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Gesellschaft

Das Gefühl von Gemeinsamkeit

In Gemeinschaften bestehen zu müssen, tut uns gut

In der Reha-Klinik geht es zuweilen rau zu und her. Trotzdem ist sie uns ein Ort der Geborgenheit. In ihr fühlen wir uns sicher. Wir sind in eine Gemeinschaft eingebettet. Sie besteht aus Leidensgenossen, Pflegenden, Therapeuten und Ärzten.

Das Wochenprogramm diktiert, was wir zu tun haben. In der monatelangen Erstrehabilitation hatten wir teils anspruchsvolle Ziele zu erreichen – wie früher in der Schule oder im Militärdienst. Denken wir an diese Zeit zurück, so schaudert es uns leicht, wir kriegen etwas Gänsehaut, bedrückend sind die Erinnerungen aber keineswegs. Es gab verdriessliche Momente, Begegnungen mit unsympathischen Menschen und manchmal stumpfsinnige Abläufe. Alles in allem überwiegt jedoch das Erinnerungsbild, in einer stimmungsvollen Gemeinschaft Gleicher aufgegangen zu sein. Dazu gehört, das wohlige Gefühl von Wärme erlebt zu haben. In diesem Umfeld haben wir auch die gesteckten Ziele erreicht, vielleicht sogar übertroffen. Das erfüllt uns mit Genugtuung.

Wir kehren deshalb nicht ungern an diesen Ort zurück. Am liebsten nur zu einem kurzen Besuch und nicht aufgrund von Komplikationen. In der Reha-Klinik finden wir uns wieder, in ihr trifft sich die Welt. In Nottwil ist das besonders ausgeprägt, finde ich.

Nun bin ich zufälligerweise auf Arbeiten des amerikanischen Kriegsreporters Sebastian Junger gestossen. Er war mit einer Kampfeinheit in Afghanistan in einem gottverlassenen Hochtal, in dem die Taliban herrschten. Ausser sich selbst und der Gemeinschaft, die sie bildeten, hatten die US-Soldaten nichts. Sie führten, wie es Junger ausdrückt, das Leben von Stammesangehörigen. Sie waren verbrüdert und standen durch dick und dünn zueinander. Die fremde, unwirtliche Umgebung und die Bedrohung verkitteten sie. Die widerlichen Umstände weckten Energien in ihnen. Sie mussten sich stellen, empfanden aber das Dasein in dieser Männergemeinschaft als sinnstiftend.

Die Gemeinschaft stärkt sie. Die Soldaten stehen zueinander.

Schwieriger wurde ihr Leben erst, als sie zurückkehrten. Sie fanden sich in der modernen Gesellschaft von Individuen nicht mehr zurecht. Ihnen fehlte die Gemeinschaft, die sie trug. Zurück im Heimatland USA waren sie nicht mehr Stammesangehörige, sondern ausgediente Soldaten, raue Gesellen, für die sich niemand interessierte. Alleine zu sein, erwies sich als öde und sinnlos. Junger berichtet eindrücklich darüber.

(Die Videos sind auf Englisch – für deutsche Untertitel klickt auf das erste Symbol unten rechts im Video.)

Geht es euch wie mir? Wir sind zwar keine Kampfsoldaten, und doch kommen uns die Vorgänge bekannt vor. Solange wir in einer Leidensgemeinschaft bestehen müssen, geht es uns recht gut. Dürfen wir endlich nach Hause, stellen wir bald fest, dass alles schwieriger ist als erwartet. Wir sind auf uns alleine gestellt, fühlen uns unsicher, und manches läuft schief. Dabei glaubten wir selbst und die Lieben, die uns zu Hause empfingen, wir seien wieder hergestellt, gut vorbereitet, das Leben neu zu meistern.

Erst nach einiger Zeit kriegen wir’s doch hin. Dem Zeitgeist folgend, werden wir wieder Individualisten. Mit anderen Rollstuhlfahrern verkehren wir kaum mehr. Eine gewisse Verbundenheit zum Ort gemeinsam verbrachter Zeit bleibt aber hängen. Es ist fast eine Sehnsucht.

Es ist zum Verzweifeln. Wenn nur die Anderen auch da wären…

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