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Gesellschaft

Der Ableismus des Umweltschutzes

Umweltverschmutzung beschränken – aber leider auch die Rechte von Menschen mit Behinderungen

Umweltverschmutzung beschränken – aber leider auch die Rechte von Menschen mit Behinderungen

Während ich diesen Beitrag vorbereitete, startete unsere Nutzerin odyssita zufällig eine Forumsdiskussion zum Thema Ableismus: Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen. In dem Beitrag teilte sie vor allem ihre Erfahrungen mit manchen Ärzten, die Odyssitas Herausforderungen und Bedürfnisse als behinderte Person wohl nicht beachteten oder gar leugneten.

Situationen wie diese sind für Patienten mit Behinderungen sehr enttäuschend, weil Ärzte heutzutage in der Lage sein sollten, auf sensible und objektive Weise auf die Bedürfnisse ihrer Patienten einzugehen und sie zu beraten. Odyssita warf in ihrem Beitrag die Frage auf, ob manche ihrer Ärzte von der verzerrten Darstellung von Menschen mit Behinderungen in den Medien beeinflusst sind. Um die Diskussion weiterzuführen, komme ich nun zum Thema Meeresschildkröten.

Gesetzgebung gegen die Plastik-Umweltverschmutzung

Vor kurzem ging in den sozialen Netzwerken wieder ein Video einer Meeresschildkröte viral, der Blut aus dem Nasenloch floss. In dem Video versuchten Forscher, einen Plastik-Strohhalm aus dem Nasenloch der Schildkröte zu ziehen. Dieses Video wurde erstmals vor ein paar Jahren von der Plastic Pollution Coalition für ihre Bewegung gegen die Einmalverwendung von Plastik eingesetzt. Wie viele andere war ich sehr verstört über das Video. Es hat mich dazu gebracht, über meinen Plastikkonsum nachzudenken.

Umweltkampagnen tendieren dazu, Menschen mit Behinderungen ausser Acht zu lassen. (Quelle: journaldelpacifico.com)

Kürzlich haben Regierungen und Restaurants sich entschlossen, Massnahmen zu ergreifen, um diese Art von Umweltverschmutzung zu bekämpfen: Plastik-Strohhalme und Einwegplastik-Artikel wurden gesetzlich verboten – zum Schutz der Meeresschildkröten und unserer Umwelt. Diese Verbote führen zu Umweltkampagnen wie #TheFinalStraw, die weiter dazu aufrufen, Einwegplastik wie Plastik-Strohhalme zu vermeiden.

Allerdings haben immer mehr Menschen mit Behinderung ihre Meinung zu solchen Verboten und Kampagnen geäussert, welche nicht nur ihre Rechte, sondern auch ihre Existenz ignorieren. Shona Louise ist eine von ihnen.

Die ableistischen FAQs zu Plastik-Strohhalmen

Vor ein paar Monaten schrieb Shona, eine Schriftstellerin und Behindertenaktivistin, auf ihrem Blog einen Artikel über das Plastik-Strohhalmverbot und wie es Menschen mit Behinderungen schadet. Es war eine Antwort auf die Kritik an Menschen mit Behinderungen, die ihr Missfallen über das Verbot von Plastik-Strohhalmen geäussert hatten.

Um verständlich zu machen, warum Plastik-Strohhalme für Menschen mit Behinderungen so wichtig sind, sprach Shona zuerst über die Geschichte des knickbaren Plastik-Strohhalms. Er wurde 1937 erfunden und gilt als frühes Beispiel universellen Designs: ein Design, das in grösstmöglichem Umfang zugänglich und nutzbar ist, für Menschen jeden Alters und jeder Begabung. Knickbare Plastik-Strohhalme wurden ursprünglich in Krankenhäusern verwendet, weil ihre Flexibilität das Trinken für Patienten leichter und sicherer machte, die wegen medizinischer Probleme nicht aus Bechern trinken konnten. Falls Ihr Euch fragt, was mit diesen Menschen vor der Erfindung des Plastik-Strohhalms geschah: Viele sind gestorben.

Viele Menschen denken, dass die Sache heute anders aussieht aufgrund von Alternativen wie Metall-, Glas- und Silikon-Strohhalmen. Können bedürftige Leute nicht einfach diese Alternativen benutzen, die umweltfreundlicher sind? Die Antwort ist ja und nein, wie in dieser Tabelle von Shona zusammengefasst. Sie erklärt, warum die unterschiedlichen Alternativen keine besseren Optionen für Menschen mit Behinderungen sind.

Quelle: http://www.shonalouise.com/2018/11/the-plastic-straw-ban-how-it-harms.html

Dann gibt es häufig das Argument: „Könnt ihr nicht einfach eure eigenen Trinkhalme mitbringen? Ist euch der Planet egal? Gebt euch mehr Mühe!“ Solche Kommentare sind wohl kaum unabsichtliche Ignoranz gegenüber den Bedürfnissen von Behinderten, sondern ein Akt von Ableismus. Zwei Behinderungsaktivistinnen erklären warum:

Alice Wong, die das Disability Visibility Project gründete und eine spinale Muskelatrophie hat, teilte ihre Meinung auf Eater, einer US-amerikanischen Webseite mit News über Essen und einem Restaurantführer:

„Die Leute haben mich aufgefordert, meine eigenen wiederverwendbaren Trinkhalme mitzubringen, ohne darüber nachzudenken, wie viel zusätzliche Arbeit das bedeutet. Warum sollte ein behinderter Gast etwas mitbringen sollen, um trinken zu können, während Nicht-Behinderte bequem nutzen können, was kostenlos zur Verfügung gestellt wird? Das ist weder angemessen noch gerecht noch gastfreundlich.“

Katrin Hitselberger, eine freie Schriftstellerin mit Zerebralparese und Master-Studentin in Disability Studies, schrieb in der Washington Post:

„Zugang bedeutet Lebensqualität, und auch, mit gewissen Anpassungen die gleichen Erfahrungen zu machen und Möglichkeiten zu haben wie eine nicht-behinderte Person.“

Sie schrieb auch einen Beitrag auf Rooted in Rights, einer Webseite, die Stigmatisierung bekämpft und die Narrative rund um Behinderung, geistige Gesundheit und chronische Krankheit neu definieren möchte:

Produkte wie diese rufen oft Ableismus hervor. (Quelle: https://crippledscholar.com/)

„… fast 30 Jahre nach der Verabschiedung des Americans with Disabilities Act (DE: Gesetz für Amerikaner mit Behinderungen), welches einen gleichberechtigen Zugang und die gleichen Menschenrechte für Behinderte garantierte. Immer noch erwarten wir von Behinderten, dass sie lernen, sich in die Welt der Nicht-Behinderten einzufügen, anstatt bessere Lösungen für alle zu finden.“

Inklusiver Umweltschutz

Ein weiteres Beispiel für Ableismus ist die Debatte über Fertiggerichte. Hin und wieder werden in sozialen Netzwerken Fotos von vorgefertigter Nahrung wie eine geschälte Orange im Plastikbecher mit spöttischen Kommentaren geteilt.

Aus diesem Grund werden Menschen mit Behinderungen, die auf solche Produkte angewiesen sind, oft als faul und schuld an der Plastik-Umweltverschmutzung abgestempelt. Es kommt kaum vor, dass sie nicht erklären müssen, wie zeitaufwändig und potenziell gefährlich die Zubereitung von Essen für Menschen mit eingeschränkter Mobilität ist. Oft wissen die Leute wenig darüber, dass diese „sündhaften“ Fertiggerichte behinderten Menschen eine grössere Auswahl bieten und es ihnen ermöglichen, ein unabhängigeres Leben zu führen.

Im folgenden Video treffen sich ein Behindertenaktivist, eine Biologin für Meeresschutz und Leiter von Umweltverbänden, um das neue Trinkhalmverbot zu diskutieren, und warum es wichtig ist, Menschen mit Behinderungen in Debatten über Nachhaltigkeit und Umweltkampagnen einzubeziehen.

Gleichermassen betonte Robyn Powell, ein behinderter Anwalt, Wissenschaftler und Schriftsteller, auf Huffpost:

“Menschen mit Behinderungen werden täglich gezwungen, kreative Lösungen zu finden, um in einer Umwelt zu funktionieren, die nicht für uns gemacht wurde. Und wir kennen unsere Bedürfnisse besser als alle anderen. Es ist unerlässlich, dass Hersteller von Trinkhalmen mit der Behinderten-Community zusammenarbeiten, um neue, umweltfreundliche Trinkhalme zu entwickeln, die den Bedürfnissen derjenigen entsprechen, die am meisten darauf angewiesen sind: Menschen mit Behinderungen.“

Die Rettung der Erde und die Rechte von Menschen mit Behinderung müssen sich nicht ausschliessen. Deren Bedürfnisse sind ebenso wichtig wie Schildkröten und alle anderen.

Welche Erfahrungen habt Ihr mit Ableismus im Alltag gemacht? Wie geht Ihr damit um?

[Übersetzung des originalen englischen Beitrags]

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