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Gesellschaft

Was tut uns gut?

Oft verkehren sich «heilsbringende» Praktiken mit der Zeit in ihr Gegenteil.

Oft verkehren sich «heilsbringende» Praktiken mit der Zeit in ihr Gegenteil.

Unsere Antworten auf die Frage, was uns guttut, hängen stark vom Zeitgeist, unseren Erkenntnissen und dem Geschäftssinn der jeweiligen Anbieter ab. Von ihnen lassen wir uns gerne beeinflussen. Gekonnt führen sie uns auf ihre Wege des Guttuns und benützen uns als brav mitwirkende Versuchstierchen.

Sonne und Milch heilen uns – oder doch nicht?

Ab ca. 1850 empfahlen gewitzte Ärzte, dass man sich ausserhalb der stickigen Städte in luftiger Höhe oder am Meer der Sonne aussetzen solle. Nur so konnte man sich vor Tuberkulose schützen, liessen die Doktoren verlauten. Das Sanatorium gehörte ihnen, oder sie waren erfolgsbeteiligt.

Zum Trinken hielt man sich während der sonnenreichen Höhenkur am besten an heilbringende Milch. Dank ihr sind wir ja gross geworden, also besinnen wir uns klugerweise auf sie zurück, wenn uns Unglück und Krankheit bedrohen. Diese Logik stand und steht hinter dem Wundermittel Milch.

zerklüftete küste in der sonne

Ob am Meer oder in den Bergen: Uns der Sonne aussetzen, tut uns gut, hiess es ab ca. 1850.

150 Jahre später gerät die Sonne wieder in Verruf. Ihre Strahlen reizen unsere Haut derart, dass sie sich mit Krebsgeschwüren zu wehren versucht, haben Wissenschaftler herausgefunden. So hören wir auf ihren Rat und schmieren möglichst viel starken Sonnenschutz auf unsere Haut. An ihm prallen die bedrohlichen Sonnenstrahlen wohltuend ab. Statt literweise Milch zu trinken, lassen wir es uns mit einem zuckerfreien Joghurt gut gehen.

Vitamin D ist lebenswichtig

Vergessen geht bei der modernen Abneigung gegenüber Frau Sonne, dass sie uns vor allem eines bringt: Vitamin D. Entdeckt hat es die Wissenschaft erst 1919. In der Folge haben wir gelernt, was wir diesem Vitamin zu verdanken haben: Es stärkt unser Immunsystem, fördert bei den jungen unter uns das Knochenwachstum und wirkt bei den älteren gegen Osteoporose. Dieses Wissen lässt uns die Ermahnung des Hausarztes, täglich zehn Tröpfchen Vitamin D einzunehmen, willfährig befolgen.

Noch lieber setzen wir seinen zweiten Rat um: guten fetthaltigen Fisch sollen wir essen. Sein Fleisch enthält viel Vitamin D. Industriell verarbeitet, entsteht daraus ein gesundes Öl, auch Tran genannt. Die Älteren unter uns – auch ich selbst – erinnern sich: In jungen Jahren hatten wir täglich einen gestrichenen Suppenlöffel «Lebertran» einzunehmen.

fischer in der sonne

Sie spenden uns das lebenswichtige Vitamin D: die Sonne und Fische.

Heute würde es keiner Mutter einfallen, ihrem Kind diesen säuerlichen, dickflüssigen Trank zwangsweise zu verabreichen; dies, obschon er neben Vitamin D auch die aktuell viel besungene Omega-3-Fettsäure in sich birgt. Lieber suchen wir schmackhaftere Mittel, um unserem Organismus zu diesen guttuenden Substanzen zu verhelfen.

Vom Heilsbringer zum Krebserreger: Ozon

Einen besonderen Werdegang hat das stechend riechende Ozon hinter sich. Dieses 1839 entdeckte Gas regt nachweislich den Kreislauf an und wirkt reinigend. Es tötet Bakterien, Viren und Pilze ab. Über lange Zeit galt es deshalb als gesund. Im Engadin, im luxuriösen Hotel Palace auf Maloja, mischten sie ab 1882 der Lüftungsanlage Ozon bei – zum Wohle der gut betuchten Kurgäste selbstverständlich.

Seit 1995 gilt dieses Gas, das sich vor allem in der sommerlichen Hitze bildet, als krebserregend. Es tut uns nicht gut, sondern schädigt unsere Gesundheit. Die Einsicht spricht klar gegen Ozon, der Glaube ist jedoch nicht gebrochen – hier ein Beispiel.

ozongenerator

Ozon galt lange Zeit als für Menschen gesund, weil es desinfiziert. Das Bild zeigt einen Ozongenerator.

Aufstieg und Fall des Stehtrainings

Die Paraplegiologie ist vergleichsweise jung und doch alt genug, dass wir das Auf und Ab therapeutischer Ansätze beobachten können. Das Stehtraining ist ein gutes Beispiel. Noch vor 20 Jahren entrann keiner von uns. In der Physio mussten wir, ob’s uns passte oder nicht, mindestens eine halbe Stunde stehend ausharren. Es tut den Knochen in unseren Beinen so verdammt gut, hiess es eindringlich.

Derweil gönnte sich der Therapeut eine ausgedehnte, zudem verrechenbare Rauchpause. Es reichte sogar für zwei Zigaretten. Sie taten ihm so gut, fand er. Auch diese Einschätzung hat sich gewandelt. Rauchen tut uns nicht gut, finden die meisten Therapeuten, und die Stehbretter stehen meistens unbenützt in einer Ecke.

stehtraining

Während wir QS’ler zu unserem Besten ans Stehbrett gebunden waren, gönnte sich der Therapeut eine guttuende Rauchpause.

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