Traumatische Erlebnisse belasten uns psychologisch, oft auch körperlich. Nicht allen gelingt es, sie zu überwinden
- 2 Minuten Lesezeit
- 06. Oktober 2023
- fritz
Im Kurzfilm verfolgen wir: Der Vater sucht ihn, hastet in die Schwimmhalle. Im allerletzten Moment gelingt es ihm, seinen erwachsenen Sohn aus dem Wasser zu ziehen. Um ein Haar wäre er ertrunken, stand dem Tode nahe. Aufgewühlt liegt er am Rand des Schwimmbeckens, hechelt. «Es kommt schon gut», beruhigt ihn sein Vater, und der Sohn stammelt mehrfach: «Entschuldigung!»
Fast alle trifft es mal traumatisch
Traumata gibt es verschiedene und fast allen Menschen widerfährt über kurz oder lang eines. Schreckliche Erlebnisse, Erniedrigungen von Gewalt über Verhöhnung bis zum sexuellen Übergriff, der Verlust geliebter Nahestehender und folgenreiche Unfälle gehören dazu. Sie verwunden uns zutiefst, kerben sich in uns ein, mitunter sogar so, dass wir sie vererben. Von Epigenetik ist dann die Rede.
Dem Trauma folgen Schuldgefühle. Das kommt häufig vor, bestätigte Prof. Philipp Sterzer, Chefarzt Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel an einer Veranstaltung im Rehab Basel. So heisst es dann: «Womit habe ich mir das verdient?», «Mist habe ich gebaut!», «Jetzt falle ich allen zur Last.» oder «Aus diesem Scheiss muss ich mich selbst winden!»
Verschiedene Verläufe
Beinahe zu ertrinken, ist ein traumatisches Erlebnis, das typische Verlaufsformen nehmen kann. Im besten Fall kommen wir mit dem Schrecken davon und müssen ihn verarbeiten. Im weniger guten verletzen wir zusätzlich das Rückenmark und sind querschnittgelähmt. Im schlimmsten überleben wir zwar, aber es mangelte zu lange an Sauerstoff. Das Gehirn ist geschädigt und erholt sich kaum.
Sobald uns ein Trauma auch körperlich nachhaltig schädigt, wird es augenfällig dramatisch. Dagegen nehmen unsere Mitmenschen depressive Verstimmungen oder Schlafstörungen, wie sie nach einem Trauma auftreten können, weniger wahr.
Manche geben plötzlich Gas …
Wir Para- und Tetraplegiker wissen, dass die traumatische Rückenmarkverletzung bei vielen Energien freisetzt, die sie zuvor nicht genutzt haben. Sie wollen aus der Misere das Beste rausholen. Salopp formuliert, entwickeln sie sich zu Musterknaben der Rehabilitation, werden zu Leistungsträgern und Steuerzahlern.
Das entspricht genau dem, was unsere wirtschaftsorientierte Gesellschaft will. Deshalb gibt es Rehabilitationskliniken für Menschen, die seelisch und / oder körperlich verwundet, traumatisiert, sind. Das altgriechische Wort «Trauma» bedeutet Wunde.
… andere stürzen ab
Das Rehabilitationsangebot beantwortet die ethische Grundfrage, wie wir mit den unheilbaren Folgen eines Traumas umgehen sollen, aber nur teilweise. Nicht allen gelingt es, sich nach erlittenem Schrecken wieder zu nützlichen Bürgern hochzurappeln. Sie ertrinken, bildhaft gesprochen, in ihrem Elend. Sie können und wollen sich nicht rehabilitieren.
Der (Irr-?)Glaube, Schuld zu tragen, etwas wieder gut machen zu müssen, treibt sie nicht an, sondern lähmt sie. Ihr Selbstwertgefühl nimmt ab, sie kommen sich vor wie eine Handvoll Dreck, finden das Leben nicht mehr lebenswert, und doch leben sie.
Hinzu kommt in unseren modernen Gesellschaften: Sie fühlen sich zu alt, sind es vielleicht auch. Die Kräfte, Traumatisches zu überwinden, reichen nicht mehr aus.
Kommt es gut?
Seien wir ehrlich: Wir alle neigen dazu, solchermassen geschwächten Mitmenschen auszuweichen, sie allmählich zu vergessen, ertrinken zu lassen.
In den reichen Industriestaaten können diese Menschen immerhin in sogenannten «Institutionen», also Heimen und Reha-Kliniken, verbleiben. Das bedeutet indes nicht, dass es gut kommt, wie es der fürsorgliche Vater seinem Sohn verspricht.