22 Prozent sind behindert. Die anderen 78 Prozent haben’s auch nicht leicht. Am besten vereinen wir uns, «inkludieren» uns alle
- 4 Minuten Lesezeit
- 30. Juli 2023
- fritz
Dank der Inklusions-Initiative wissen es immer mehr: 22 Prozent aller, die hierzulande leben, sind auf die eine oder andere Weise behindert. Das bedeutet, sie sind funktional eingeschränkt, können den Alltag nur mühevoll oder gar nicht selbständig bewältigen. Wir von der Community Paraplegie gehören zu diesen 22 Prozent und haben längst gelernt, es uns trotz allem recht gut einzurichten.
Nicht nur wir Behinderten haben unsere Merkmale
Grossherzig können wir uns fragen, wie es denn den übrigen 78 Prozent ergeht. Niemand billigt ihnen zu, behindert zu sein, und doch fühlen auch sie sich geprüft, von den Göttern vernachlässigt.
Unter den Männern klagen die zu klein Geratenen, aber auch die schmächtigen Bohnenstangen und die stämmigen Untersetzten, dass ihr Körper doch etwas eleganter proportioniert sein könnte. Ebenso sehen sich die versetzt, die noch mit 30 Jahren, nur spärlich behaart, wie Knäblein daherkommen sowie die, die’s zwischen den Beinen etwas kurz haben, nur ein kleines Fischlein vorzeigen können.
Bei den Frauen wiederum fühlen sich manche zu gut bestückt, sie sind mollig, haben womöglich zu üppige Brüste. Anderen hingegen sind sie zu klein. Das mag sie umso mehr belasten, wenn sie gross gewachsen sind. Sie glauben, drahtig auszusehen und mit über einem Meter 80 nicht mehr weiblich.
Bei Männlein und Weiblein kommt vielleicht noch hinzu, dass sie bei schütterem Haarwuchs noch arg auffällige Sommersprossen und kaum zu übersehende X- oder O-Beine haben, von der Hakennase und der versetzten Kieferstellung mit Hamstergebiss gar nicht zu reden, noch viel weniger von der zu starken Ausdünstung, die sich kaum wegparfümieren lässt, und der Haut, die trotz Schminke unrein bleibt.
Alle möchten sich anschmiegen
Es ist nun mal so: Die Körper sind unterschiedlich gebaut, nicht immer graziös, die Gesichter sehr verschieden geschnitten, nicht immer vorteilhaft, die Haut rau, gefleckt oder zu behaart. So fallen letztlich alle irgendwie auf, haben ihre Merkmale, derentwegen andere mit dem Finger auf sie zeigen. Zumindest so nehmen sie es wahr. Deshalb versuchen sie, ihre augenfälligen körperlichen Makel zu verbergen, davon abzulenken und sich anderweitig anzuschmiegen. Sie sind gezwungen, das Beste aus den lästigen unabänderlichen Merkmalen zu machen, als wären sie behindert.
So sind mollige Frauen oft gesellig und humorvoll. «Eine urgemütliche Möhre», heisst es dann am Schweizer Biertisch, an dem ausser ihr nur Männer hocken. Der Kleine unter ihnen spielt sich auf und ulkt unentwegt, damit sie ihm wohlwollend begegnen. Der Hagere bemüht sich, klug zu sein. Je mehr er weiss, desto ernster nehmen sie ihn, während der stämmige Untersetzte besonders viel verträgt. Viel zu reden braucht er nicht, er ist einfach da und verlässt die Beiz geraden Schrittes, zusammen mit der Molligen. Mit ihr schäkert er.
Sogar die Schönen haben’s nicht durchwegs schön
Echt schön haben’s eigentlich nur die unwiderstehlich Schönen, ob Mann oder Frau; ferner gross gewachsene Männer. Der Ein-Meter-95-Hüne beeindruckt immer. Sieht er überdies gut aus, wird er umschwärmt. Rundum unbeschwert wandeln indes nicht mal die Schönen durchs Leben. «Schön und dumm», klingt’s am Biertisch, «schön, aber untauglich» an der internen Sitzung im Personalbüro.
Die geplagten Schönen kriegen das offenbar zu spüren. Die Schönheitskönigin Christa Rigozzi, 2006 zur «Miss Schweiz» erkoren, drückte das mal so aus: «Ich habe einen Schönheitswettbewerb gewonnen – dank meiner Schönheit. Erst im Nachhinein konnte ich zeigen, wer Christa ist.» Kürzlich tat sie das wieder und liess sich in der Sendung «Gredig direkt» befragen und sie antwortete klug. Etwas unschön war lediglich, dass sie ein leicht entzündetes rotes Auge hatte.
Wer nicht auffällt, ist spiessig
Am besten ist es, gar nicht aufzufallen, liesse sich daraus folgern. Doch wer weder Froschaugen, X-Beine oder einen gekrümmten Rücken hat, sondern lediglich durchschnittlich gross und mässig gut aussieht, gilt als bieder und langweilig, wird mitunter als «Spiesser», als «Nachtschattengewächs» oder «Stinknormaler» verspottet.
Um dem zu entrinnen, lassen sich viele was einfallen, um doch aufzufallen, vorteilhaft natürlich. So ist bei Männern der Stoppelbart aufgekommen. Sie pflegen ihn aufwändig, vornehm, nicht vergammelt, wollen aufreizen. Um den Kragen binden sie sich eine Fliege statt einer öden Alltagskrawatte, oder sie tragen das Hemd weit offen, um ihre dichte Brustbehaarung zu zeigen.
Die Frauen halten’s ähnlich: Mit dem tiefen Halsausschnitt, dem «Décolleté», klimpern sie erotisch, Finger- und Zehennägel lackieren sie auffällig, Hals und Ohren schmücken sie mit wertvollen Ketten und reizvollen Ringen, auf den Kopf kommt ein extravaganter Hut. Mitunter ahmen Männer das nach. Genügt das nicht, zieren sie ihre Finger mit protzigen Ringen, das Gesicht mit einer trendigen Brille und den Schädel rasieren sie glatt. Das alles, um auch ja bemerkt zu werden.
Wir, die 22 Prozent, verstehen noch so gut und respektieren gerne, dass auch ihr, liebe 78 Prozent, euer Kreuz zu tragen habt. Deshalb laden wir euch ein, die Inklusions-Initiative anzunehmen, damit wir alle zusammen zu fröhlichen Kreuzträgern verschmelzen.
Vergesst nicht, Unterschriften zu sammeln!