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Gesellschaft

Die Revolution der Sexspielzeuge

…weil Behinderung und Sexualität sich nicht ausschliessen

…weil Behinderung und Sexualität sich nicht ausschliessen

Laut einer Studie aus den frühen 2000er Jahren hatte die Wiedergewinnung der Sexualfunktion für die befragten Paraplegiker die höchste Priorität. Die Studie ist nun fast zwei Jahrzehnte her. Doch noch immer gibt es viel Ignoranz über Sexualität und Behinderung.

Ein Mann aus Kanada möchte diese Situation ändern. Er teilt aktiv seine Ansichten über und Erfahrungen mit Sexualität als Person mit Behinderung. Er führt auch Projekte zu Sexualität und Behinderung durch. Sein Name ist Andrew Gurza.

Sexuell aktiv im Rollstuhl

Andrew ist im Rollstuhl und homosexuell. Als er jünger war, hatte er Probleme damit, offen über seine Sexualität zu sprechen. Er dachte, es würde nur zu einer zusätzlichen Bürde in seinem Leben als Mensch mit Behinderung. Dann aber, mit 30 Jahren, entschied er, sich als „schwuler Krüppel“ zu outen – eine Bezeichnung und ein Status, die in der Gesellschaft nicht gut anerkannt sind. Nicht nur das: Er gestand seiner Mutter, dass er die Dienste von Sexarbeitern in Anspruch nahm.

Zu Andrews Überraschung hatte seine Mutter kein Problem damit, dass er Sexarbeiter bezahlte. Nach seinem Bekenntnis meinte seine Mutter:

„Andrew, Sex ist nichts Schlimmes. Du kannst einfach nur Sex haben – Liebe ist dafür keine Voraussetzung.“

Diese einfache und zugleich starke Aussage ermutigte Andrew dazu, er selbst zu sein und so zu leben, wie er es will. Heute führt er als Disability Awareness Consultant (Berater zur Sensibilisierung für Behinderung) Projekte und Kampagnen durch, um sexuellen Ableismus zu bekämpfen. Letztes Jahr startete er ein Projekt zu Sexspielzeugen.

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Sein Bekenntnis über die Anstellung von Sexarbeitern hat die Beziehung zwischen Andrew und seiner Mutter gestärkt. (Quelle: Andrew Gurzas Facebook)

Sextoys und Behinderung – Forschungsergebnisse

Für Andrew ist sexuelle Lust ein wesentlicher Teil des Menschseins. Doch Mythen und Missverständnisse über Behinderung und Sexualität erschweren es ihm und anderen Menschen mit Behinderungen, ungefährliche und lustvolle sexuelle Erfahrungen zu machen. Dabei ist es nicht nur schwierig, Sexualpartner zu finden, sondern auch geeignete Sextoys.

Andrew hat sexuelle Bedürfnisse wie alle anderen auch. Er geniesst Intimität mit anderen, hat aber auch gern alleine Sex. Deshalb startete er letztes Jahr eine Spendenaktion für ein Forschungsprojekt über Sextoys. Zur Unterstützung der Aktion führten Andrew und sein Team eine Befragung zu Sextoys bei über 50 Personen mit körperlichen Behinderungen durch. Hier ein paar Highlights:

  • 96 % der Studienteilnehmer stimmten zu, dass Sex ein grundlegender Teil der menschlichen Erfahrung ist und dass Menschen mit Behinderungen ein Recht auf diese Erfahrung haben.
  • Für mehr als 50 % der Teilnehmer war es jedoch schwierig, sich ohne Hilfe sexuell zu befriedigen.
  • Ein eingeschränkter Bewegungsradius der Hände (44 %) sowie Handschmerzen (19 %) wurden als Hauptgründe angegeben, die eine selbständige Masturbation unmöglich machen.
  • Über 50 % der Teilnehmer waren der Meinung, dass die gängigen Sextoys für sie ungeeignet sind. Hauptprobleme waren dabei Schwierigkeiten mit dem Festhalten, der Handhabung oder der selbständigen Benutzung.
  • Die grosse Mehrheit der Teilnehmer war am Kauf eines speziell für Menschen mit Behinderungen entwickelten Sexstoys interessiert.

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Jeder sollte die Möglichkeit haben, genussvolle und ungefährliche sexuelle Erfahrungen ohne Druck, Diskriminierung und Gewalt zu machen. (Quelle: Andrew Gurzas Facebook)

Sexuelles Lustempfinden

Das Ziel von Andrews Projekt ist es, tiefere Einblicke zu sammeln und Designempfehlungen für eine neue Produktreihe von Sextoys zu erarbeiten, die speziell auf die Lust und Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen abgestimmt sind. Momentan fehlen noch mehrere tausend Dollar, bevor diese Forschung mit Unterstützung der RMIT University in Australien beginnen kann.

Die Produktion und Markteinführung neuer Sexspielzeuge wird noch ein paar weitere Jahre dauern. Bis es soweit ist, gibt es hier ein paar Vorschläge von Personen und Organisationen, wie man als Mensch mit Behinderung sexuelle Befriedigung erreichen kann.

Kreativität

Nick Mahler wurde mit einer seltenen Krankheit geboren, wodurch seine Mobilität extrem eingeschränkt ist. Nichtsdestotrotz ist er sexuell aktiv und seit über 10 Jahren in der Sextoybranche tätig. Er teilte seine Meinung über Sexspielzeuge mit dem Gesundheitsmagazin für Männer Men’s Health:

“Sextoys für Behinderte sind die gleichen, die wir an nichtbehinderte Kunden verkaufen. Was sie für behinderte Kunden geeignet macht, ist zu wissen, wie man sie auf eine andere Weise einsetzen kann, auf die ein nichtbehinderter Kunde niemals käme.“

Er erwähnte beispielsweise ein Saug-Sextoy, welches ursprünglich für Frauen entwickelt wurde und zur Stimulation der Brustwarzen verwendet wird. Er erklärte, dass Männer mit Querschnittlähmung es tatsächlich zur Stimulation anderer Körperteile verwenden können, um sexuelle Lust zu empfinden. Solche Sextoys sind oft mit Riemen oder angepassten Handgelenksschienen ausgestattet, so dass Menschen mit eingeschränkter Handbewegung sie benutzen können.

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(Quelle: http://www.fromsarahlex.com/)

Offenheit

Gefühle und Bedenken über Sexualität mit einem Arzt oder einer Beratungsperson zu besprechen kann dabei helfen, passende Ressourcen und Lösungen für die eigenen sexuellen Bedürfnisse zu finden. Es gibt auch professionelle Organisationen (Beispiel) und Sexshops (Beispiel), die Plattformen im Internet anbieten, auf man Sexualität und Behinderung eingehend diskutieren kann. Diese Plattformen ermöglichen es, über Sexualität offen und anonym zu diskutieren.

Informationsquellen

Neben dem Wiki-Bereich „Gesundheit & Sexualität“ auf unserer Community ist hier auch ein Manual über sexuelle Hilfsmittel für Personen mit Behinderungen, das von Ergotherapeuten in Zusammenarbeit mit dem Disabilities Health Research Network in Kanada erstellt wurde. Dieses englischsprachige Manual enthält eine Liste mit sexuellen Hilfsmitteln, die für Menschen mit Behinderungen empfohlen werden. Jedes Hilfsmittel wird kurz erklärt, inklusive Reinigungstipps, Warnungen und spezieller Aspekte. Mit den praktischen Informationen des Manuals kann die Suche nach einem geeigneten Sexhilfsmittel dann einfach in der gewünschten Sprache fortgesetzt werden.

Was haltet Ihr von Andrew Gurzas Initiative? Wie können die Barrieren zwischen Sexualität und Behinderung abgebaut werden?

[Übersetzung des originalen englischen Beitrags]

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