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Porträts & Geschichten

Krankenbesucher und ihre Profile

Krankenbesuche sind auch für den Kranken etwas heikel. Er kann aber die Stimmung stark beeinflussen.

Krankenbesuche sind auch für den Kranken etwas heikel. Er kann aber die Stimmung stark beeinflussen.

Im August 1977 besuchte mich Regine in der Erstrehabilitation. Ich kannte sie nicht. So redeten wir bei der ersten Begegnung vorwiegend über unsere Väter, die miteinander Curling spielten.

Einige Wochen später kam sie wieder, ich war schon deutlich besser drauf, das Gespräch wurde vertrauensvoller. Eine Freundin von ihr, berichtete sie, sei zwei, drei Jahre mit einem Paraplegiker liiert gewesen. Sie habe sich dann aber eingestehen müssen, dass eine solche Beziehung auf Dauer kaum durchzustehen sei. «Ach ja?», antwortete ich, und schwieg. Sie auch. Schliesslich raffte ich mich auf und durchbrach die Stille: «Ich kenne die beiden halt nicht.»

Sie blieb dann nicht mehr lange, aber es ging lange, bis sie unaufgefordert noch einmal kam. Bei diesem dritten Besuch erzählte sie, sie kenne einen kräftigen Paraplegiker, der rückwärts Treppen hochfahren könne. «Das kann ich mir kaum vorstellen», meinte ich. Wieder trat Stille ein. Dieses Mal liess ich es dabei bewenden. Seither bin ich ihr nie mehr begegnet. Ich vermisse sie nicht.

kranker

Seit jeher freut sich der Kranke über Besuch.

Peter, ein Schulfreund aus meiner Jugendzeit in Davos, erschien 1977 schon kurz, nachdem ich im Paraplegikerzentrum eingeliefert worden war. Er nahm aufrichtig Anteil, wünschte mir das Beste. Froh sei er, dass ich in guten Händen sei. Sein Besuch dauerte vielleicht 20 Minuten, ich war noch in schütterem Zustand. Dafür war er eigens aus Davos angereist. Ihn treffe ich noch heute regelmässig.

Auch ein anderer Schul-Spezi, den ich allerdings nie mochte, meldete sich schon bald. Er liess Blumen schicken, an meinem Geburtstag kreuzte er unangemeldet schon um 8 Uhr morgens auf und brachte Geschenke, darunter ein teures Rasierwasser. Er wusste nicht, dass ich mir einen Bart wachsen liess. Es dauerte noch Jahre, bis ihm endlich bewusst wurde, dass mir wenig an seiner Freundschaft lag.

blumen

Blumen sind ein beliebtes Geschenk für Kranke. Oft werden sie nur geschickt.

Beim Spitalbesuch zeigt sich besonders deutlich, wie unterschiedlich unsere Mitmenschen ticken, Herausforderungen angehen. Schwerkranke oder Verunfallte zu besuchen ist anspruchsvoller, als an einem Apéro riche teilzunehmen.

Auch wir, die Besuchten, müssen das bedenken. Wir und nicht die gebetenen oder ungebetenen, die angemeldeten oder spontan auftauchenden Gäste sind es, die dem Besuch den Drall zum Guten oder zumindest halbwegs Befriedigenden geben können. Wir sind im Vorteil, weil wir wissen, woran wir sind, und den Ort kennen.

Unsere Besucher sind dagegen verunsichert. Dem Vorgesetzten, der es gut meint, sich aber ungeschickt, vielleicht sogar taktlos ausdrückt, müssen wir verzeihen. Auch die übertrieben Taktvollen, die über alles reden, nur nicht über unsere Sorgen, müssen wir verstehen. Sie versuchen ja nur, sich selbst und uns etwas abzulenken.

Etwas forscher dürfen wir indessen denen begegnen, die vorgeben, alles zu kennen, und darauf hinweisen «Probleme sind zum Lösen da». Sie kommen nicht von Herzen, sondern aus diffusem Pflichtgefühl und verbergen sich hinter markigem Besserwissen.

Äusserlich anders, aber nach dem gleichen Muster verhalten sich Besucher, die in Gruppen kommen und sich rund um unser Patientenbett stellen. Sie verschanzen sich hinter der Gruppe, um uns nicht direkt begegnen zu müssen. Da ist es vielleicht besser, wenn wir dazu beitragen, dass sie von weiteren Auftritten absehen.

krankenbesucher gruppe

In der Gruppe aufzutreten, fällt den Besuchern leichter, dem Besuchten weniger… (Bildquelle: Feuerwehr Rastatt)

Etwas übergriffig kommen auch die rüber, die uns ihr Herz ausschütten und über ihre eigenen Gebresten berichten. Erst recht gilt das für die, die wir unredlicher Absichten verdächtigen müssen, weil sie sich gerne in unserer Hilflosigkeit suhlen oder uns gar auszunützen versuchen.

Wenn wir Pech haben, flankieren sich professionelle Besucher mit einem Tross angeblicher Experten, die uns mit Rechthaberei und Täuschung überrumpeln. Zu ihnen gehören zuweilen das Klinikpersonal, aber auch Entsandte von Versicherungen, Vertreter des Arbeitgebers, von Anwaltsbüros oder Behörden und andere Personen, die uns zur Klärung lebenspraktischer Fragen aufsuchen müssen.

Auch Geistliche bzw. Seelsorger zeigen sich in beruflicher Mission an unserem Bettrand. Sie haben freilich den Mut, meistens alleine zu kommen. Nach alter Schule hätten sie die Pflicht, unser Unglück moralisch zu bewerten und uns zurück auf Gottes Weg zu führen. Das tun die Kirchenleute heute nicht mehr. «Meine Aufgabe besteht vor allem darin, einfach zuzuhören», hat mir ein reformierter Pfarrer unlängst gesagt.

Das Rezept lässt sich auf alle Besucher übertragen. Es setzt allerdings voraus, dass wir auch was erzählen. Andernfalls kommen wir nicht voran, und niemand erfreut sich an dem Besuch.

seelsorgerin am patientenbett

Die Seelsorgerin kommt alleine und hört uns zu.

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