Dominik Rüedi lebt seinen Traum – als TV-Regisseur, mit dem preisgekrönten Film «Schwerelos» und der Doku «Swiss Ladies»
- 7 Minuten Lesezeit
- 18. Januar 2024
- Anita S.
«Träume sind verfilmte Gedanken». Dieses Zitat von Thomas Häntsch passt perfekt zu Dominik Rüedi. Denn für ihn war immer klar: Ich werde Filmemacher! Bereits als Bub produzierte er kleine «James Bond-Filme». Sein grosser Traum wurde zu seiner Mission – auch im Rollstuhl.
Heute ist der 25-Jährige nicht nur Regisseur, Produzent und Editor, sondern hat sich international einen Namen in der Filmbranche gemacht. Mit seiner Geschichte möchte er anderen Mut machen, für ihre Träume zu kämpfen – ganz egal, welche Steine einem in den Weg gelegt werden.
A star is born …
Nein, der Erfolg fiel Dominik Rüedi nicht in die Wiege. Der gebürtige Thurgauer wuchs als Einzelkind auf und erlebte eine «ganz normale Kindheit». Bis zu seinem 16. Lebensjahr. Aufgrund einer selten auftretenden Erkrankung namens Myelitis (Entzündung des Rückenmarks) ist Dominik seit 2015 auf den Rollstuhl angewiesen. «Für meine Eltern und Freunde war’s ein Schock. Doch sie haben gemerkt, dass ich das Beste draus mache.»
«Das Leben im Rollstuhl hat mich verändert – und zwar positiv: Ich bin dadurch reifer, tiefgründiger und offener gegenüber anderen geworden. Ausserdem lebe ich viel bewusster und bin dankbarer.»
Dominik Rüedi
Diesen Optimismus hat er auch Marcel Hug zu verdanken. Der Profisportler besuchte Dominiks Klasse, als er ungefähr zwölf Jahre alt war. «Das war für mich ein prägendes Erlebnis. Echt krass, was er leistet! Sein Leben und seine Erfolge haben mich enorm beeindruckt.» Durch seine Reha im Schweizer Paraplegiker-Zentrum und seinen neuen Wohnort Nottwil begegnet Dominik dem mehrfachen Weltmeister und Paralympics-Sieger nun regelmässig. «Marcel ist noch heute eine starke Inspiration für mich, nicht zuletzt durch seine angenehme und gelassene Art.»
«Mach doch die KV-Ausbildung»
Sein Umfeld drängte Dominik dazu, seinen Traum als Regisseur an den Nagel zu hängen. «Alle meinten, als Rollstuhlfahrer kann ich nicht als Filmemacher arbeiten.» Doch getreu seinem Motto «Lebe deinen Traum» bewies er das Gegenteil und absolvierte das Studium am SAE Institute in Zürich in Digital Film Production.
Dies ermöglichte ihm ein Praktikum als Foto- und Videoproduzent bei der Schweizer Paraplegiker-Stiftung in Nottwil, aus dem eine Festanstellung als Projektmitarbeiter Videoproduktion wurde. Unter anderem wirkte er auch bei den Drehs für die «Orte der Hoffnung» mit.
«Wichtig ist, an sich selbst zu glauben. Ohne meine Erkrankung und ohne Rollstuhl wäre ich heute nicht da, wo ich bin. Ich glaube, das hat mich stärker gemacht und war für mich ein Türöffner in die Filmbranche.»
Dominik Rüedi
Weitere Berufserfahrung sammelte der «Macher» Dominik als Praktikant in der Produktion und Postproduktion bei Sandeep Abraham. Seit April 2023 ist er in einem 60 -Prozent-Pensum als Regisseur bei CH Media angestellt. Hier produziert er unter anderem für die Regionalsender TVO und Tele Bärn News- und Talk-Sendungen wie «Stammtisch» oder «Geld».
Wer kreativ arbeitet, benötigt Inspiration: «Für mich ist Avatar der krasseste Film! Er behandelt wichtige Themen wie Behinderung und den achtsamen Umgang mit der Natur.» Und Vorbilder? «Ganz klar Steven Spielberg und James Cameron.»
Filme von und mit Dominik Rüedi
- 2019: «Die Rollstuhlgängigkeit der öffentlichen Verkehrsmittel in der Schweiz» – Vorproduktion, Regie, Hauptprotagonist, Postproduktion
- 2019: «All I want» – Regie, 2. Kamera, Postproduktion
- 2020: «Schwerelos» – Vorproduktion, Regie, Schnitt, Auswertung
- 2020: «Leben und Liebe auf der Gasse» – Produktionsassistent
- 2022: «Catfish» – Setrunner
Vom Kopfkino auf die grosse Leinwand
Als Abschlussarbeit seines Studiums entstand der Film «Schwerelos». Die Geschichte handelt von Paul, der den Tod seiner Mutter verarbeiten muss. Obwohl er seit kurzem auf den Rollstuhl angewiesen ist, möchte er den letzten Wunsch seiner Mutter erfüllen: ihre Asche auf ihrem Lieblingsberg Monte Lema zu verstreuen. Gemeinsam mit seinem Basketballkollegen Tim stellt sich Paul dem vermeintlich aussichtslosen Unterfangen. Die beiden wagen eine abenteuerliche Reise ins Tessin – und mitten ins eigene Ich. Hier der Link zum Film «Schwerelos» in voller Länge.
«Mit dem Film ‹Schwerelos› will ich auf das Thema Querschnittlähmung aufmerksam machen und Betroffenen Hoffnung schenken: Damit sie an etwas glauben können, das unmöglich scheint.»
Dominik Rüedi
Ob diese Geschichte auch eine Art Verarbeitung seiner eigenen Erlebnisse ist? «Ja, damals war das bestimmt so», erzählt Dominik. «Die Szene beim Arzt habe ich beispielsweise selbst so erlebt.» Besonders stolz macht den jungen Filmemacher, dass sein Debutwerk von Profis unterstützt wurde: zum Beispiel vom Hauptdarsteller Sandro Stocker, vom Co-Producer und Director of Photography Sandeep Abraham oder von Marius Bear, der den Film mit seinem Song «Remember me» untermalte. Kein Wunder, dass das Werk in der Filmwelt für Furore sorgte.
Die wichtigsten Auszeichnungen und Preise für den Film «Schwerelos»
- 2020: New York Film Awards – Best Narrative Short
- 2020: New York Film Awards – Best First Time Director
- 2020: New York Film Awards – Best Inspirational Film
- 2020: Hollywood Gold Awards – Original Story
- 2020: Indie Short Fest – Best Student Drama Short
- 2021: Great Message International Film Festival – Best Editor
- 2021: Film in Focus 2021 – Best Student Film
- 2021: Europe Film Festival – Best Drama Film
- 2021: Entr`2 Marches, Cannes – Prix du Public «Georges Lautner»
- 2021: Best Actor Award, New York – Best Actor in a Drama
- 2021: Best Actor Award, New York – Best Actor in an Inspirational Film
- 2022: Jugendfilm Festival Movie Day – Adon special price
- 2022: Jugendfilm Festival Movie Day – Audience Award
Die Preise bedeuten mir enorm viel! Sie sind die Belohnung für die harte Arbeit, die die ganze Crew geleistet hat.» Doch den Ruhm musste sich Dominik nicht nur am Filmset mit unzähligen unbezahlten Arbeitsstunden und der Suche nach Sponsoren verdienen. Nachdem er – übrigens alleine – für die Preisverleihung nach Cannes fuhr, schlugen Einbrecher die Scheibe seines Autos ein, sodass er den Publikumspreis nicht persönlich entgegennehmen konnte. «Jänu, ich war ja da», schmunzelt der Optimist. «Der Preis kam per Post. Wichtig war nur, dass ich den Film zeigen konnte.»
Umso lieber erinnert sich Dominik an den Moment auf dem roten Teppich am Zurich Film Festival, bei dem ihm auch Guido A. Zäch gratulierte. Wer weiss, vielleicht wird die Liste eines Tages mit einem Oscar gekrönt? «Das ist noch sehr weit entfernt. Aber es wäre genial, also sag niemals nie …!»
«Natürlich ist es für mich als Filmemacher im Rollstuhl nicht immer leicht. Aber ich möchte anderen zeigen, was alles möglich ist. Ob mit oder ohne Rollstuhl: Vieles ist eine Frage des Ehrgeizes und der Organisation.»
Dominik Rüedi
Basketball: vom Hobby zur Doku-Serie
Die Pandemie war für Dominik besonders herausfordernd. «Jeden Tag musste ich mich bewusst aufs Positive konzentrieren. Während dieser Zeit hat mir Basketball extrem geholfen.» Die Mannschaft sei wie seine zweite Familie. «Wir unterstützen uns gegenseitig, tauschen uns aus und pushen uns.» Dominik ist seit 2016 Mitglied des Teams Rolling Rebels aus St. Gallen und gehört seit 2022 zum erweiterten Kader der Basketball-Nationalmannschaft. «Wenn alles klappt, bin ich ab nächstem Jahr auf der Tournee mit dabei.»
Die Idee für sein aktuelles Projekt entstand während einem Training. «Mein Coach Christian Rosenberger meinte, es wär’ doch cool, die Geschichte der ersten Schweizer Frauen-Nationalmannschaft im Rollstuhlbasketball zu verfilmen. Ich war sofort Feuer und Flamme!»
Swiss Ladies: Leuchtturmprojekt für Frauen im Behindertensport
Eliane Keller und Christian Rosenberger gründeten 2019 die Schweizer Frauen-Basketball-Nationalmannschaft «Swiss Ladies» – ein Novum für den Schweizer Rollstuhlsport. Inzwischen sind die 13 Spielerinnen zwischen 16 und 50 Jahren gefürchtete Gegnerinnen bei Wettkämpfen. Ihr nächstes Ziel: Die Teilnahme an der Europameisterschaft 2025.
Was als Film geplant war, ist mittlerweile zu einer Dokumentar-Serie gewachsen. Und auch das Team der «Swiss Ladies» wächst und entwickelt sich. «Der intensive Zusammenhalt der ‹Ladies› beeindruckt mich sehr.»
Der Regisseur und Produzent porträtiert während den nächsten Jahren Spielerinnen und Staff bei ihren Trainings und Wettkämpfen in ganz Europa. Dominiks auffallend schöne Augen strahlen: «Klar, es bedeutet viel Aufwand, und dies nebst meinen unregelmässigen Arbeitszeiten. Aber es macht mir grosse Freude und ich sehe dadurch viel von der Welt.»
Die Dokumentation zeigt jedoch auch die Schattenseiten. «Eine Spielerin ist während dem Trainingsweekend in Annecy gestorben – für uns alle ist das sehr schwierig.»
«Mein Ziel mit dieser Doku ist es, dem Frauensport und den Angeboten im Behindertensport noch mehr Aufmerksamkeit zu schenken.»
Dominik Rüedi
An ein Ende denkt Dominik noch lange nicht. Irgendwann möchte er einen Grossanlass, beispielsweise eine Europameisterschaft, Weltmeisterschaft oder die Paralympics begleiten. Und vielleicht eine Dokumentation mit Marcel Hug? Der ambitionierte Filmemacher überlegt: «Manchmal frage ich mich selbst, wie ich meinen Job, das Basketballspielen und das Filmemachen unter einen Hut bringe ... Ich mach’s einfach.»
Und welche (filmreifen) Träume möchtet ihr in die Tat umsetzen?