Christian Stöckli (40) aus Sursee und Hund Windsor sind ein unzertrennliches Paar.
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- 30. Mai 2018
- Johannes
Christian Stöckli (40) aus Sursee und Hund Windsor sind ein unzertrennliches Paar. Der Assistenzhund ist für den Paraplegiker vor allem zu einer psychischen Stütze geworden.
In dieser Blog-Serie präsentieren wir Geschichten von Menschen mit Querschnittlähmung – ihren Unfall, ihre Rehabilitation und ihre Rückkehr ins Leben. Manche der Artikel wurden von der Schweizer Paraplegiker-Stiftung geschrieben, andere wurden erstmals in einer Zeitung oder Zeitschrift publiziert.
Bilder: Boris Bürgisser
Text: Pirmin Bossart/Zentralschweiz am Sonntag Juni 17
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Christian Stöckli und der Luzerner Zeitung AG
Windsor liegt friedlich neben dem Rollstuhl von Christian Stöckli. Nichts scheint ihn in seiner Ruhe zu stören. Der Labrador-Retriever hat mit 13 Jahren schon ein langes Hundeleben hinter sich. Seine Befehle befolge er immer noch mit Freude, jedoch etwas langsamer, meint Christian Stöckli mit einem Lächeln, auch höre er nicht mehr allzu gut. «Aber er beherrscht noch immer alle Aufgaben.»
Nie hätte Christian Stöckli gedacht, dass er einmal so stark auf einen Hund angewiesen sein könnte. Windsor kann Gegenstände vom Boden aufheben, Türen öffnen, das Smartphone bringen oder auf Kommando bellen, wenn eine Notsituation eintritt. Dafür ist er in einem mehrjährigen Prozess ausgebildet worden. «Ohne Windsor wäre mein Leben noch viel beschwerlicher. Er ist ein ‹Super Hündu›. Und manchmal auch ein Schlitzohr – wer kann dem treuen Hundeblick schon das Guetzli verwehren?»
Verhängnisvoller Snowboard-Unfall
2001 geschah der Unfall, der Christian Stöcklis Leben drastisch verändert hat. «Ich war ein begeisterter Snowboarder und ging praktisch jede freie Minute in die Natur oder in die Berge.» Im Winter 2001 war Stöckli mit dem Snowboard in Laax und befuhr eine Halfpipe. Bei einem Sprung knallte es ihn heftig auf den Rücken. Was zunächst noch einigermassen glimpflich auszugehen schien, entwickelte sich zu einer wahren Leidensgeschichte. Nach mehreren Operationen und Spitalaufenthalten wurde Stöckli ins Schweizer Paraplegiker-Zentrum in Nottwil gebracht, wo er während neun Monaten rehabilitiert und nochmals zweimal operiert wurde.
Das Leben wurde auf den Kopf gestellt. Seit dem Unfall hat der gelernte Eisenwaren-Verkäufer nie mehr arbeiten können. Seine nicht rollstuhlgängige Wohnung in Sursee war für sein neues Dasein nicht mehr geeignet. Dank der Gönnerunterstützung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung konnte er eine Eigentumswohnung erwerben. «Seit drei Jahren wohnen die Eltern bei mir. Das hat mir das Leben wesentlich erleichtert. Wir haben einen guten Zusammenhalt.»
Permanent Schmerzen mit Stechen und Brennen
16 Jahre sind seit dem Snowboard-Unfall vergangen. Christian Stöckli ist ein inkompletter Paraplegiker und auf den Rollstuhl angewiesen. «Inkomplett heisst, dass die Nerven im Rückenmark nicht durchgetrennt, sondern beschädigt sind. Das ist sehr schwierig zum Behandeln. Vor allem habe ich ständige Schmerzen.» Es sind schwer beschreibbare Gefühle, die er im Rücken und bis in die Zehen spürt. «Es ist ein Stechen und Brennen, manchmal halte ich es fast nicht mehr aus.»
Früher hat Stöckli nur zwei Stunden im Rollstuhl sitzen können, ehe der Schmerzpegel wieder rapide anstieg. Heute gibt es manchmal etwas längere Phasen, aber die Präsenzzeit im Rollstuhl ist begrenzt. Und vor allem: Es ist immer wieder anders. Das mache es auch so schwierig. Und wenn der Pegel wieder steige, beginne er zu schwitzen und werde nervös. Aber trotz chronischen Schmerzen: «Ich versuche immer, den Alltag positiv zu gestalten.»
Die neuropathischen Schmerzen (Nervenschmerzen) sind leider fast nicht zu therapieren. Stöckli ist Dauerpatient im Zentrum für Schmerzmedizin in Nottwil. Alle möglichen Medikamente und Verfahren wurden schon versucht, doch eine wirkliche Verbesserung ist nicht eingetreten. «Du musst den Schmerz nehmen, wie er ist und dir sagen, er gehört zu mir, egal, wie ausgeprägt er ist. Das musst du lernen, jahrelang. Auch dann, wenn du es fast nicht mehr aushältst.»
Hund fordert Christian täglich
In diesen und andern Situationen des Alltags ist Christian Stöckli froh, dass es Windsor gibt, den Hilfshund, der seit elf Jahren sein Begleiter ist. Der Hund kann zwar nicht Schmerzen lindern, aber er fordert seinen Herrn und schenkt ihm Aufmerksamkeit. Er überträgt ihm eine Verantwortung, will gepflegt werden und sorgt auch für Ablenkung. «Ich muss mit ihm nach draussen gehen, bei jedem Wetter und auch dann, wenn es mir mal nicht so behagt und ich kaum aufstehen kann. Nur wenn es einmal gar nicht möglich ist, übernehmen meine Eltern den Spaziergang.»
Windsor ist nicht zuletzt ein wichtiger Türöffner zu sozialen Kontakten. Es kommt zu Gesprächen mit andern Leuten, wenn Stöckli mit dem Hund draussen unterwegs ist. «Das gibt mir wieder Freude und auch eine Kraft. Es ist ein sehr sozialer Hund, mit ihm bin ich nie allein.» Was Rollstuhlfahrende an Begleithunden schätzen, ist gerade der Umstand, dass sie den Fokus von den Menschen mit Behinderungen wegnehmen und damit jenseits von Mitleid oder stiller Betroffenheit neue Gespräche und Erlebnisse ermöglichen. In all diesen Aspekten wird Windsor für Stöckli direkt und indirekt zu einer enormen psychischen Unterstützung. «Manchmal denke ich, dass er mir mehr geholfen hat als die vielen Sitzungen, die ich mit Psychologen verbrachte.»
Trotz Versuchen geht Arbeiten nicht
Stöckli geht immer noch gerne in die Natur. Auch da ist ihm Windsor ein unerlässlicher Begleiter. Mit dem Zuggerät, das er vor den Rollstuhl spannen kann, hat er eine gewisse Unabhängigkeit erlangt. «Ich war schon in Engelberg, auf der Seebodenalp, auf der Frutt oder auf dem Glaubenberg, wo ich mich dank dem Zuggerät auch auf nicht asphaltierten Strassen bewegen kann.» Von zu Hause geht er gern an den Sempachersee, inklusive Bad für Windsor, der in den See springt, sobald er darf. Aufgrund seiner permanenten Schmerzen, die sich ihn unvorhersehbaren Momenten verstärken können, muss Stöckli auf vieles verzichten. Er hat versucht zu arbeiten, aber es ging nicht. «Selbst im geschützten Rahmen war es mir nicht möglich, die erforderlichen 20 Prozent Präsenz aufrechtzuerhalten. Ich hatte immer wieder Ausfälle.»
Er hat es mit Sport versucht, Basketball und Handbike. Auch dort kam er an Grenzen. Selbst beim Pétanque, das er gerne spielt, sind nur kurze Einsätze möglich. «An einem Turnier könnte ich nicht mitmachen, weil es mich aufgrund der Schmerzen und der nötigen Erholungsphasen zu stark fordert. Aus dem gleichen Grund kann ich auch nicht einem Verein beitreten. Mit würde das gefallen, aber die Verpflichtungen und die Präsenz kann ich nicht einhalten.»
Tiefe emotionale Bindung
So konzentriert er sich auf das, was ihm schon immer am Herzen lag und das er auch mit seiner Behinderung mit Freude wahrnehmen und erleben kann. «Ich liebe die Natur: die Berge, Seen, Flüsse, Landschaften. Bäume faszinieren mich, seit ich ein Kind bin.» In den vielen Stunden, da er nichts als liegen kann, schaut er gerne einen spannenden Film.
Mit Windsor verbindet ihn inzwischen eine elfjährige Freundschaft. Diese ist so tief, dass er sich den Hundenamen sogar auf den Oberarm hat tätowieren lassen. Windsors gezeichneter Kopf wird als weiteres Tattoo folgen. Er sei ihm damals, als es um die Zuteilung ging, sofort ans Herz gewachsen. «Wir waren im gleichen Raum, er kam auf mich zu, und wir verstanden uns auf Anhieb. Mit seinem ruhigen Charakter passt er zu mir. Aber ohne meine Familie und Freunde, die mir den nötigen Rückhalt geben und sich ebenfalls um den Hund kümmern, wäre es mir nicht möglich, Windsor zu halten.»
Wir freuen uns über Eure Kommentare zu Christian Stöcklis Geschichte – und über Eure Geschichten!