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Gesellschaft

Tapfer sind wir, aber keine Helden

Die Gesellschaft trägt uns. Deshalb sind wir recht erfolgreich

Die Gesellschaft trägt uns. Deshalb sind wir recht erfolgreich     

Im Umgang mit den Folgen unserer Rückenmarksverletzung stemmen wir uns gegen einen traumatischen Schicksalsschlag, im Laufe des weiteren Lebens auch gegen körperliche Fehlfunktionen und kaum überschaubare Komplikationen. Wir stellen uns den Widerwärtigkeiten, obschon wir im Moment nicht abschätzen können, ob sich unsere tapfere Haltung auch wirklich lohnt. Das ist heldenhaft.

Tell-Denkmal in Altdorf. Tells Heldentat befreite uns von den Habsburgern.

Trotzdem sind wir keine Helden – auch wenn im unlängst erschienenen Buch «Menschen mit Querschnittlähmung» die Porträtierten aufgefordert werden, ihre Lebensgeschichte gemäss den «Etappen der Heldenreise nach Joseph Campbell» zu verfassen.

Helden geraten zwar auch in unerwartete, kaum zu bestehende Lebenslagen. Sie können sie nur meistern, wenn sie ihr Äusserstes geben. Als Einzeltäter nehmen sie Prüfungen auf sich, an denen alle anderen zerbrechen würden. Das erfordert Kraft, Klugheit und die Bereitschaft, das Leben herzugeben. Hilfe können sie nicht erwarten.

Bei uns ist es umgekehrt: Im Bewusstsein, dass wir Hilfe bekommen, setzen wir enorme Energien frei. Sie befähigen uns, dem Trauma und seinen Folgen zu trotzen. Unser Ziel ist es, möglichst bald ohne die Hilfe Dritter bestehen zu können. Hier bewegen wir uns wieder im Bereich heldenhaften Verhaltens. Wir tun dies allerdings uns zuliebe. Wir wollen auch nach der Traumatisierung wieder ein normales Leben führen.

Feuerwehrmänner gelten als Alltagshelden.

Die Rehabilitationsmediziner weisen auch in diese Richtung. Sie streben wie wir an, dass wir uns trotz veränderter Umstände ungehindert entfalten können. Sie verfolgen dieses Ziel im Auftrag der Gesellschaft, der wir angehören und die letztlich unsere Rehabilitation finanziert. Das übergeordnete Ziel ist denn auch, dass wir wieder unseren Beitrag leisten zum gesellschaftlichen Wohlergehen.

Helden leiten sich dagegen selbst. Sie stehen für ihre Sache ein. Statt Hilfe zu empfangen, helfen sie selbst. Sie spüren, wann sie handeln müssen. Sie wollen die Welt, wie sie sie wahrnehmen, retten, nach Möglichkeit verbessern. Mit ihren Heldentaten schützen sie meistens eine Unzahl von Mitmenschen vor dem sicheren Tod. Vielfach bezahlen sie das mit ihrem eigenen Leben.   

Im Kontrast dazu bewahren wir unser Leben, gewinnen es im Zuge der Rehabilitation sogar zurück. Dafür bedanken wir uns, indem wir wieder einer Arbeit nachgehen, helfen, wo wir das können, und uns im weitesten Sinne auch für die Öffentlichkeit einsetzen. Schliesslich geht es uns wieder recht gut.

Mutter Theresa – eine Heldin im Dienste der Armen. Sie war immer bescheiden.

Dieser Verlauf ist dramatisch: Wir wandeln durchs Leben. Plötzlich tritt ein traumatisierendes Ereignis ein, das uns an den Rand der Existenz bringt. Dank Unterstützung und unserem Willen kriegen wir aber die Kurve. Unser Leben pendelt sich in einer veränderten Normalität wieder ein. Erzählungen, Theaterstücke und viele Filmgeschichten verlaufen nach diesem Muster. Ihre Hauptdarsteller sind dramatische Figuren, aber keine Helden.

Es ist wichtig, dass wir uns dessen bewusst sind. Wir erhalten ja immer wieder anteilnehmende Komplimente, mitunter fällt auch der Ehrentitel «Held». Das hat damit zu tun, dass wir wie die echten Helden nicht so zahlreich sind. Das ist freilich nicht unser Verdienst.

Gleichermassen ist es nicht unser Verdienst, dass die Rückenmarksverletzung unseren Kopf und unsere Sprache nicht beeinträchtigt. Das erlaubt uns, mit unserem Charme zu klimpern, die Behinderung etwas zu überspielen und so zu tun, als wären wir Helden. Glauben sollten wir es allerdings nicht. Sonst steigt es uns wie hochprozentiger Fusel übel zu Kopfe.

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