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Die Vorliebe für Behinderung
Gesellschaft

Die Vorliebe für Behinderung

Verliebt in den Menschen - oder in seine Behinderung?

Verliebt in den Menschen – oder in seine Behinderung?

«Ich mag dich wirklich. Du bist so inspirierend.»

«Ich finde dich sehr sexy im Rollstuhl.»

Viele sind der Meinung, dass man diese Dinge niemals zu Rollstuhlfahrern oder Menschen mit Behinderung sagen sollte. Andere wiederum empfinden diese Art der Bewunderung in Ordnung oder sogar bestärkend. Tatsächlich kann es sich dabei um wahre Zuneigung oder aber um Fetischismus handeln.

Menschen mit besonderen sexuellen Interessen

Ein sogenannter «Devotee» ist laut dem Cambridge-Wörterbuch «eine Person, die eine bestimmte Person zutiefst bewundert oder ein besonderes starkes Interesse an einer Sache hat». Ob Devotee eines Popstars, eines Sports oder eines Lebensstils – es gibt sie überall und oft werden sie als normal angesehen.

Es gibt jedoch eine ganze Reihe von Devotees, die als unmoralisch gelten, weil sie sexuelles Interesse an unkonventionellen Dingen oder Merkmalen wie Behinderungen und Rollstühlen zeigen.

Brenna Huckaby: The US amputee snowboarder

Menschen, die Behinderung attraktiv finden, haben wohl eine andere Vorstellung davon, was an diesem Foto sexy ist. (Quelle: https://www.mid-day.com/articles/us-amputee-snowboarder-brenna-huckaby-wants-women-to-feel-powerful-and-sexy/19079181)

Viele hören das erste Mal von Devotees aus sozialen Medien oder auf Online-Dating-Plattformen. In einem unserer früheren Blogbeiträge wurde erwähnt, dass es vielen oft schwer fällt zu entscheiden, ob und wann sie ihre Behinderung dem Online-Dating-Partner offenbaren sollen. Die Rollstuhlfahrerin Vanessa Parekh hatte damit keine Probleme. Sie entschied sich, auf ihrem Online-Dating-Profil anzugeben, dass sie einen Rollstuhl verwendet, weil sie dachte, das könnte eine erste Barriere sein. Sie erklärte: «Das sollte die Ekelpakete abschrecken und mir den Anblick von Unmengen fremder Schamteile ersparen.» Ihre Entscheidung erwies sich jedoch nur teilweise als richtig. Denn Monate später schrieb ihr jemand:

«Verwendest du schon immer einen Rollstuhl? Ich finde sie sehr sexy.»

Hier eine weitere absurde Erfahrung: Laura Beck, seit 2016 gelähmt, fand eines ihrer persönlichen Videos auf einer Porno-Seite wieder. Für sie verwirrend und verstörend war, dass das Video gar nichts mit Sex zu tun hatte, sondern sie lediglich beim Transfer von einem Auto in einen Rollstuhl zeigte.

Mehr über Devoteeismus erfahren

Falls Ihr unseren früheren Beitrag über Glaubensheilung gelesen habt, erinnert Ihr Euch wahrscheinlich an Emily Yates. Sie ist Journalistin und Fernsehmoderatorin und hat eine angeborene Zerebralparese. Sie verwendet seit ihrem neunten Lebensjahr einen Rollstuhl. Auch sie kam das erste Mal im Internet mit Devotees in Kontakt.

Eines Tages lud Emily ein Foto auf ihre Facebook-Seite, das sie festlich gekleidet vor dem jährlichen Universitätsball im Rollstuhl zeigte. Jemand kommentierte das Foto unerwartet mit «hübscher Krüppel». Zunächst war Emily geschockt und verletzt. Später, durch Hinweise ihrer Freunde und durch eigene Suche, entdeckte sie die Online-Welt für Devotees.

Gemeinsam mit dem Produktionsteam von BBC Three traf Emily ein paar Leute, darunter Devotees und eine Sexarbeiterin im Rollstuhl, um mehr über ihre Vorstellungen und Erfahrungen mit Devoteeismus zu erfahren.

Persönliche Erfahrungen mit Devotees

Die beiden Devotees, die Emily persönlich traf, haben eines gemeinsam: Sie realisierten beide schon früh, dass sie auf Menschen mit Behinderungen stehen. Wenn andere Menschen Mitleid haben oder das Interesse an Menschen mit Behinderungen verlieren, sind diese für sie besonders attraktiv und schön. Für sie sind Mobilitätshilfen wie Rollstühle und Gehhilfen Schönheitsaccessoires, die sie sogar selber verwenden würden, obwohl sie gar keine Behinderung haben.

Eine der Devotees erzählte Emily, dass ihr Verlangen nach Behinderung so gross ist, dass sie nur bei Menschen mit offensichtlichen Behinderungen sexuelle Erregung empfindet. In Extremfällen kam es vor, dass sie sich zur sexuellen Erregung die Mobilitätshilfen ihres Partners ansehen musste, wenn die Behinderung im Bett nicht offensichtlich war.

Tatsächlich scheint eine solch extreme Anziehung zu Behinderung nicht selten zu sein. Leah Caprice, die den Spitznamen «ParaPrincess» trägt, erzählte Emily, dass einige Menschen sich von ihr aufgrund ihrer Behinderung statt ihres Sex-Appeals angezogen fühlen.

Leah arbeitet weiterhin in der Sex-Branche, auch seit sie Ende 2008 zur Rollstuhlfahrerin wurde. Sie produziert hauptsächlich ihre eigenen Porno-Videos. Irgendwann stellte sie fest, dass eine ganze Reihe von Menschen beim Anschauen ihrer gewöhnlichen Videos, in denen sie z. B. ein Auto wäscht oder Strumpfhosen anzieht, ebenso oder gar noch stärker sexuell erregt werden. Sie erklärte: «Es ist nicht der Sex, den sie (Devotees) sehen möchten. Sie möchten Behinderung sehen.»

Sich von der Schattenseite des Devoteeismus distanzieren

Nach zahlreichen Diskussionen sowohl online als auch offline ist Emily der Meinung, dass Devoteeismus nicht nur negative Seiten hat. Sicher ärgert sie sich immer noch über Menschen, die sich den täglichen Kampf von Menschen mit Behinderungen mit Genuss ansehen und dadurch sexuell erregt werden. Sie hat aber auch verstanden, dass Devoteeismus bei manchen Menschen quasi angeboren ist. Diese Devotees sehen Menschen mit Behinderungen wohl viel eher als gleichwertig an als irgendjemand anders, und dennoch sind die meisten von ihnen gesellschaftlich stigmatisiert. Emily hofft, dass die offenen Diskussionen über Devoteeismus Menschen mit und ohne Behinderung dazu bringen, ihre sexuellen Interessen und Entscheidungen neu zu durchdenken.

Gleichermassen liess sich Kath Duncan, eine Amputierte und Aktivistin für Behindertenrechte, auf Erfahrungen mit Devotees ein. Sie behauptet, dass ihre Beziehung zu Devotees ihre Einstellung zu sich selbst verändert hat:

«Mein Bild über mich und meinen Körper begann sich zu verändern und ich entdeckte das erstaunliche Potenzial, das die Stümpfe mir beim Ausdruck von Sinnlichkeit verliehen, wo ich zuvor nur Unbehaglichkeit über deren Platz in meinen sexuellen Erfahrungen verspürt hatte.»

Kath Duncan as Mistress Iris - Amputee and Performing Arts

Dank einiger Devotees hat Kath Duncan nun ein verändertes Selbstbild und fühlt sich mit ihren Behinderungen wohler. (Quelle: http://www.luxville.me/works/mistress-iris/)

Auf jeden Fall sollte sich jeder gerade beim Umgang mit Devoteeismus seiner persönlichen Grenzen bewusst sein. Experten warnen vor dem hohen Risiko, dass Devoteeismus schnell zu Missbrauch wird, was die Entwicklung einer beidseitig liebevollen Beziehung verhindern kann. Deshalb sollte jegliches entmenschlichende Verhalten, wie die Verhinderung der Unabhängigkeit des Partners oder seine nicht einvernehmliche Behandlung als Sexobjekt, immer abgelehnt oder unterbunden werden.

Welche Erfahrungen habt Ihr mit Devoteeismus gemacht? Wie würdet Ihr auf Menschen reagieren, die sich von Behinderung angezogen fühlen?

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