Wir glauben immer, anderen falle alles leicht. Mehr als Projektionen sind das nicht.
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- 13. September 2021
- fritz
Wir glauben immer, anderen falle alles leicht. Mehr als Projektionen sind das nicht.
Es gibt Menschen, denen alles in den Schoss zu fallen scheint. Was sie angehen, gelingt. Sie tun immer das Richtige und beherrschen alles, was sie weiterbringt. Mit schwungvoller Leichtigkeit traben sie von Erfolg zu Erfolg, ernten Hochachtung, begeistern ihre Anhänger und reissen sie mit. Neidlos müssen wir uns eingestehen, dass uns diese Menschen etwas voraushaben, uns überlegen sind.
Von Rockstars bis zu Geschäftsleuten
Als typische Vertreter dieser besonderen Spezies erleben wir Rockstars, Filmschauspieler und Modeschöpfer; im Bereich der Lebensgestaltung die unendlich weisen Gurus; im Gesundheitswesen die alleskönnenden Starchirurgen; im Fernsehen einzelne gut aussehende Moderatoren und Moderatorinnen, die es hinkriegen, immer fesch, gut gelaunt und geistreich aufzutreten. Nicht zu vergessen sind schliesslich die bewundernswerten Spitzensportler, denen Medaillen und Pokale nur so zufallen.
Auch in der Geschäftswelt finden sich solche Leuchten; so etwa der visionäre Elon Musk, Gründer und Grossaktionär von Tesla, oder der umtriebige britische Unternehmer Richard Branson. Er pflegt seine Ausstrahlung, indem er daherkommt wie ein Rockstar, und in der Tat: Die Produktion von Schallplatten mit Rockmusik brachte Virgin, seiner Firma, die ersten Millionen ein. Inzwischen ist er Milliardär. Am 11. Juli 2021 schaffte es der Tausendsassa, im eigenen Raumschiff kurz ins Weltall abzustechen und sicher wieder auf der Erde zu landen.
Wenige Sorglose und viele Besorgte
Sodann begegnen wir neben diesen gloriosen Glanzfiguren immer wieder Menschen, die keine Sorgen zu haben scheinen. Sie sind weder reich noch erscheinen sie in der Klatschpresse. Unbeschwert flanieren sie einfach durchs Leben. Nichts bringt sie ernsthaft aus der Ruhe, nichts bekümmert sie gross, viel überlegen und abwägen müssen sie anscheinend nicht. Kleine Kinder leben uns das schön vor, und wir gönnen es ihnen, schützen sie gezielt vor unverdienten Missgeschicken. Sie sind ja so unschuldig.
Sorglosen Erwachsenen ergeht es weniger gut. Denn sobald das spielerische Kleinkind in die Schule kommt, heisst es, jetzt ist fertig lustig, der Ernst des Lebens beginnt. Wer das nicht begreifen will, gilt zunächst als verträumt, später als Kindskopf oder Luftikus. Leichtfüssig durchs Leben zu gehen, hat etwas Anrüchiges.
Ihnen gegenüber stehen die besorgten, unterschwellig vergrämten Zeitgenossen. Sie wägen alles ab, wagen nie den Sprung ins Wasser und betonen, nur sie handelten verantwortungsbewusst. So haben sie es gelernt.
Die Benachteiligten und die Glücklosen
Schliesslich gibt es die Menschen, denen das Glück nach unserer Wahrnehmung nicht hold ist. Ihnen ist es verwehrt, Krachendes und Weltbewegendes zu erschaffen. Sie bewegen sich nicht auf einer Bühne, auf der ihnen von oben Gold aufs Haupt regnet und sie von vorne tosender Applaus antreibt. Es sind die Benachteiligten und Glücklosen.
So zum Beispiel der Bergbauer, der sich jahrein, jahraus an gefährlichen Steilhängen fern vom pulsierenden Leben für wenig Lohn abrackert. Er wirkt aber zufrieden und beschwert sich in keiner Weise.
So auch der fröhliche Taxi-Chauffeur im exotischen Ferienland. Für seine zu protzige Limousine hat er horrende Leasing-Zinsen zu blechen. Zudem säuft sie viel teuren Treibstoff. Ihm bleibt wenig. Trotzdem ist er zuvorkommend und stellt uns seine Heimat mit stolzem Lächeln vor.
Sind wir Körperbehinderte so besonders, wie viele glauben?
Viele durchaus liebenswerte Mitmenschen zählen zu diesen Unglücksraben auch uns Körperbehinderte. Mit unseren Einschränkungen hätten wir ja weiss Gott wenig zu lachen, seien ständig auf Hilfe angewiesen, müssten uns mühselig durchs Leben kämpfen und auf Vergnügungen verzichten, sinnieren sie nicht zu Unrecht. Die Leichtigkeit des Seins sei uns verschlossen.
Solche Mitmenschen begegnen uns sehr respektvoll, oft überschwänglich höflich. «Ich bewundere, wie Sie ihr Leben meistern.», «Sie sind beispielhaft.», «Sie wissen, worauf es ankommt.», «Was Sie tagtäglich leisten, bekäme ich nie hin, meine Hochachtung.»
Solche Komplimente schmeicheln uns. Sie verunsichern auch. Projizieren diese lieben Mitmenschen etwas zu viel in uns, fragen wir uns. Tatsächlich hadern wir häufiger, als sie es unterstellen. Manches misslingt uns, wir ärgern uns, erreichen nicht einmal bescheidene Ziele. Natürlich posaunen wir das nicht aus, aber so ist’s nun mal. Wir sind weder Vorbilder noch sind wir besonders weise.
Nichts als Projektionen
Spinnen wir diesen Gedanken weiter, stellen wir schnell fest, dass wir Menschen dazu neigen, gewisse andere zu stark aufzuwerten. Wir schreiben ihnen Eigenschaften zu, die sie nicht haben, höchstens vortäuschen. Ständig besorgt, ihr Erfolg sei gefährdet, schuften sie wie früher die Steinesel in den Kohlezechen. Die Schlünde ihrer Seelen sind tief. Zur Linderung dröhnen sie sich mit Alkohol und manch anderen Stoffen zu.
Branson liess sich ins Weltall schiessen, so wie sich Jugendliche auf der Achterbahn berauschen. Von besonderer Klugheit zeugt das nicht. Elon Musk, ebenfalls Weltraumgänger, gestand unlängst öffentlich ein, dass er das Asperger-Syndrom hat. Diese Menschen haben auf tragische Weise Mühe, Beziehungen einzugehen und zu pflegen. Sie sind getrieben, förmlich besessen: In Musks Fall von der Idee, ein schickes Elektroauto zu entwickeln, gefolgt vom Wahn, eigene Weltraumraketen zu bauen.