jahren operativ wechseln muss, wenn die Batterie am Ende ist. Ich weiss zwar nicht wo Du wohnst, aber hier in der Schweiz haben wir Patienten, die in oder auf den Bergen leben. Wenn die Dosis von gasdruckgetriebenen oder federgetriebenen Pumpen im Flachland (normaler Luftdruck) eingestellt wird, fördert sie in den Alpen (bei vermindertem Luftdruck) mehr und es kommt zu Überdosierungen. Die federgetriebenen Pumpen sind zwar billiger aber ich habe damit bei einem meiner Patienten schlechte Erfahrungen gemacht. Das ist natürlich ein Einzelfall. Vielleicht sind inzwischen konstruktive Verbesserungen gemacht worden.
Unser damaliger Anaesthetist, Claus Naumann hat darüber auch publiziert: Drug Adverse Events and System Complications of Intrathecal Opioid Delivery for Pain: Origins, Detection, Manifestations, and Management. Claus Naumann, Neuromodulation: Technology at the Neural Interface, Volume 2, Issue 2, April 1999, Pages 92–107. Die in diesem Artikel beschriebenen (mechanischen) Probleme traten fast alle mit Gasdruckpumpen auf.
In der Literatur finden sich auch Berichte, in denen festgestellt wurde, dass bei Überdruck (z. B. beim Tauchen) oder in diesem speziellen Fall bei hyperbarer (= mit Überdruck) Sauerstofftherapie, es zu einem Rückfluss von Hirnwasser in die Pumpe gekommen ist. Hyperbaric oxygen therapy: implications for spinal cord injury patients with intrathecal baclofen infusion pumps. M. N. Akman et al, Paraplegia 32, 281–284 (1994). Das sollte bei einer elektrischen Pumpe nicht möglich sein, wie man hier in einer Multicenterstudie kürzlich getestet hat: Kelly Wesemann et al, Clinical Accuracy and Safety Using the SynchroMed II Intrathecal Drug Infusion Pump, Reg Anesth Pain Med. 2014 Jul; 39(4): 341–346.
Eine Pumpe hätte auch den Vorteil, dass man sowohl auf die Spastik wie auch auf die Schmerzen Einfluss nehmen könnte und dies ohne über Magen-Darm, Leber und über die Blut-Hirn-Schranke gehen zu müssen. Damit wären bereits kleine Dosen zentral wirksam und die systemischen Nebenwirkungen (z.B. Obstipation) wären weit geringer.
Ein wichtiger Punkt vor der Implantation einer Pumpe ist die Position am Bauch, wo die Pumpe zu liegen kommt. Die Position muss nämlich im Sitzen (im Rollstuhl) bestimmt werden und nicht liegend im Bett am Abend vor der Operation. Man muss genauestens darauf achten, dass die Pumpe später nicht mit der Beckenschaufel, dem Rippenbogen oder der Armlehne des Rollstuhls interferiert (Schmerzen, Druckstellen), sonst müsste sie sekundär nochmals verpflanzt werden.
Für eine Behandlung im Schweizer Paraplegiker-Zentrum muss eine gültige Kostengutsprache einer Versicherung über den gesamten geplanten Behandlungs-/Rehabilitationsaufenthalt vorliegen oder es muss ein Depot in Höhe der zu erwartenden Kosten auf einer Schweizer Bank eingerichtet werden. Dafür kann man einen Kostenvoranschlag verlangen.
Es grüsst Dich
Dr_Hans, 21.11.2017
  1. vor über einem Monat
  2. Frag den Doktor
  3. # 1 3
Akzeptierte Antwort Pending Moderation
Vielen Dank für die ausführliche Erläuterung der Pumpen. Vieles davon wußte ich noch nicht. Allerdings muß ich zugeben, dass die Implantation einer Pumpe mich ängstigt.
Ich hatte mir schon gedacht, dass man sich nicht einfach in der Schweiz behandeln lassen kann, zumal Schweden und Dänemark für mich dichter wären. War Samuel Koch nicht auch im Schweizer Praplegikerzentrum?
Eine Frage hätte ich noch: Mir ist aufgefallen, dass ich im Urlaub und auch im Krankenhaus weniger Spastik habe als zu Hause. Das ist sehr merkwürdig. An den Matratzen kann es auch nicht liegen, da ich die gleiche Matratze habe, wie in der Klinik. Ist es psychisch? Dabei bin ich ja zu Hause entspannter als in der Klinik oder im Urlaub. Könnte eine Allergie die Spastik verstärken?
Herzliche Grüße
Nichtsdestotrotz
  1. vor über einem Monat
  2. Frag den Doktor
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