Im klinischen Umfeld riskieren wir, laufend kränker zu werden. Seht zu, dass es Euch nicht ergeht wie Adrian
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- 08. Juli 2021
- fritz
Im klinischen Umfeld riskieren wir, laufend kränker zu werden. Seht zu, dass es Euch nicht ergeht wie Adrian
Frühmorgens in einer kalten Februarnacht stand Adrian, der nunmehr 72-jährige Junggeselle, auf, packte seine sieben Sachen und schlurfte in die Notfallstation der Universitätsklinik. Was ihn dazu bewog, weiss niemand genau, am wenigsten er selbst.
Morgens um halb vier kam er an. Es dauerte nicht lange, und sie fanden heraus, dass er Covid-19 hatte. Sie steckten ihn in ein Isolierzimmer.
Nur Mara, seine Schwester, durfte ihn besuchen und sich erkundigen, wie es um ihn steht. Er selbst berichtete Wochen später, dass er keine drei Tage dort verweilt habe, ehe sie ihn verlegten. In der Zeit habe Mara mal kurz vorbeigeschaut.
Tatsächlich war er vierzehn Tage dort, zwei davon auf der IPS, der Intensivpflegestation. Mara besuchte ihn jeden Tag.
Täglich entdecken sie Neues
Covid hatte er offenbar durchgestanden, ohne es wahrzunehmen. Doch tags darauf erfuhr Mara, die Pflege habe entdeckt, dass Adrians Puls unregelmässig ist. Zur Überwachung kam er wiederum auf die IPS.
Therapeutische Massnahmen gegen Vorhofflimmern waren inzwischen eingeleitet. So wurde fortan auch sein Blut verdünnt. Stützstrümpfe sorgten dafür, dass er trotzdem keine ‹schweren Beine› bekäme. Die Spitex würde sie ihm anziehen müssen, oder er käme in ein Heim.
Beim nächsten Besuch erfuhr Mara, der Nachtwache sei aufgefallen, dass sein Atem immer wieder aussetze. Schlafapnoe lautete die Diagnose. Ab sofort trug Adrian nachts eine Nasenmaske. Sie gewährleistete, dass anhaltend genügend Luft in seine Lunge drang.
Bipolar und osteoporotisch
Überdies betonten die Ärzte und die Leiterin des Pflegedienstes wiederholt, dass Adrian wohl starken Stimmungsschwankungen ausgesetzt sei. Mara bestätigte, dass sich ihr Bruder nach Phasen als jauchzender Hofnarr, der alle glänzend zu unterhalten vermag, oft für Wochen zurückzieht. «Und unverhofft zu uns in den Notfall dringt», fiel ihr der Oberarzt ins Wort. Er verordnete eine psychiatrische Abklärung. Schon am selben Abend brachten sie ihm zu den Kreislaufmitteln zusätzlich ein Psychopharmakon.
Die psychiatrische Einschätzung lag nach einigen Tagen vor: Bipolare Störungen. Angesichts der multiplen anderen Komplikationen rieten die Psychiater indes ab, ihn zu ihnen zu verlegen.
Die Wirbelsäulenchirurgen gaben ihnen recht: Sie stellten eine für Männer ungewöhnlich starke Osteoporose in den Wirbelköpern fest. Sie erkläre Adrians schlechte Körperhaltung. Für eine Operation sei es der allerletzte Moment, liessen die Operateure verlauten. Dazu rieben sie sich die Hände, fiel Mara auf.
Sie riet ihrem Bruder, dem Erste-Klasse-Patienten, dringend von einem solchen Eingriff ab. «Altes Eisen operieren wir nicht», bedeutete sie ihm augenzwinkernd. Nach dieser Absage hiess es bald, Adrian gehöre nicht mehr in eine universitäre Klinik.
Im Altersheim geht es weiter
Adrian kam in ein Altersheim. Zur Überwachung erhielt er dort dreimal wöchentlich Besuch des Hauspsychiaters. Es drückte ihn aber an anderer Stelle, und zwar unentwegt, dabei entsprang der Harnröhre jeweils nur ein Rinnsal. «Ein Spitalkäfer», lachte die Pflegefachfrau und ergänzte: «Wenn Sie Glück haben, ist er nicht resistent gegen Bactrim.»
Schon zwei Stunden später stand der Urologe an Adrians Bettrand. Er legte ihm einen Dauerkatheter und setzte den Termin für eine Intervention an der Prostata fest. Mara äusserte sich nicht dazu. Adrian selbst brachte die Kraft nicht auf, sich zu erwehren. «Ich bin in der Mühle», erklärte er mir am Telefon. Tags zuvor hatte er seinen Fahrausweis abgegeben, auf Anraten des Psychiaters, der auf die starken Medikamente verwies.
Seinen schön protzigen Range Rover schenkte er Maras Sohn. «Die einen spült’s in die Mühle, die andern in den Rollstuhl!», schloss er seine Schilderung schnippisch und legte den Hörer auf.