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Frag den Doktor

  1. Nichtsdestotrotz Autor
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  3. Sonntag, 31. Oktober 2021

Lieber Dr. Online,

ich bin seit 25 Jahren Tetraplegiker (C4). Zu Beginn der QL hatte ich wie die meisten Tetras einen sehr niedrigen Blutdruck. Üblich war ein Blutdruck im Sitzen von 90/60 oder drunter. Im Liegen hatte ich meist einen Blutdruck von 120/80. Seit einigen Jahren steigt der Blutdruck nun an. Mittlerweile ist er beim Sitzen bei 110/75 und beim Liegen bei 160/105. Und wenn die Blase Druck macht (ich entleere meine Blase durch Klopfen; sie entleert sich zwischendurch aber auch allein), dann geht der Blutdruck im Liegen auch noch deutlich höher. Und das macht mir große Sorgen!

Wenn ich meine Blase (leer-) klopfe bekomme ich ein Kribbeln, Gänsehaut und leichte Schweißausbrüche. Das war von Anfang an so. Die Blasendrücke sind dabei erhöht. Ich werde regelmäßig in der Neuro-Urologie kontrolliert. Bei der Blasenentleerung steigt der Blutdruck. Kann diese Art der Blasenentleerung dauerhaft zu einem erhöhten Blutdruck führen? Gibt es dazu Erfahrungswerte?

Im Frühjahr war ich 3 Wochen in einer Herzklinik. Grund war ein Vorhofflimmern. Das Herz konnte nicht mehr richtig arbeiten, der Blutdruck war dadurch viel zu niedrig. Ich konnte mich nicht einmal im Bett aufrichten. Sofort sah ich "Sterne". Ich kam dann mit dem Rettungswagen in die Herzklinik, da das EKG nicht in Ordnung war. Dort wurde ich medikamentös behandelt. Dadurch kam mein Herz wieder in den richtigen Rhythmus und tut bis heute seinen Dienst. Auffällig war, dass das Vorhofflimmern 10 Tage nach der 2. Biontech Impfung auftraten. Zufall?

Der Blutdruck war aber schon vor dem Vorhofflimmern erhöht. Wurde dieses Vorhofflimmern nun durch die Impfung oder den hohen Blutdruck ausgelöst? Ich weiß es nicht. Na jedenfalls macht mir der hohe Blutdruck Sorgen. Ich rauche nicht, trinke sehr wenig, habe kein Übergewicht und habe auch keine genetische Veranlagung. Meine Eltern hatten Beide noch nie etwas mit dem Herzen und auch keinen höheren Blutdruck. 

Ich habe starke Spastik. Dagegen nehme ich 75 mg Baclofen und CBD Öl. Die Spastik ist zwar immer noch sehr ausgeprägt, aber ich halte es aus. Kann Spastik auf Dauer den Blutdruck erhöhen? Gibt es da Erfahrungswerte?

Außerdem leide ich an chronischen Rückenschmerzen. Eine MRT-Untersuchung brachte keinen behandlungsbedürftigen Befund. Die Schmerzen kommen wohl durch die lange einseitige Belastung (langes Sitzen und Liegen in einer Position), den erhöhten Muskeltonus durch die Spastik und die schiefe Sitzhaltung, da mein Rumpf links besser innerviert ist als rechts und ich deshalb nach links „kippe“.

Außerdem habe ich Probleme mit…ähm… Hämorrhoiden. Eigentlich ein Tabuthema für mich. Nun steht eine OP an.

Die gesundheitlichen Probleme (Spastik, Rückenschmerzen, Hämorrhoiden) begleiten mich nun schon viele Jahre. Ich persönlich glaube nicht, dass sie für den Blutdruckanstieg verantwortlich sind. Sie lösen bei mir auch keine Hyperreflexie aus. Das fühle und spüre ich anders. Woher kommen bloß diese eklatanten Blutdruckunterschiede im Sitzen und Liegen? Geht es anderen Tetras auch so?

Im Frühjahr in der Herzklinik wurde mir versuchsweise ein Betablocker gegeben um das Herz bezüglich des Vorhofflimmerns zu stabilisieren. Leider war die Gabe auf Dauer nicht möglich, da der Blutdruck im Sitzen zu tief absackte.

In der letzten Woche wurde bei mir ein Langzeit-EKD gemacht. Das Ergebnis war unauffällig. Der Ruhepuls war nachts zwischen 37 und 90. Der 90er Puls kommt bestimmt daher, wenn die Blase sich spontan entleert.

Was kann ich tun? Ich möchte nicht einfach nur abwarten und irgendwann einen Schlaganfall oder Herzinfarkt im Bett riskieren.

Puh, nun ist der Text doch etwas länger geworden. Ich würde mich super freuen, wenn Sie sich meine Situation einmal anschauen würden. Leider hatte ich bisher bei 2 Ärzten kein Glück mit meiner Nachfrage. Es wurde immer auf das Alter geschoben.

Ganz herzliche Grüße

Nichtsdestotrotz

Dr. HAM
Dr. Online
Akzeptierte Antwort Pending Moderation

Guten Abend "Nichtsdestotrotz",

das sind ja viele Themen in einem vielleicht Zusammenhang. Blutdruck: es ist v. a. bei Fussgängern häufig, dass der Blutdruck im Alter ansteigt; das liegt an einer zunehmenden Steifigkeit der Schlagaderwände. Ein systolischer Blutdruck über 140 mmHg ist aber generell nicht erwünscht, es handelt sich dann um einen Bluthochdruck (art. Hypertonus), der behandelt werden sollte um mögliche Folgen wie z. B. Schlaganfall, Ruptur der Aorta oder Herzinfarkt zu verhindern. Das Vorhofflimmern kann im Rahmen eines Stressereignisses, wie es eine COVID-Impfung darstellen kann, aufgetreten sein. Hoher Blutdruck mit einer vermehrten Belastung des Herzmuskels kann ebenso der Auslöser des Vorhofflimmerns gewesen sein. Ebenso kann Spastik den Blutdruck erhöhen, da die Durchblutung der Beine vermindert wird, und der Druck in der Bauchhöhle ansteigen kann (je nach Spastik-Beteiligung der Rumpfmuskulatur). Betablocker sind nicht mehr das Medikament der ersten Wahl zur Hypertoniebehandlung, insbesondere nicht bei älteren Menschen. Aber der hohe Blutdruck gehört natürlich behandelt. Der Blutdruck ist normalerweise im Liegen höher als im Sitzen (oder Stehen), da beim Sitzen (und v. a. beim Stehen) Blut in den Beinen versackt und somit für den Blutdruck weniger relevant ist. Der (relativ) niedrigere Blutdruck im Sitzen macht gerne Symptome wie Schwindel, Konzentrationsschwierigkeiten, Müdigkeit etc. (Orthostase-Reaktion). Der Ruhepuls im LZ-EKG ist nachts mit 37 Schlägen knapp an der unteren tolerablen Grenze; bei 35 Schlägen oder weniger muss man einen Betablocker fast immer absetzen und ohne eine Puls-senkende Medikation auch an einen Schrittmacher denken.

Bezüglich Hypertonie bzw. Vorhofflimmern ist noch an ein sog. Schlaf-Apnoe-Syndrom zu denken. Das wird zunächst durch eine Polygraphie abgeklärt, oder man begibt sich für eine Nacht in ein sog. Schlaflabor.

Möglicherweise entleert sich die Blase beim Klopfen nicht vollständig und es entwickelt sich ein Harnwegsinfekt. Der wiederum kann die Spastik verstärken und auch den Blutdruck steigern. Zu den Rückenschmerzen kann man nach so vielen Jahren Tetra einiges überlegen. Spastik ist ein Aspekt dabei.

Zusammenfassend möchte ich stark dafür plädieren, all diese Themen bei der Jahreskontrolle in deiner Spezialklinik für Rückenmarksverletzungen zu erörtern. Für den Hausarzt und auch andere Spezialisten (Kardiologe) sind diese Themen bei Tetras meist zu komplex. Und im Übrigen hoffe ich, dass der Hämorrhoiden-Operateur Erfahrung mit Operationen bei Tetras hat.

So viel für heute. Gute Besserung wünscht Dr. Online

  1. vor über einem Monat
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Akzeptierte Antwort Pending Moderation

Wow! Vielen lieben Dank für die ausführliche Antwort! Ich würde mir wünschen, dass meine Querschnittklink das ebenso handhaben würde.

Nachts werde ich häufig wach, da meine Blase sich häufig spontan entleert. Da jedes Mal ca.100ml laufen und morgens mindestens 1500 ml im Beutel sind, weiß man, dass die Blase mindestens 10 mal "gepowert" hat. Das erklärt bestimmt einen Teil meiner Schlafprobleme und wahrscfheinlich auch die 90er Pulsspitzen. Und natürlich springt bei jeder Blasenentleerung die Spastik an. Was es noch unangenehmer macht. Ich werde Ihren Rat befolgen und mich an ein Schaflabor wenden. Mit etwas muss ich ja anfangen. Ob sie dort Tetras aufehmen?

Eine Jahreskontrolle gibt es in meinem Querschnittgelähmtenzentrum Hamburg leider nicht. Ich werde mich dort aber einmal vorstellen.

Noch einmal Danke!

Herzlichst  Nichtsdestotrotz  

  1. vor über einem Monat
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